Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in der aktuellen Entscheidung vom 24. Februar 2022 eine Situation zu bewerten, die auch im Alltag von Personalerinnen und Personalern regelmäßig eine Rolle spielt: Das Angebot eines Aufhebungsvertrages zur Vermeidung einer (außer-)ordentlichen Kündigung. Die vorliegende Entscheidung beschäftigt sich mit einem Sachverhalt, der gegenseitige Vorwürfe nicht missen lässt und der bis zuletzt nicht abschließend geklärt werden konnte. Sowohl der Vorwurf der widerrechtlichen Drohung als auch die Verletzung des Gebots fairen Verhandelns standen dabei entscheidungserheblich im Raum. Auch an diesem Urteil wird sehr gut deutlich, dass gerade im Rahmen der Beendigung der Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden gute Kenntnisse der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und entsprechend rechtssicheres Verhalten der Beteiligten zwingend notwendig sind. Die Entscheidung des BAG ist für all diejenigen, die im Personalwesen tätig sind, in jedem Fall einen genaueren Blick wert.
II. Das Gebot fairen Verhandelns
Das Gebot fairen Verhandelns stand bereits bei einer Entscheidung des 6. Senats des BAG vom 7. Februar 2019 im Mittelpunkt. In diesem Urteil stellte das BAG fest, dass es über die Anforderungen von § 123 BGB und § 138 BGB hinaus bei arbeitsrechtlichen Vertragsverhandlungen eine Fairness zu wahren gilt. Dieses sog. Gebot fairen Verhandelns knüpfe als vorvertragliche Nebenpflicht normativ an § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB an.
Dabei soll eine unfaire Behandlung des Vertragspartners – in aller Regel des Arbeitnehmers – im Rahmen von Vertragsverhandlungen vermieden werden. Insbesondere soll die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht in zu missbilligender Art und Weise durch die Ausnutzung oder Schaffung von unfairen Verhandlungssituation beschränkt werden.
Das BAG legt dar, dass dies allerdings noch nicht der Fall sei, wenn der Arbeitgeber weder Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht gewähre. Der Arbeitgeber sei auch nicht gehalten, den Arbeitnehmer im Vorhinein über seine Absicht, einen Aufhebungsvertrag schließen zu wollen, aufzuklären.
Eine Verhandlungssituation sei allerdings dann unfair, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt werde, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Dies sei durch die Schaffung von besonders unangenehmen Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken, möglich. Das BAG führte hier aus, dass auch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse ausreichend sein kann. Eine mögliche unfaire Verhandlungssituation könne zudem auch in Form der Überrumpelung des Vertragspartners durch Ausnutzung eines Überraschungsmoments vorliegen.
Die endgültige Beurteilung, ob das Gebot fairen Verhandelns verletzt sei, müsse allerdings im Rahmen einer Einzelfallbewertung am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB vorgenommen werden.
III. Die Entscheidung des BAG
Das BAG hatte nunmehr zu entscheiden, ob das Gebot fairen Verhandelns in dem nachfolgend dargestellten Sachverhalt verletzt war oder ob es sich bei der zeitlichen Befristung des Vertragsangebots um eine zulässige Bedingung seitens der beklagten Arbeitgeberin handelte. Gegenstand des Verfahrens war außerdem, ob es sich bei der konkreten Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung um eine widerrechtliche Drohung handelte.
1. Sachverhalt
Die klagende Arbeitnehmerin und die beklagte Arbeitgeberin stritten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages sowie einer fristlosen außerordentlichen, hilfsweise fristgerecht ordentlich, erklärten Kündigung. Die Klägerin war bei der Beklagten im Verkauf tätig. In einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten, an dem auch der spätere Prozessbevollmächtigte der Beklagten teilnahm, wurde der Klägerin ohne weitere Vorankündigung mitgeteilt, ihr werde vorgeworfen, sie habe unberechtigt Einkaufspreise für Waren der Beklagten abgeändert, um so einen vermeintlich höheren Verkaufsgewinn vorzutäuschen. Im Rahmen des Gesprächs wurde der Klägerin ein vorab vorbereiteter Aufhebungsvertrag vorgelegt mit dem Hinweis, dass bei Nichtunterzeichnung des Vertrages das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos gekündigt werde. Nach dem Aufhebungsvertrag sollte das Arbeitsverhältnis zum Monatsende aus betrieblichen Gründen enden und die Klägerin bis dahin ihre volle Vergütung sowie ein qualifiziertes Arbeitszeugnis, welches sich auf Leistung und Verhalten erstreckte, erhalten. Nach einer zehnminütigen Gesprächspause, während derer die beteiligten Personen schweigend an einem Tisch saßen, unterzeichnete die Klägerin den Aufhebungsvertrag.
