Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt in einem Grundsatzurteil geklärt, welche baulichen Veränderungen Wohnungseigentümer verlangen können, um einen barrierefreien Zugang zu ihren Wohnungen zu erhalten.
Im Streitfall geht es um ein in den Jahren 1911 und 1912 errichtetes mehrgeschossiges Wohngebäude, bestehend aus einem Vorderhaus und einem Hinterhaus. Letzteres war früher ein sog. Gesindehaus, in dem ursprünglich die Bediensteten wohnten, mit einem sehr engen, weniger als einem Meter breiten Treppenhaus, das den Einbau eines Treppenlifts nicht zulässt. Zwei ältere Wohnungseigentümer, deren Wohnungen sich im dritten und vierten Obergeschoss des Hinterhauses befinden, wollen dort auf eigene Kosten einen Außenaufzug anbringen lassen, um einen einfacheren Zugang zu ihren Wohnungen zu erhalten.
Auf einer Eigentümerversammlung lehnte die Mehrheit der Wohnungseigentümer die Errichtung eines Außenaufzugs jedoch u. a. mit der Begründung ab, ein Außenaufzug stelle eine große bauliche Maßnahme dar, in deren Folge der Innenhof noch enger und der Platz für Fahrräder und Mülltonnen unnötig eingeschränkt würde.
Die beiden Wohnungseigentümer haben ihre Ansprüche gerichtlich geltend gemacht und mit ihrer Klage beantragt, einen zustimmenden Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft über die Errichtung des Außenaufzugs für das Hinterhaus gerichtlich zu ersetzen. Das Amtsgericht (AG) München hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht (LG) München I entschieden, dass auf Verlangen der Kläger durch die Wohnungseigentümergemeinschaft beschlossen ist, dass am Hinterhaus ein Personenaufzug zu errichten ist.
Die hiergegen gerichtete Revision der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft hat der BGH mit Urteil vom 09.02.2024 – V ZR 244/22 – zurückgewiesen und die Entscheidung des LG München I bestätigt.
II. Rechtslage
Nach der seit dem 01.12.2020 geltenden Neufassung der Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) kann jeder Wohnungseigentümer gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 1 WEG angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dienen.
III. Entscheidung des BGH
Mit seiner Entscheidung hat der BGH insbesondere geklärt, dass bauliche Veränderungen im Sinne des § 20 Abs. 2 WEG auch dann zulässig sind, wenn sie eine Sondernutzungsbefugnis zur Folge haben (siehe unten 1.), und was unter „angemessenen baulichen Veränderungen“ im Sinne des § 20 Abs. 2 WEG zu verstehen ist (siehe unten 2.).
1. Nach der bis zum 30.11.2020 geltenden Gesetzeslage hätten die Kläger keinen Anspruch auf die Errichtung des Außenaufzugs gehabt, weil dieser nur ihnen im Wege eines Sondernutzungsrechts zur Verfügung steht und die übrigen Wohnungseigentümer entgegen § 13 Abs. 2 Satz 1 WEG aF (jetzt § 16 Abs. 1 Satz 3 WEG) vom Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums ausgeschlossen werden. Eine solche bauliche Veränderung hätte daher nach der bis zum 30.11.2020 geltenden Gesetzeslage einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer bedurft und nicht Gegenstand einer den Beschluss ersetzenden gerichtlichen Entscheidung sein können.
Nach der seit dem 01.12.2020 geltenden Gesetzeslage können Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung grundsätzlich auch dann beschließen, wenn die Beschlussfassung die Zuweisung einer ausschließlichen Nutzungsbefugnis an dem dafür vorgesehenen Gemeinschaftseigentum zur Folge hat; einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer bedarf es hierfür nicht mehr. Dies ergibt sich aus § 21 WEG und den in dieser Vorschrift enthaltenen Regelungen über die Kosten und Nutzen bei baulichen Veränderungen: Wird auf Verlangen eines Wohnungseigentümers eine bauliche Veränderung durchgeführt, so hat er gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 WEG die Kosten allein zu tragen und nur ihm gebühren gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 WEG die Nutzungen, sofern ein ausschließlicher Gebrauch des baulich veränderten Gemeinschaftseigentums möglich ist. Nach Auffassung des BGH kommt in diesen Regelungen zum Ausdruck, dass mit der Reform des Wohnungseigentumsrechts eine Beschlussfassung über bauliche Veränderungen gerade auch dann ermöglicht werden sollte, wenn dies eine ausschließliche Nutzungsbefugnis zur Folge hat; hierin bestand ein erklärtes Ziel der Reform des Wohnungseigentumsrechts.
