Wir stehen vor dem Jahreswechsel und wie viele Wirtschaftstreibende stellen vielleicht auch Sie sich angesichts der in letzter Zeit ergangenen zahlreichen höchstrichterlichen Entscheidungen zum Thema Urlaub die Frage, was Sie bezüglich noch ausstehender Urlaubsansprüche Ihrer Beschäftigten beachten müssen. In diese Überlegungen einzubeziehen ist auch ein Urteil, welches das Bundesarbeitsgericht (BAG) noch kurz vor Jahresende, nämlich am 20.12.2022, zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen gefällt hat. Konkret ging es in dem zugrundeliegenden Rechtsstreit um die Frage, ob auf einen Urlaubsanspruch, der nicht in natura gewährt werden konnte, die dreijährige Regelverjährungsfrist des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) anzuwenden ist oder ob einem Unternehmen, das seine Beschäftigten nicht explizit zur Inanspruchnahme des Jahresurlaubs aufgefordert und auf den drohenden Verfall der Ansprüche hingewiesen hat, die Berufung auf die Verjährung verwehrt bleibt. Hierzu hatte das BAG zunächst den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Vorabentscheidung ersucht.
Zwar hatte der EuGH schon in der Vergangenheit klargestellt, dass der gesetzliche Mindesturlaub, der krankheits- oder betriebsbedingt nicht wahrgenommen wurde, erst dann verfallen könne, wenn das Unternehmen seine Beschäftigten tatsächlich in die Lage versetzt habe, den Urlaubsanspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen. Die Pflicht der Arbeitgebenden, auf den Urlaubsanspruch hinzuweisen und die Beschäftigten aufzufordern, den Urlaub auch zu nehmen, war vom EuGH also bereits angeordnet worden. Fraglich war allerdings bisher, ob sich Unternehmen trotz Nichterfüllen der Hinweis- und Aufforderungspflicht bezüglich nicht gewährter Urlaubsansprüche auf die Einrede der Regelverjährung berufen und auf diese Weise erfolgreich einer unbegrenzten Einstandspflicht für Alt-Urlaubsansprüche entgehen können. In Anbetracht des erheblichen finanziellen Gegenwerts, den solche oft über mehrere Jahre angesammelten Urlaubsansprüche darstellen, hat das Urteil des BAG, mit dem die Vorgaben des EuGH aus dessen Vorabentscheidung umgesetzt werden, außerordentliche Relevanz.
II. Sachverhalt und Verfahrensgang
Im konkreten Rechtsstreit verlangte die Arbeitnehmerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom beklagten Unternehmen zunächst eine finanzielle Abgeltung für die von ihr zwischen 2013 und 2017 nicht genommenen 101 Urlaubstage und erhob sodann im Februar 2018 Klage vor dem Arbeitsgericht, nachdem das Unternehmen nur 14 Urlaubstage abgegolten hatte. Im ersten Rechtszug wurde ihr lediglich ein Abgeltungsanspruch für drei im Jahr 2017 nicht genommene Urlaubstage zugesprochen. Hinsichtlich der weitergehenden Forderung wurde die Klage abgewiesen.
Aufgrund der von der Klägerin eingelegten Berufung entschied das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG), dass ihr ein Anspruch auf Abgeltung weiterer 76 Urlaubstage zustehe, für bezahlten Jahresurlaub, der im Zeitraum von 2013 bis 2016 entstanden war. Das LAG argumentierte, der Arbeitgeber habe die Klägerin nicht tatsächlich in die Lage versetzt, den Urlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen, sodass der entsprechende Anspruch weder erloschen noch gem. §§ 194 ff. BGB verjährt sei.
Gegen diese Entscheidung legte wiederum der Arbeitgeber Revision zum BAG ein und berief sich auf die Einrede der Verjährung. Die dreijährige Frist sei bereits vor Ende des Arbeitsverhältnisses abgelaufen. Das BAG richtete im September 2020 ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, um die Frage klären zu lassen, ob es mit Europarecht vereinbar sei, dass der wegen fehlender Mitwirkung des Arbeitgebers nach dem Bundesurlaubsgesetz nicht verfallene Urlaub trotzdem gemäß BGB verjähre. Nachdem der EuGH die Vorabentscheidung am 22.09.2022 getroffen hatte, fällte das BAG sein Urteil schließlich am 20.12.2022.
