I. Einleitung
Im Zeitraum vom 01. März 2020 bis zum 31. März 2022 konnten Arbeitgeber einen Betrag in Höhe von € 1.500,00 zusätzlich zum Arbeitslohn steuerfrei an ihre Mitarbeiter auszahlen, sofern diese Zahlungen der Abmilderung der durch die Corona-Pandemie geschaffenen Umstände dienten. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte nun in einem Urteil vom 23.02.2022 zu entscheiden, ob diese sogenannte „Corona-Prämie“ zum pfändbaren Anteil des Arbeitseinkommens eines Arbeitnehmers gehört. Der Kläger war als Busfahrer im ÖPNV tätig und befand sich zum Zeitpunkt der Auszahlung der Prämie durch seine Arbeitgeberin in Privatinsolvenz. Die Beklagte zahlte die tarifvertraglich geregelte Prämie in zwei Tranchen aus, wobei die erste Zahlung im Jahr 2020 vorgenommen wurde und die zweite Zahlung im Jahr 2021 erfolgte. Der Kläger erhielt jeweils nur einen Teil der Beträge, während der übrige Teil an den Insolvenzverwalter ausgezahlt wurde. Der Kläger vertrat im Rahmen des Verfahrens die Auffassung, ihm stehe ein Anspruch auf Auszahlung der vollständigen Corona-Prämie zu, weil diese nicht vom pfändbaren Arbeitseinkommen umfasst werde.
II. Wie das Einkommen gepfändet werden kann
Im Rahmen der Privatinsolvenz sind die pfändbaren Einkünfte ebenso an den Insolvenzverwalter abzuführen, wie dies bei der Einzelvollstreckung in den Arbeitslohn der Fall ist. Da das Arbeitseinkommen bei vielen Schuldnern das einzige Vermögen darstellt, ist die Zwangsvollstreckung in Arbeitslohnforderungen ein häufig genutztes Mittel, Forderungen bezüglich derer der Gläubiger über einen sog. Titel (z.B. ein Urteil) verfügt, beizutreiben. Auf entsprechenden Antrag des Gläubigers hin wird dem Arbeitgeber durch das Vollstreckungsgericht ein sog. Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt. Dieser enthält den Ausspruch, dass die Lohnforderung eines Arbeitnehmers (Schuldner), die dieser gegen den Arbeitgeber (Drittschuldner) hat bzw. künftig haben wird, in Höhe eines bezifferten Betrages gepfändet und dem Vollstreckungsgläubiger „zur Einziehung überwiesen“ wird.
Der Arbeitgeber ist als Drittschuldner dafür verantwortlich, die Pfändung richtig und ordnungsgemäß durchzuführen. Durch den Pfändungsbeschluss wird ihm (Drittschuldner) verboten, gepfändetes Einkommen an den Schuldner (den Mitarbeiter) zu zahlen. Der Arbeitgeber muss also im Rahmen der monatlichen Lohnabrechnung das pfändbare Arbeitseinkommen feststellen und an den Gläubiger auszahlen. Entsprechendes gilt bei einer Privatinsolvenz des Arbeitnehmers im Verhältnis des Arbeitgebers zum Insolvenzverwalter. Die Risiken beschlusswidriger Auszahlung an den Arbeitnehmer und was es bei der Ermittlung und Berechnung der gepfändeten Einkommensteile im Allgemeinen zu beachten gilt, werden im Folgenden kurz überblicksartig dargestellt.
1. Lohnpfändung – Position des Arbeitgebers
Wird dem Arbeitgeber ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt, so trifft ihn zunächst gem. § 840 Zivilprozessordnung (ZPO) die Pflicht zur Abgabe der sog. Drittschuldnererklärung. Um die nachstehenden Auskünfte zu erteilen, hat der Arbeitgeber ab Zustellung zwei Wochen Zeit.
(1) Ob und inwieweit er die Forderung als begründet anerkennt und Zahlung zu leisten bereit ist.
(2) Ob und welche Ansprüche andere Personen an die Forderung erheben.
(3) Ob und wegen welcher Ansprüche die Forderung bereits für andere Gläubiger gepfändet ist (§ 840 ZPO).
Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach oder sind die erteilten Auskünfte nicht korrekt, steht dem Vollstreckungsgläubiger gegebenenfalls ein Schadenersatzanspruch gegen ihn zu (§ 840 Abs.2 Satz 2 ZPO). Ein solcher Anspruch kommt z.B. in Betracht, wenn der Vollstreckungsgläubiger aufgrund der vom Arbeitgeber zu erteilenden Auskünfte erkannt hätte, dass die Lohnpfändung erfolglos ist und er aufgrund der nicht erteilten Auskunft anderweitige Vollstreckungsmaßnahmen unterlassen hat.
Der Arbeitgeber muss die Rechtmäßigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht überprüfen. Er wird auch dann von seiner Leistungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer frei, wenn er aufgrund eines zu Unrecht erlassenen oder ohne sein Wissen wieder aufgehobenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss den pfändbaren Betrag an den Vollstreckungsgläubiger auszahlt (§ 836 Abs. 2 ZPO). Durch den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss verändert sich die Rechtsstellung des Arbeitgebers grundsätzlich nicht zu seinem Nachteil. Stehen ihm zum Zeitpunkt der Einwendungen gegen den Lohnanspruch des Arbeitnehmers zu, so kann der Arbeitgeber diese auch gegen den Vollstreckungsgläubiger geltend machen. Verfügt er über eine aufrechenbare Gegenforderung, darf er auch aufrechnen.