2. Die Errichtung eines Außenaufzugs stellt auch eine angemessene bauliche Veränderung gem. § 20 Abs. 2 Nr. 1 WEG dar, weil sie dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dient. Das Kriterium der Angemessenheit einer baulichen Veränderung im Sinne dieser Vorschrift dient nach dem Willen des Gesetzgebers dazu, im konkreten Einzelfall unangemessene Forderungen eines Wohnungseigentümers zurückweisen zu können. Eine bauliche Veränderung, die einem der in § 20 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 WEG aufgeführten Zwecke dient, ist nach Auffassung des BGH regelmäßig angemessen und die Angemessenheit ist nur ausnahmsweise, z. B. aufgrund außergewöhnlicher baulicher Gegebenheiten, zu verneinen, wenn die bauliche Veränderung bei der Gesamtheit der davon betroffenen Wohnungseigentümer zu Nachteilen führt, die bei wertender Betrachtung außer Verhältnis zu ihrem Zweck stehen. Nachteile, die typischerweise aufgrund einer privilegierten baulichen Veränderung eintreten, begründen regelmäßig nicht deren Unangemessenheit.
a) Typischerweise eintretende Nachteile, wie etwa erforderliche Eingriffe in die Bausubstanz, übliche Nutzungsbeschränkungen des Gemeinschaftseigentums und optische Veränderungen des Gebäudes aufgrund von Anbauten, können die Unangemessenheit daher regelmäßig nicht begründen. Insoweit hat bereits das LG München I nach Auffassung des BGH zutreffend darauf hingewiesen, dass Nutzungseinschränkungen im Bereich des Innenhofs aus Rechtsgründen nicht als ausreichend angesehen werden können, um die verlangte Errichtung eines Außenaufzugs als unangemessen anzusehen.
b) Bei der Abwägung, ob eine bauliche Veränderung angemessen ist, sind regelmäßig nur solche Folgen relevant, die sich für die Gesamtheit der Wohnungseigentümer negativ auswirken. Dies beruht darauf, dass das Gesetz Beeinträchtigungen einzelner Wohnungseigentümer gemäß
§ 20 Abs. 4, Halbsatz 1, Alt. 2 WEG (unbillige Benachteiligung eines Wohnungseigentümers) berücksichtigt; solche individuellen Nachteile können daher nicht zugleich die Angemessenheit einer privilegierten baulichen Veränderung per se beseitigen. Es muss sich zudem um Nachteile handeln, die unabhängig von der Art und Weise der Bauausführung, einschließlich der konkreten baulichen Details, eintreten
und nicht durch bestimmte Bedingungen und Auflagen gemäß § 20 Abs. 2 WEG beseitigt bzw. abgemildert werden können.
c) Die Kosten der baulichen Veränderung sind grundsätzlich ohne Bedeutung für das Bestehen eines Anspruchs nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 WEG; sie sind gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 WEG von dem die bauliche Veränderung verlangenden Wohnungseigentümer zu tragen. Der Begriff der Kosten in § 21 WEG ist weit auszulegen und umfasst auch Folgekosten des Gebrauchs und der Erhaltung des baulich veränderten Gemeinschaftseigentums, die etwa durch erhöhte Versicherungsprämien, die Wahrnehmung von Kontroll- und Überwachungspflichten oder durch Wartung und Reparatur entstehen.
IV. Bedeutung der Entscheidung des Landgerichts München
Nach Auffassung des BGH hat der Gesetzgeber ein gesamtgesellschaftliches Interesse an den gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 WEG privilegierten baulichen Veränderungen zugrunde gelegt, deren ggf. negative Folgen dem objektiven Nutzen der Maßnahmen für die Erreichung der gesetzlich verfolgten Zwecke gegenüberzustellen sind, was nur ausnahmsweise zu einer Unangemessenheit einer baulichen Veränderung führen kann.
V. Fazit
Wie schon im Mietrecht, wo der Mieter gemäß § 554 Abs. 1 BGB vom Vermieter die Vornahme baulicher Veränderungen verlangen kann, die u. a. den barrierefreien Gebrauch der Mietsache durch Menschen mit Behinderungen ermöglichen, hat der Gesetzgeber mit der Novellierung des Wohnungseigentumsrechts in § 20 Abs. 2 WEG auch entsprechende Ansprüche einzelner Wohnungseigentümer normiert.
Wenn Sie als Wohnungseigentümer gemäß § 20 Abs. 2 WEG Ansprüche auf Gestattung baulicher Veränderungen des Gemeinschaftseigentums geltend machen wollen, dann beraten wir Sie gerne.
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