Dieser Beitrag setzt den ersten Teil unseres Specials fort.
In einer aktuellen Entscheidung vom 09.02.2024 (Az: II ZR 220/22) hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit drei Rechtsfragen auseinandergesetzt, die für die Unternehmenspraxis – insbesondere in der Immobilienwirtschaft – von großer Bedeutung sind. Im Fokus standen erstens das Selbsthilferecht eines Gesellschafters einer GmbH hinsichtlich der Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund bei Mängeln der Gesellschafterversammlung, zweitens die Frage der Kenntnis und des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit der positiven und negativen Publizität des Handelsregisters (§ 15 HGB) und drittens die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht, insbesondere in Bezug auf deren parallele Anwendung zu den Regelungen der negativen Publizität des Handelsregisters.
Diese Fragestellungen, die zunächst eher förmliche Aspekte betreffen und dem Praktiker auf den ersten Blick vielleicht nicht ins Auge fallen, entscheiden letztlich aber über die Wirksamkeit wesentlicher Rechtsgeschäfte und können schwerwiegende Folgen nach sich ziehen, so dass sich ein näherer Blick lohnt. Der erste Teil dieses Specials beschäftigte sich mit dem Selbsthilferecht des Gesellschafters bei der Einberufung der Gesellschafterversammlung und dem Vertrauen auf das Handelsregisters trotz Kenntnis entgegenstehender Umstände. Der zweite Teil setzt sich nun mit den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht auseinander, gibt eine Übersicht über noch offene Fragen und enthält einzelne Thesen für die praktische Anwendung.
V. Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht
Obwohl im Grundsatz Vertrauensschutz auf die Eintragung im Handelsregister bestehe, so der BGH im gegenständlichen Streitfall (vgl. zum Sachverhalt:
Teil I des Specials), liege aber ein Missbrauch der Vertretungsmacht vor, dessen Grundsätze auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Abs. 1 HGB gelten würden.
Der Geschäftsführer habe zwar mit dem Abschluss des Grundstückskaufvertrags ohne Gesellschafterbeschluss die im Innenverhältnis bestehenden Grenzen seiner Vertretungsmacht missachtet. Das Risiko einer missbräuchlichen Verwendung der Vertretungsmacht habe aber grundsätzlich die vertretene Gesellschaft zu tragen, so dass die Beklagte als Käuferin aus dem Verstoß des Geschäftsführers im Innenverhältnis keine Nachteile träfen und sie sich auf den Kauf verlasse könne.
Aus Rechtsscheingrundsätzen können indes keine weitergehenden Rechte hergeleitet werden, als sie bestünden, wenn der Rechtsschein zuträfe. Das bedeutet, dass die Beklagte über § 15 Abs. 1 HGB zwar weiterhin auf die eingetragene Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers vertrauen durfte. Dies gilt jedoch nur in dem Maße, wie eine solche Vertretungsbefugnis gesetzlich überhaupt gewährt wird. Denn aus § 49 Abs. 2 GmbHG folge, dass ein Geschäftsführer bei besonders bedeutsamen Geschäften angehalten sei, die Zustimmung der Gesellschafterversammlung von sich aus einzuholen. Seine Vertretungsmacht ist dann aus rechtlichen Gründen bereits begrenzt und diese Grenzen werden nicht durch das Vertrauen auf das Handelsregister überwunden. Die Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens einer GmbH sei ein solchermaßen besonders bedeutsames Geschäft. Dies gelte aber auch dann, wenn – wie vorliegend – das übertragene Gesellschaftsvermögen im Wesentlichen aus einem Grundstück besteht und der Gegenstand des Unternehmens den Verkauf von Grundstücken umfasst.
Ob ein Grundstück das nahezu gesamte Vermögen einer Gesellschaft darstellt, mag ein Vertragspartner im Regelfall nicht erkennen können, so dass er ohne diese positive Kenntnis im Regelfall schutzwürdig wäre. Allerdings ist das Vertrauen des Geschäftspartners in den Bestand des Geschäfts nicht schutzwürdig, wenn er weiß oder wenn es sich ihm geradezu aufdrängen muss, dass der Vertreter seine Vertretungsmacht missbraucht. Solchen Missbrauch nimmt der BGH an, wenn von der Vertretungsmacht in „ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch gemacht wird, so dass beim Vertragspartner begründete Zweifel bestehen mussten, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliege.“ Notwendig sei dabei „eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs“. Der Verstoß müsse sich dem Vertragspartner „geradezu aufdrängen“.