Grundsätzlich dauert die Pfändung bis zur völligen Befriedigung des Gläubigers an, sofern der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss keine zeitlichen Beschränkungen enthält.
2. Ermittlung und Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens
Aufgrund des im Pfändungsbeschluss ausgesprochenen Verbots ist es dem Arbeitgeber als Drittschuldner verboten, die gepfändete Forderung an den Schuldner, seinen Arbeitnehmer, auszuzahlen. Gleiches gilt während des Insolvenzverfahrens. Das Verbot der Auszahlung an den Schuldner greift aber nur dann, wenn die Lohnforderung auch pfändbar ist.
Welche Teile des Arbeitseinkommens gepfändet werden können, ergibt sich aus § 850 bis § 850i ZPO. Dabei ist zwischen dem vollständig pfändbaren, dem nur bedingt pfändbaren und dem unpfändbaren Einkommen des Arbeitnehmers zu unterscheiden. Vollständig pfändbar ist in jedem Fall der reguläre Arbeitslohn inklusive Abfindungen, Lohnersatzleistungen, Altersrenten, Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II.
Gemäß § 850a ZPO zählen das Urlaubsgeld, Gefahren-, Schmutz oder Erschwerniszulagen, etwaige Aufwandsentschädigungen, die Hälfte der Mehrarbeitsvergütungen oder Nachtzuschläge und die Hälfte des Weihnachtsgeldes zum unpfändbaren Einkommen. Aber auch Erziehungs-, Studien-, Heirats- und Geburtsbeihilfen, Kindergeld, Sterbebezüge und Blindenzulagen unterliegen dem Pfändungsschutz. Das bedingt pfändbare Einkommen ist schließlich in § 850b ZPO geregelt. Von dieser Regelung umfasst werden beispielsweise Unterhaltsrenten oder Bezüge aus Witwen-und Krankenkassen etc. Diese Einkünfte sind unter der Bedingung pfändbar, dass das Vermögen des Schuldners (voraussichtlich) nicht zur Deckung der Forderungen des Gläubigers ausreicht und der Schuldner dadurch nicht in eine existenzielle Notlage gerät.
Zur Sicherung des Existenzminimums muss dem Arbeitnehmer zudem ein Mindestbetrag verbleiben. Innerhalb dieser sog. Pfändungsfreigrenzen, die sich nach dem jeweiligen Einkommen sowie der Anzahl der Unterhaltsberechtigten richten und regelmäßig angepasst werden, darf und muss der Arbeitgeber den Lohn weiterhin an den Arbeitnehmer auszahlen.
Die Pfändungsfreigrenzen ergeben sich aus § 850 ZPO. Der Arbeitgeber muss anhand dieser Vorschrift die für den betreffenden Fall geltende Pfändungsfreigrenze selbst ermitteln. Dabei ist die sog. Netto-Methode anzuwenden.
Übersteigt das Arbeitseinkommen die Pfändungsfreigrenze, muss der Arbeitgeber das Verbot, an den Arbeitnehmer zu zahlen, unbedingt beachten. Hält er sich nämlich nicht an das Zahlungsverbot, so wird er durch die Zahlung an den Arbeitnehmer nicht von seiner Leistungspflicht frei, sondern ist verpflichtet, den die Pfändungsgrenze übersteigenden Betrag nochmals an den Vollstreckungsgläubiger bzw. den Insolvenzverwalter zu zahlen.
III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschied mit Urteil vom 23.02.2022 (Az.: 23 Sa 1254/21), dass es sich bei der einer tariflichen Corona-Prämie um pfändbares Einkommen im Sinne des § 850a ZPO handle, solange die Auszahlung unabhängig von der tatsächlichen und durch die Corona-Pandemie geschaffenen Belastung erfolge. Die Beklagte habe daher zurecht den pfändbaren Anteil der Prämie an die Insolvenzverwalterin des Klägers anstatt an diesen selber ausgezahlt. Zur Begründung gab das LAG an, dass es sich entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung bei der Corona-Prämie nicht um eine vom Pfändungsschutz umfasste Gefahren- oder Erschwerniszulage oder Aufwandsentschädigung im Sinne des § 850a ZPO handle. Grund dafür sei, dass die durch die Beklagte ausgezahlte Corona-Prämie auf einer tariflichen Regelung basiere. Im entschiedenen Fall sei nicht danach unterschieden worden, in welchem Maße die Beschäftigten den besonderen Belastungen durch die Corona-Pandemie ausgesetzt gewesen seien. Stattdessen hätten alle Beschäftigten gleichermaßen von der Prämie profitieren sollen – unabhängig von der jeweiligen Arbeitsleistung. Darin unterscheide sich die streitgegenständliche tarifliche Prämie von den nach § 150a SGB XI gezahlten Prämien im Pflegebereich, bei denen die Zahlungsansprüche vom Maß der direkten Betreuung von Pflegebedürftigen durch die Pflegekräfte abhängig seien.
IV. Fazit und Praxishinweis
Bei einer Lohnpfändung bzw. während der Privatinsolvenz verbleibt dem Schuldner (Arbeitnehmer) lediglich der unpfändbare Teil seines Arbeitseinkommens. Welche Gehaltsbestandteile der Pfändung (bedingt) entzogen sind, bestimmen § 850a f. ZPO. Dass auch diese Regelungen immer wieder der Auslegung bedürfen, zeigt das besprochene Urteil des LAG Berlin-Brandenburg. Das LAG hat die Revision zugelassen, sodass abzuwarten ist, wie das Bundesarbeitsgericht sich in dieser praxisrelevanten Frage positionieren wird.