I. Hintergrund
Bei der Abwicklung von Grundstückskaufverträgen hängt die Eintragung des Käufers in das Grundbuch in aller Regel davon ab, ob die Gemeinde ein Vorkaufsrecht an dem vertragsgegenständlichen Grundstück ausüben wird. Insofern verlangt das Grundbuchamt vom zuständigen Notar ein Zeugnis der Gemeinde, in dem diese das Nichtbestehen eines Vorkaufsrechts an dem Grundstück oder die Nichtausübung eines bestehenden Vorkaufsrechts erklärt, ein sogenanntes „Negativattest“. Letztlich hängt die Vollziehung des Kaufvertrags regelmäßig von der Entscheidung der Gemeinde ab, ob diese von ihrem etwaigen gemeindlichen Vorkaufsrecht Gebrauch machen wird. Die Ausübung des Vorkaufsrechts berechtigt die Gemeinde, selbst das Grundstück zu den zwischen den eigentlichen Vertragsparteien verhandelten Konditionen zu übernehmen. Unter besonderen Umständen hat die Gemeinde sogar das Recht, ein Grundstück zu einem günstigeren Kaufpreis zu übernehmen, als dies die Parteien des Kaufvertrages miteinander verhandelt haben. Für den potentiellen Erwerber bedeutet die Ausübung des Vorkaufsrechts aber jedenfalls, dass er das Grundstück nicht wie geplant erwerben kann. Im Einzelnen:
II. Allgemeines und Besonderes Vorkaufsrecht
Einer Gemeinde steht nicht pauschal für jedes Grundstück ein Vorkaufsrecht zu. Vielmehr ist das Vorkaufsrecht an gesetzliche Voraussetzungen geknüpft. Dabei ist grundsätzlich zwischen einem allgemeinen (§ 24 BauGB) und einem besonderen städtebaulichen Vorkaufsrecht (§ 25 BauGB) zu unterscheiden.
Ein allgemeines Vorkaufsrecht kann die Gemeinde etwa dadurch begründen, dass sie das Gebiet, auf dem sich das Grundstück befindet, durch Satzung als Entwicklungsbereich oder Erhaltungsgebiet („Milieuschutz“) festlegt. Demgegenüber zeichnen sich besondere Vorkaufsrechte dadurch aus, dass sie ausdrücklich und im Wege einer speziell als solche bezeichneten Vorkaufsrechtssatzung begründet werden.
III. Vorrangige Belange des Allgemeinwohls erforderlich
Aufgrund des Einschnitts in die Vertragsfreiheit von Grundstückkäufer und -verkäufer kommt die Ausübung eines Vorkaufsrechts lediglich dann in Betracht, wenn dies im Einzelfall durch überragende Belange des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist. Vor dem Hintergrund des Allgemeinwohls hat die Gemeinde bei der Ausübung insbesondere den Verwendungszweck des Grundstücks anzugeben. So kann überprüft werden, ob der angegebene Zweck auch tatsächlich existiert oder bloß irrtümlich oder gar willkürlich angegeben worden ist. Denkbar wäre insofern, dass eine Gemeinde städtebauliche Ziele sicherstellen will, zu deren Erreichung sich die Vertragsparteien zuvor bereits aus freien Stücken verpflichtet haben, sodass gegebenenfalls der angegebene Ausübungsgrund in Wirklichkeit schon gar nicht vorläge.
Doch selbst, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, sind Grundstückkäufer und -verkäufer keinem rechtlich unbegrenzten städtebaulichen Vorkaufsrecht ausgesetzt. So schließt das Baugesetzbuch für einzelne Zwecke die Ausübung eines Vorkaufsrechts gezielt aus.
IV. Zur Ausübung und deren Folgen
Die Gemeinde übt das Vorkaufsrecht durch Bescheid gegenüber Grundstückverkäufer und/oder -käufer aus. Insoweit handelt es sich also um einen hoheitlichen Verwaltungsakt der Gemeinde.
Aber welche rechtlichen Auswirkungen folgen auf den Erlass eines solchen Verwaltungsakts? Nach zivilrechtlichen Grundsätzen ist derjenige, der von einem Vorkaufsrecht Gebrauch macht, an die Konditionen des sog. „Erstvertrags“ gebunden.