Solche objektive Evidenz nimmt der BGH im konkreten Fall an, wenn bereits die Firma der Gesellschaft, wie im Streitfall, in nach außen offensichtlicher Weise darauf hinweist, dass die Immobilie ihr alleiniger oder zumindest wesentlicher Vermögensgegenstand ist.
Beispiel: Die ‚Hauptstraße 17 GmbH‘ verkauft das Grundstück an der Adresse Hauptstraße 17.
Einem verständigen Vertragspartner müsse in einem solchen Fall nämlich grundsätzlich klar sein, dass der Geschäftsführer die GmbH nicht ohne Zustimmung der Gesellschafter unternehmenslos stellen könne. Aber auch wenn mit einer Immobilie nur ein einzelner Vermögensgegenstand übertragen werden soll, könne es sich nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen, dass der Geschäftsführer das Geschäft wegen seiner Bedeutung für die Gesellschaft nicht ohne Rückversicherung bei den Gesellschaftern vornehmen könne, also ein zustimmender Gesellschafterbeschluss erforderlich gewesen sei.
Eine solche Beschlussnotwendigkeit hätte im zu entscheidenden Fall angesichts der evidenten Veräußerung des wesentlichen Vermögensgegenstands nach Ansicht des BGH auch für einen juristischen Laien auf der Hand gelegen.
Eine denkbare Rückausnahme wiederum, dass ein Sich-Aufdrängen der auf der Hand liegenden Zustimmungsnotwendigkeit trotz dieser Indizien abzulehnen wäre, hätte es daher eines „gegenläufigen“ (rechtsirrigen) Rechtsrats durch eine juristische Vertrauensperson bedurft. Das Vertrauen in den Rechtsrat der Vertrauensperson würde nämlich umgekehrt wiederum einen rechtlich relevanten Rechtsirrtum der Käuferin darstellen, der dann dazu führen würde, dass die Käuferin trotz der Indizwirkung der Firma der GmbH doch schutzwürdiges Vertrauen in die Vertretungsmacht des Geschäftsführers hätte haben dürfen. Ein solcher Rechtsrat war vorliegend jedoch nicht nachgewiesen, so dass es bei dem Ausschluss des guten Glaubens der Beklagten aufgrund der Indizwirkung der Firmierung blieb.
Soweit die Beklagte im Vertrauen auf § 15 Abs. 1 HGB handelte, hilft dies nur insoweit, dass der Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen und somit als vertretungsberechtigter Geschäftsführer gilt. Der Umstand dass auch ein vertretungsberechtigter Geschäftsführer die Gesellschafter über den Verkauf des (nahezu) gesamten Vermögens hätten entscheiden lassen müssen, wird dadurch aber nicht berührt. § 15 Abs. 1 HGB sichert nur das Vertrauen in die allgemeine Vertretungsmacht. Soweit das geltende Recht der GmbH die Vertretungsmacht aber auch für eingetragene Geschäftsführer limitiert, gibt § 15 Abs. 1 HGB keinen darüber hinaus gehenden Vertrauensschutz.
Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht greifen dann ein, wenn im Außenverhältnis Vertretungsmacht (oder ein Rechtsscheintatbestand) besteht, der Geschäftsführer im Innverhältnis aber seine Vertretungsmacht überschreitet und der Vertragspartner dies positiv weiß und keine weiteren Umstände hinzutreten, die dieses Wissen des Vertragspartners wiederum erschüttern könnten.
Die finalen Thesen aus dem in den beiden Teilen des Specials behandelten BGH-Urteil lassen sich so zusammenfassen:
Wird eine Gesellschafterversammlung vom Geschäftsführer nicht wirksam einberufen, so kann ein Gesellschafter mit mindestens 10% des Stammkapitals die Einberufung aufgrund seines Selbsthilferechts selbst durchführen, ohne sein Verlangen erneut an die Geschäftsführung richten zu müssen.