Sieben Tage nach der Unterzeichnung focht die Klägerin den Aufhebungsvertrag wegen widerrechtlicher Drohung an. Sie erklärte, dass sie den Aufhebungsvertrag nur abgeschlossen habe, weil die Beklagte ihr widerrechtlich mit einer fristlosen Kündigung und einer Strafanzeige gedroht habe.
In der Folge kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich fristgerecht.
Die Klägerin machte nunmehr im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltend, dass ihr für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrages der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden seien. Weiterhin habe sie die Beklagte erfolglos gebeten, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und sich Rechtsrat einholen zu können. Sie sah daher das Arbeitsverhältnis weder durch den Aufhebungsvertrag noch durch die Kündigungserklärung der Beklagten als beendet an.
2. Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht entschied in erster Instanz zugunsten der Klägerin und stellte insoweit fest, dass das Arbeitsverhältnis fortbestehe. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm dagegen wies die Klage im Rahmen des Berufungsverfahrens ab. Anders als das Arbeitsgericht befand das LAG, dass das Gebot fairen Verhandelns in der konkreten Situation nicht verletzt worden sei. Zudem sei die Drohung der Beklagten mit der Erklärung einer außerordentlichen Kündigung nicht widerrechtlich gewesen. Weiterhin sei weder der Gesundheitszustand der Klägerin beeinträchtigt gewesen, noch seien unsachliche, aggressive oder beleidigende Äußerungen gefallen, die zu unfairen Verhandlungsbedingungen hätten führen können.
Auch die Revision der Klägerin zum BAG hatte keinen Erfolg. Das Urteil des BAG vom 24. Februar 2022 liegt derzeit lediglich als Pressemitteilung vor. Darin wird hervorgehoben, dass zu Gunsten der Klägerin unterstellt worden sei, dass der Gesprächsablauf – der bis zuletzt streitig geblieben war – wie von ihr geschildert, stattgefunden habe.
Das BAG entschied, dass ein verständiger Arbeitgeber im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Es fehle daher an der Wiederrechtlichkeit der behaupteten Drohung.
Zudem sei die Entscheidungsfreiheit der Klägerin nicht dadurch verletzt worden, dass die Beklagte den Aufhebungsvertrag entsprechend § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zur sofortigen Annahme unterbreitet habe. Das Gebot fairen Verhandelns sei also nicht dadurch verletzt worden, dass die Klägerin über die Annahme sofort entscheiden musste.
IV. Fazit und Praxishinweis
Die Entscheidung des BAG macht deutlich, dass die Gestaltung der Verhandlungssituation von Aufhebungsverträgen der besonderen Aufmerksamkeit von Arbeitgebern und Personalern bedarf. Ein Aufhebungsvertrag, der unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen ist, ist im Zweifel unwirksam und entfaltet keinerlei Rechtswirkung. Ob ein solcher Verstoß vorliegt, ist anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Das BAG macht aber deutlich, dass allein der Umstand, dass der Arbeitgeber den Abschluss eines Aufhebungsvertrages von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig macht, für sich genommen keine Pflichtverletzung darstellt.
Arbeitgeber sind also nicht gehalten, Arbeitnehmern ihre Absicht, einen Aufhebungsvertrag zu schließen, vorab mitzuteilen. Sie müssen folglich im Rahmen der Verhandlung eines Aufhebungsvertrages keine Bedenkzeit gewähren, sondern können das Angebot von dessen sofortiger Annahme abhängig machen. Außerdem muss dem Arbeitnehmer vor Abschluss des Aufhebungsvertrages auch keine Möglichkeit zur Einholung eines Rechtsrats zugestanden werden.
Allerdings sind unsachliche, aggressive oder beleidigende Äußerungen auch in diesem, teilweise recht emotionalen Kontext selbstverständlich tunlichst zu unterlassen. Ein besonderes Augenmerk sollte auch darauf gelegt werden, ob der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers objektiv Anhaltspunkte dafür bietet, dass dieser bezüglich seiner Verhandlungsfähigkeit beeinträchtigt sein könnte.
Schließlich ist es Arbeitgebern erlaubt und regelmäßig auch zu empfehlen, im Falle von schwerwiegenden Fehlverhalten der Arbeitnehmer neben dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung auch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages anzubieten.
Die Einschätzung konkreter Einzelfälle kann in der Praxis größere Schwierigkeiten bereiten. In solchen Fällen bietet es sich an, zunächst fachkundigen Rechtsrat einzuholen und so langwierige Verfahren bis zum BAG möglichst zu vermeiden.