Dieser Grundsatz ist in zweierlei Hinsicht nicht auf die gemeindliche Vorkaufsrechtsausübung übertragbar:
1. Limitierung des Kaufpreises durch die Behörde auf den Verkehrswert
Zunächst ist die Gemeinde nicht zwingend an die Konditionen des Kaufvertrags, etwa die Höhe des vereinbarten Kaufpreises, gebunden. Seit dem Baulandmobilisierungsgesetz 2021 (BMobG 2021) sind Gemeinden gesetzlich dazu befugt, den Kaufpreis einseitig erheblich zu senken, wenn dieser den Verkehrswert überschreitet (sog. Preislimitierung). Insoweit könnte argumentiert werden, die Gemeinde dürfe Grundstücksverkäufern nunmehr eigennützige Konditionen aufzwingen, mit der Einschränkung, dass der Kaufpreis jedenfalls dem Verkehrswert des Grundstücks entsprechen muss.
In der Praxis birgt diese neugeschaffene Möglichkeit hohes Streitpotential: Zweifelsohne gehen die Auffassungen über die Ermittlung des Verkehrswertes aus Behördensicht und aus Sicht der Investoren weit auseinander. In aller Regel werden Parteien untereinander den zwischen ihnen gefundenen Wert auch als den richtigen Wert für das Grundstück im Sinne des aktuellen Verkehrswertes empfinden. Wenn also Gemeinden nach gängiger Praxis den Verkehrswert nach dem sogenannten Bodenrichtwert bestimmen, ist aus Investorensicht sicherlich nur schwer vorstellbar, wie damit der tatsächliche Wert des Grundstücks auf einem dynamischen Immobilienmarkt abgebildet werden soll.
2. Doppelverpflichtung des Grundstückverkäufers
Darüber hinaus tritt die Gemeinde aus vertragsrechtlicher Perspektive nicht etwa in den bereits geschlossenen notariellen Kaufvertrag ein. Vielmehr entsteht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ein zweiter, rechtlich selbständiger Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Gemeinde. Der Erstkaufvertrag bleibt dabei im Grundsatz zunächst unberührt und ist damit weiterhin wirksam.
Daraus folgt, dass sich der Verkäufer in einer Situation befindet, in der er zur Erfüllung beider Kaufverträge verpflichtet ist. Das heißt, dass der Verkäufer das Eigentum am Grundstück sowohl an den Erstkäufer als auch an die Gemeinde übertragen lassen müsste. Dies ist für den Verkäufer freilich unmöglich. In der Folge kann sich der Verkäufer gegenüber dem Erstkäufer schadensersatzpflichtig machen: jedenfalls in Verbindung mit dem notariellen Kaufvertrag entstandene Kosten wären dem Erstkäufer zu ersetzen.
Gemäß § 28 BauGB ist es dem Käufer ohnehin verwehrt, das Eigentum an dem Grundstück an den ursprünglichen Käufer zu übertragen. Im Übrigen führt das Fehlen eines Negativattests dazu, dass das Grundbuch gleichsam „gesperrt“ ist. Das Grundbuchamt ist nämlich per Gesetz angewiesen, solange keinen Käufer als neuen Eigentümer in das Grundbuch einzutragen, wie dieser kein Negativattest beim Grundbuchamt vorlegt.
3. Pattsituation nach Rücktritt des Verkäufers
Als weitere Besonderheit können Grundstücksverkäufer nach § 28 Abs. 3 Satz 2 BauGB vom Zweitkaufvertrag mit der Gemeinde zurücktreten, wenn die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht ausübt und gleichzeitig den Kaufpreis herabsenkt (preislimitierende Ausübung). Macht der Verkäufer hiervon Gebrauch, entsteht eine rechtliche Pattsituation: Der Verkäufer kann weder dem Erstkäufer mangels Negativattest noch der Gemeinde mangels wirksamen Kaufvertrags das Eigentum am Grundstück übertragen.