Des Weiteren sichert § 15 Abs. 1 HGB dem Käufer trotz (ggfs. bekanntem aber bestrittenem) Abberufungsbeschluss das Vertrauen in die Vertretungsmacht eines Geschäftsführers, wenn dieser weiterhin im Handelsregister eingetragen ist. Schädlich wäre nur positive und nicht durch weitere Umstände erschütterte Kenntnis im Hinblick auf die Unrichtigkeit der Eintragung. Eine Einschränkung der Publizitätswirkung muss im Interesse der Rechtssicherheit jedenfalls streng begrenzt sein.
Soweit das GmbHG der Vertretungsmacht aber Grenzen zieht, weil z.B. Grundlagengeschäfte immer der Entscheidung durch die Gesellschafter bedürfen, gewährt § 15 Abs. 1 HGB keinen Vertrauensschutz gegen solche gesetzlichen Grenzen der Vertretungsmacht.
Wenn aus der objektiven Benennung der Firma einer Gesellschaft erkennbar ist, dass das nahezu gesamte Vermögen verkauft wird, muss auch ein juristischer Laie wissen, dass erstens, das gesamte Vermögen verkauft wird und zweitens, dass der Geschäftsführer ein solches Geschäfts nicht ohne Zustimmung der Gesellschafter durchführen darf.
Ein juristischer Irrtum im Hinblick auf ein solches Beschlusserfordernis ist in dieser konkreten Konstellation irrelevant, es sei denn, der juristische Laie hätte einen „gegenläufigen“ (wenn auch rechtsirrigen) Rechtsrat durch eine juristische Vertrauensperson erhalten. Ein solcher (falscher) Rat durch einen vertrauten Rechtsanwalt oder Notar würde wiederum die durch die Firmierung geschaffene objektive Evidenz erschüttern und schließlich dennoch schutzwürdiges Vertrauen schaffen.
Noch offen und hoch relevant für die Praxis ist daher, ob diese Grundsätze auf weitere Fallgestaltungen übertragbar sein können, insbesondere mit der Folge ob und inwiefern individuelle Fragestellungen bzgl. der Vertretungsmacht und bzgl. schutzwürdigem Vertrauen wesentliche Geschäfte in der Praxis gefährden könnten. Außerdem bereiten die subjektiven Voraussetzungen der objektiv evidenten Überschreitung der Vertretungsmacht erhebliche Beweisschwierigkeiten.
Insoweit lässt sich kein allgemeiner Rechtssatz formulieren, der alle denkbaren individuellen Fragestellungen abhandelt. Das Beschlusserfordernis bei Verkauf des gesamten Vermögens, das aus § 49 Abs. 2 GmbHG folgt, ist allerdings nicht neu. Wesentliche Fragestellungen bleiben den Gesellschaftern vorbehalten und was wesentlich ist entscheidet im Ergebnis die Rechtsprechung. Das war schon immer so.
Vorliegend hat der BGH aber recht deutlich klargestellt, dass eine objektive Evidenz des Missbrauchs vorliegen müssen, die sich aufdrängen müsse und hat gerade darauf abgestellt, dass dies für einen juristischen Laien erkennbar sein müsse.
Ein vergleichbarer Fall müsste daher eine für Laien offensichtliche, ähnlich starke Evidenz haben wie eine Firmenbezeichnung, die einem Vertragspartner in jedem Fall zur Kenntnis gelangt.
Beispiel: Der Verkauf wesentlicher Produktionsmittel ist für einen Vertragspartner wohl nicht so einfach erkennbar.
Zentrales Element laut BGH war die Erkennbarkeit bereits aus der Firma. Dass durch die bloße Firmenbezeichnung andere Betriebsmittel bereits als einziges Vermögen identifiziert werden könnten, dürfte außer im Immobilienbereich kaum vorkommen. Auch eine mögliche Auswertung der Aktiva einer Bilanz dürfte für den juristischen Laien nicht dieselbe Evidenzwirkung haben wie die Straßenadresse in einer Unternehmensbezeichnung. Die Hürde für die Anwendung der Rechtsprechung auf ähnliche Fälle dürfte daher recht hoch liegen.
Nicht auszuschließen ist aber weitere Rechtsfortbildung, nach der möglicherweise eine ähnliche objektive Evidenz aus anderen Umständen des Einzelfalles geschlussfolgert werden könnte. Diese müsste sich aber weiterhin auch dem juristischen Laien aufdrängen und eine ähnliche Strahlwirkung haben wie eine Firmenbezeichnung.