III. Rechtliche Würdigung
1. Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs
Der EuGH stellte fest, dass Unternehmen, die ihren Hinweis- und Aufforderungspflichten bezüglich der Urlaubsansprüche ihrer Beschäftigten nicht nachgekommen sind, sich nicht auf die Verjährungseinrede berufen können.
Grundsätzlich unterliege der Anspruch von Beschäftigten auf bezahlten Urlaub zwar einer dreijährigen Verjährung. Der Zweck der deutschen Verjährungsregelungen, nämlich die Gewährleistung von Rechtssicherheit, sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, sodass von der Wirksamkeit der nationalen Normen zur Verjährung von Ansprüchen auszugehen sei.
Allerdings dürfe die Gewährleistung der Rechtssicherheit nicht als Vorwand dafür dienen, dass das Unternehmen aus seinem eigenen Versäumnis einen Vorteil ziehe, indem es sich auf die Einrede der Verjährung berufe. Andernfalls würde ein Verhalten des Unternehmens gebilligt, welches zum einen zu dessen unrechtmäßiger Bereicherung führe und zum anderen dem von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) verfolgten Zweck des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub zuwiderlaufe, nämlich die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen.
Der EuGH entschied, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta dahingehend auszulegen sind, dass sie einer nationalen Verjährungsregelung entgegenstehen, wenn das Unternehmen seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist.
2. Urteil des Bundesarbeitsgerichts
Unter Zugrundelegung der Vorabentscheidung des EuGHs wies das BAG in seinem Urteil vom 20.12.2022 die Revision des Unternehmens ab. Die Verjährungsvorschriften seien zwar grundsätzlich auf Urlaubsansprüche anwendbar. Die dreijährige Verjährungsfrist beginne aber nicht schon mit dem Ende des Urlaubsjahres, sondern erst am Ende des Jahres zu laufen, in dem der Arbeitgebende den Beschäftigten über den konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt habe und der Beschäftigte den Urlaub trotzdem freiwillig nicht genommen habe.
IV. Ausblick
Eine Berufung auf die Einrede der Verjährung gegenüber Abgeltungsansprüchen für lange zurückliegende nicht genommene Urlaubstage dürfte künftig in den meisten Fällen ausgeschlossen sein.
Sie sollten Ihren Beschäftigten daher unbedingt die Inanspruchnahme des Urlaubs aktiv anbieten und auf die rechtlichen Konsequenzen eines möglichen Verfalls des Anspruchs hinweisen. Es bietet sich an, bereits unterjährig, spätestens aber im Jahresturnus, zu überprüfen, inwieweit Ihre Beschäftigten ihren Jahresurlaub angetreten haben. Nicht genommene Urlaubstage sind dann näher dahingehend zu betrachten, ob die tatsächliche Möglichkeit zur Wahrnehmung des Urlaubs bestand oder ob betriebs- oder krankheitsbedingte Hinderungsgründe bestanden und eine entsprechende Fortgeltung des Urlaubsanspruchs im Folgejahr zu beachten ist.
Im Fall einer länger andauernden Erkrankung sollten Sie Ihre Beschäftigten zur Inanspruchnahme ihres Urlaubs zum nächstmöglichen Zeitpunkt – also beispielsweise nach erfolgreicher Genesung – auffordern. Nur dann, wenn Sie bei Möglichkeit der Inanspruchnahme des Urlaubs zum Antritt aufgefordert und auch auf den Verfall des Anspruchs hingewiesen haben, können Sie nach Ablauf der dreijährigen Frist die Einrede der Verjährung erfolgreich erheben. Dann ist auch ein Abgeltungsverlangen der Beschäftigten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen.
Zu guter Letzt sei darauf hingewiesen, dass Sie als Unternehmen bezüglich der Erfüllung Ihrer Hinweis- und Aufforderungspflichten im Zweifelsfall die Beweislast trifft. Es ist daher ratsam, die Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweispflicht sorgsam zu dokumentieren.