Sobald die Gemeinde sich also einmal dafür entschieden hat, von einem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen, kann dieser sich vor einem zu preiswerten Verkauf an die Gemeinde durch Ausübung des Vorkaufsrechts schützen. Allerdings wird die Gemeinde in aller Regel in einem solchen Fall kein Negativattest ausstellen. Dies hat schließlich zur Folge, dass der Erstkaufvertrag nicht mehr vollzogen werden kann. Der Verkäufer hat also nach wie vor das Eigentum am Grundstück, das Grundstück ist aber faktisch unverkäuflich (es sei denn, er lässt sich auf den günstigeren Kaufpreis für die Gemeinde ein). Besonders für den Fall, dass der Verkäufer mit dem Verkaufserlös geplant hat, eine unglückliche Ausgangslage.
V. Rechtsschutzmöglichkeiten der Vertragsparteien
Dass es hierzu kommt, kann jedoch auf verschiedenen Wegen verhindert werden. Zunächst können beide Parteien des Erstkaufvertrags als Adressaten eines solchen Ausübungsbescheids (soweit der Bescheid gegenüber beiden Parteien bekannt gegeben worden ist) Widerspruch gegen diesen einlegen und bzw. oder gegebenenfalls im Wege einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht einen Rechtsstreit gegen die Gemeinde über die Rechtmäßigkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts führen. Im Erfolgsfall hebt das Gericht den Ausübungsbescheid auf und verpflichtet die Gemeinde zur Ausstellung eines Negativattests mit der Folge, dass der Erstkaufvertrag im Ergebnis abgewickelt werden kann. Dass damit eine erhebliche Verzögerung des Ankaufsvorganges einhergeht, versteht sich. Im Übrigen ist ungewiss, ob nach Abschluss eines solchen Rechtsstreits die Interessenlage der ursprünglichen Vertragsparteien immer noch die gleiche ist.
Eine Besonderheit besteht indes für diejenigen Fälle, in denen die Gemeinde den Kaufpreis herabsenkt (sog. Preislimitierung): Hier müssen die Vertragsparteien des Erstkaufvertrags einen sogenannten Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 217 BauGB stellen. Ungewöhnlich ist dabei nicht nur, dass der Antrag an die Stelle zu richten ist, die das Vorkaufsrecht ausübt – dies dürfte zumeist die Gemeinde selbst sein – sondern auch, dass diese den Antrag sodann an die Baulandkammern der zuständigen Landgerichte (nicht also an das Verwaltungsgericht) weiterleiten muss. Diese haben über die Rechtmäßigkeit der Ausübung eines städtebaulichen Vorkaufsrechts zu entscheiden. Betroffene sind somit bei einer Preislimitierung durch die Gemeinde auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
VI. Notarieller Kaufvertrag in der Sackgasse
Für den ursprünglichen Käufer besteht die Möglichkeit, unter Umständen die Ausübung des Vorkaufsrechts entweder durch einen vorzeitigen Abschluss von Abwendungsvereinbarungen oder aber einseitig in Form einer Erklärung gegenüber der Gemeinde nach § 27 BauGB nachträglich abzuwenden.
Hierzu sei gesagt, dass die Wahrnehmung der Abwendungsmöglichkeit des Käufers allenfalls dann relevant ist, wenn der ursprüngliche Käufer immer noch an einem Vollzug des notariellen Kaufvertrags interessiert ist.
Verkäufer können bei einer preislimitierenden Ausübung der Gemeinde den Rücktritt vom Zweitkaufvertrag mit der Gemeinde erklären. Damit ist festzuhalten, dass Grundstücksverkäufer im Ergebnis nicht zum Verkauf zu einem von der Gemeinde vorgegebenen, niedrigeren Preis gezwungen werden können.
Bei einer Rückabwicklung sind sodann empfangene Leistungen zurück zu gewähren und gezogene Nutzungen herauszugeben. Zudem hat die Gemeinde die Kosten des Vertrags gemessen am ermittelten Verkehrswert zu ersetzen. Zu diesen Kosten des Vertrags gehören etwa die Kosten der etwaigen Beurkundung des Kaufvertrags, die Kosten einer Auflassungsvormerkung sowie die Maklerprovision.