Eine grundsätzliche Ausuferung der Rechtssprechungsgrundsätze auf anders gelagerte Fälle ist also eher nicht zu erwarten. Für den Praktiker bleibt es jedoch in jedem Fall ratsam, im Hinblick auf die konkreten Umstände wachsam zu sein.
VIII. Fazit
All diese Erwägungen zeigen, dass die Fragen nach Eintragung und Abberufung von Geschäftsführern, dem Missbrauch der Vertretungsmacht und der Bewertung einzelner Aspekte von Vertrauensschutz zu höchst komplizierten und selbst für geübte Praktiker nur schwer überschaubaren rechtlichen Fragestellungen führen. Es gibt allgemeine Rechtsgrundsätze dazu, Ausnahmen und wiederum Rückausnahmen, deren Ergebnis nicht in jedem Fall sicher zu prognostizieren ist.
Das in der Praxis oft stiefmütterlich behandelte Thema von Vertretungsmacht kann aber schwerwiegende Folgen haben. Vorliegend ging es um die Frage, ob der Verkauf des gesamten Vermögens durch eine nicht mehr und/oder nicht so weitgehend vertretungsberechtigte Person wirksam oder unwirksam ist.
Was kann die Praxis nun tun, um Rechtssicherheit für ihre Geschäfte zu erlangen? Der Geschäftsführer selbst kann bei Zweifel an der eigenen Vertretungsmacht die Gesellschafter fragen und entscheiden lassen. Der Vertragspartner kann bei Zweifeln an der Vertretungsmacht der anderen Vertragsseite, einen eben solchen Gesellschafterbeschluss des Vertragspartners verlangen. Im vorliegenden Fall hätte sogar ein falscher Rat eines Rechtsberaters auf Seite der beklagten Käuferin Vertrauensschutz herstellen können. Umgekehrt hätte man auf einen richtigen, d.h. warnenden Rat eines Rechtsberaters hingegen angemessen reagiert und nicht blind unterschrieben, respektive notariell beurkundet.
Die Empfehlung für die Praxis ist aber keineswegs, sich auf Rechtscheinaspekte aus Fallgruppen zu berufen und zu hoffen, dass der BGH diese als schutzwürdig ansieht. Es empfiehlt sich in der Praxis Vertretungsmacht durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen. Schon das Vertrauen auf das Handelsregister trotz vorliegendem Abberufungsbeschluss stellt ‚bedenklichen Mut‘ dar, wenn ein großer Immobiliendeal davon abhängt. Ob dieser Mut im vorliegenden Fall möglicherweise darauf beruhte, dass man das Geschäft unbedingt wollte und das Risiko daher sehenden Auges in Kauf nahm, lässt sich nicht aufklären. Solche Risiken sollte man in der Praxis nicht eingehen.
Wer die Praxis der Immobilienbranche kennt, weiß, dass vor einem Verkauf von Gewerbeimmobilen umfassende Nachforschungen vor allem durch technische Due Diligence durchgeführt werden, die aber nur die bauliche Qualität der Immobilie betreffen. Wir empfehlen auch beim Asset Deal in der Immobilienbranche, mithin dem Verkauf einer einzelnen Immobilie, ein Mindestmaß an rechtlicher Due Diligence nicht zu vernachlässigen, da die Konsequenzen aus fehlender Information drastisch sein können.
In der Branche ist es üblich, dass eine einzelne Gesellschaft nur eine Gewerbeimmobilie hält und tatsächlich mit deren Adresse firmiert. Die kursorische Prüfung der gesellschaftsrechtlichen Strukturen dürften solche Themen im Regelfall sichtbar machen. Dann bieten sich Rückfragen an den Verkäufer an, der den Sachverhalt aufklären kann. Auch wenn der BGH in gewissen Konstellationen eine Pflicht zur Nachforschung verneint, helfen freiwillige Nachfragen um Rechtsicherheit zu erlangen. Diese sind typischerweise Gegenstand sorgfältiger Due Diligence. Ist das Thema identifiziert, sind auch Lösungen zu finden.
Einen allgemeinen Rat, wie alle Vertretungsfälle in den Griff zu bekommen sind, kann es nicht geben. Unsere Empfehlung ist aber, Vertretungsfälle sorgfältig zu prüfen, im Zweifelsfall durch einen spezialisierten Berater. Und zwar besser vor Beurkundung, als wie in vorliegendem Fall nachträglich durch die Gerichte.
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