Nach alledem wird der Erstkaufvertrag jedoch nicht zwingend dadurch nichtig, dass der Verkäufer vom Zweitkaufvertrag mit der Gemeinde zurücktritt. Vielmehr bleibt dieser wirksam, kann jedoch solange nicht vollzogen werden, wie ein Gericht nicht entschieden hat, dass die Gemeinde zur Ausübung nicht berechtigt war. Sowohl Grundstücksverkäufer als auch Investoren sind dann bis zum rechtskräftigen Urteil an einer Kalkulation mit dem Verkaufsertrag bzw. dem Grundstück für eine etwaige Weiterveräußerung gehindert.
VII. Rechtstipps für die Praxis
Senkt eine Gemeinde bei Ausübung eines Vorkaufsrechts zusätzlich den Kaufpreis, kann dies für die Vertragsparteien mitunter zu untragbaren Ergebnissen führen. Zudem stellen sich im Einzelnen verschiedene Folgefragen, die rechtlich nicht abschließend höchstrichterlich geklärt sind. Daher ist es ratsam, frühzeitig im Vorfeld des Vertragsabschlusses in Erfahrung zu bringen, ob der Gemeinde ein Vorkaufsrecht zusteht und ob sie die Ausübung desselben beabsichtigt. Insofern bietet es sich gerade bei Projektgrundstücken an, einen frühzeitigen und offenen Austausch mit der Gemeinde über deren Absichten zu suchen.
Macht die Gemeinde ihre Absichten erst einmal transparent, kann es sich lohnen, im Vorfeld über einen Notar eine Verzichtserklärung der Gemeinde einzuholen. Denn in dem Fall sind die Parteien des Grundstückkaufvertrags nicht auf ein Negativattest der Gemeinde angewiesen. An der Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Gemeinde eine solche Verzichtserklärung per Gesetz jederzeit widerrufen darf. Je nach Austausch zwischen Vertragsparteien und Gemeinde im Vorfeld des Abschlusses eines Kaufvertrags kann es sich also durchaus lohnen, eine Verzichtserklärung der Gemeinde einzuholen. Da die Gemeinde hieran letztlich aber nicht gebunden ist, können die Erfolgsaussichten variieren.
Wird das Grundstück nicht von einer natürlichen Person, also einer Kapitalgesellschaft gehalten, kommt zudem die Übertragung eines Grundstücks im Wege eines sog. Share Deals in Betracht, bei welchem die Grundstücksübertragung indirekt über den Erwerb von Unternehmensanteilen erfolgt. Ein solcher Share Deal löst kein Vorkaufsrecht der Gemeinde aus, da rechtlich kein Eigentumswechsel am Grundstück stattfindet, sondern lediglich an der haltenden Kapitalgesellschaft, da.
Dennoch ist auch bei Share Deals Vorsicht geboten: Bei der Durchführung von Share Deals könnte sich eine an sich vorkaufsberechtigte Gemeinde veranlasst sehen, einen Share Deal als einen „kaufähnlichen Vorgang“ einzuordnen und auf dieser Basis ein Vorkaufsrecht auszuüben. So ging etwa das Bezirksamt Berlin-Neukölln im Jahre 2021 bei einem Share Deal vor. Der Ausübungsbescheid stünde in der Folge der Realisierung des Share Deals in Bezug auf das Grundstück im Wege, so dass auch hier die oben beschriebenen zeitintensiven gerichtlichen Schritte unternommen werden müssten. Demnach kann es im Einzelfall auch vor Unterzeichnung eines Anteilskaufvertrags geboten sein, vorsichtshalber eine Verzichtserklärung der Gemeinde einzuholen.
Jedenfalls sorgt ein frühzeitiger Abschluss von Abwendungsvereinbarungen mit der Gemeinde für Klarheit. Sollte es dennoch zu einer Ausübung eines Vorkaufsrechts kommen, ist den Parteien des Kaufvertrags zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten und ungewollten Ergebnissen zu raten, klare und unmissverständliche Klauseln für einen beidseitigen Rücktritt bereits in den zwischen Ihnen abzuschließenden notariellen Kaufvertrag aufzunehmen. So ist jedenfalls sichergestellt, dass im Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer klare Regeln bestehen, die zumindest das Rechtsverhältnis auf dieser Ebene für den Fall der Ausübung eines Vorkaufsrechts durch die Gemeinde nicht ungeklärt lassen.
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