I. Einleitung
Die ordnungsgemäße Vergütung von Praktikanten ist ein immer wiederkehrender Bestandteil der täglichen Arbeit jedes Personalers. Insofern verwundert es nicht, dass auch die Arbeitsgerichte in zuverlässiger Regelmäßigkeit über Vergütungsfragen, insbesondere in Hinblick auf die in § 22 Abs. 1 Satz 2 Mindestlohngesetz (MiLoG) geregelten Ausnahmen, zu entscheiden haben. Dabei ist es sinnvoll und notwendig, sich zunächst zu vergegenwärtigen, dass auf Praktikanten im Sinne von § 26 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) grundsätzlich das MiLoG anwendbar ist. Eine Fehleinschätzung bezüglich der Mindestlohnverpflichtung kann daher im Zweifel zu teils hohen rückwirkenden Gehaltsforderungen der Praktikanten führen. Denn auch ohne explizite Vergütungsabrede haben Praktikanten im Grundsatz einen Anspruch nach § 26 i. V. m. § 17 BBG auf eine „angemessene Vergütung“. Für Arbeitgeber empfiehlt es sich daher jegliche Beschäftigung von Praktikanten mit einem wachsamen Auge zu verfolgen. In der aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts klagte eine Praktikantin gegenüber dem beklagten Krankenhaus eine ausstehende Vergütung sowie Urlaubsabgeltung in Höhe von mehr als 10.000 € ein. Das Pflegepraktikum war im konkreten Fall als Aufnahmevoraussetzung für ein Studium der Humanmedizin an einer privaten Hochschule absolviert worden.
II. Ausnahmen von der Mindestlohnpflicht bei Praktikanten
Im Grundsatz ist der Arbeitgeber verpflichtet, jedem Praktikanten den einschlägigen Mindestlohn nach dem MiLoG zu zahlen. Allerdings sieht § 22 MiLoG für die Ableistung eines Praktikums weitreichende Ausnahmen vor. So muss für bestimmte Arten von Praktika kein Mindestlohn gezahlt werden, vielmehr kann eine Vergütung für diese Praktika vollends unterbleiben. Befreit von der Zahlung des Mindestlohns sind ausdrücklich Pflichtpraktika aufgrund einer hochschulrechtlichen Bestimmung (Nr. 1), Orientierungspraktika für die Dauer von bis zu drei Monaten (Nr. 2), begleitende Praktika für die Dauer von bis zu drei Monaten (Nr. 3) sowie Qualifizierungspraktika (Nr. 4). Für alle vorgenannten Praktikumsverhältnisse gilt, dass diese für eine begrenzte Dauer den Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit bezwecken müssen.
Damit soll die Erfüllung von ausbildungs- oder hochschulrechtlichen Bestimmungen nicht durch die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns erschwert werden. Gleichzeitig soll bei freiwilligen Praktika spätestens nach Ablauf von drei Monaten eine Vergütungspflicht in Höhe des aktuellen Mindestlohns zum Schutz der Praktikanten gewährleistet sein.
III. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Januar 2022
Die vorliegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus Januar 2022 beschäftigt sich mit der Fragestellung, ob Praktikanten, die ein Pflichtpraktikum absolvieren, das nach einer hochschulrechtlichen Bestimmung Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums ist, einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. Insofern betrifft die Entscheidung insbesondere die Unterscheidung zwischen § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG und Nr. 2 dieser Regelung, also die Frage, ob es sich um ein sog. Pflichtpraktikum oder um ein, lediglich für die Dauer von drei Monaten vom Mindestlohn befreites, Orientierungspraktikum handelt.
1. Sachverhalt
Die Klägerin beabsichtigte, sich um einen Studienplatz für Humanmedizin an einer privaten Universität zu bewerben. Dabei sah die Zulassungsordnung der staatlich anerkannten Hochschule ein sechsmonatiges Praktikum im Bereich der Pflege zwingend vor. Das beklagte Krankenhaus, bei dem die Klägerin von Ende Mai bis Ende November 2019 auf der Krankenpflegestation als Praktikantin eingesetzt war, bot zunächst unter Verweis auf § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG lediglich ein dreimonatiges Praktikum an. Nachdem die Klägerin auf die Zulassungsordnung der Hochschule verwies und den entsprechenden Nachweis über die Praktikumsverpflichtung erbrachte, einigten sich die Parteien allerdings im Ergebnis auf die Dauer von sechs Monaten. Die Klägerin und die Beklagte einigten sich dabei über die Bedingungen des Praktikums lediglich mündlich, eine schriftliche Vergütungsabrede trafen sie nicht.
Nach dem Ende des Praktikums machte die Klägerin rückwirkend Vergütungsansprüche sowie Urlaubsabgeltung gegenüber der Beklagten in Höhe von 10.269,85 € geltend. Sie habe 7,45 Stunden täglich die Tätigkeit einer regulären Stationshilfe ausgeübt, aus welcher die Beklagte auch einen enormen wirtschaftlichen Wert gezogen habe. Die Klägerin vertrat die Ansicht, dass das Praktikum „für die Aufnahme eines Studiums“ abgeleistet worden und damit nur für die Dauer von drei Monaten von der Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns befreit gewesen sei. Bei einem solchen Praktikum handele es sich gerade nicht um ein Pflichtpraktikum im Sinne der Nummer 1 der Vorschrift.
Die Beklagte hat dagegen vorgetragen, dass die Klägerin ihre Tätigkeit stets in Zusammenarbeit mit den Pflegekräften vorgenommen habe. Es sei lediglich ausnahmsweise vorgekommen, dass die Klägerin einer examinierten Pflegekraft bei der Körperwaschung von Patienten unterstützend zur Seite gestanden habe. Insgesamt habe es sich um ein übliches Pflichtpraktikum ohne besonderen wirtschaftlichen Wert gehandelt. Zudem sei das Praktikum aufgrund einer „hochschulrechtlichen Bestimmung“ im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr.1 MiLoG geleistet worden. Hierbei sei insbesondere zwischen einem verpflichtenden Praktikum aus Nr. 1 und einem freiwilligen Orientierungspraktikum aus Nr. 2 zu unterscheiden.
2. Die Entscheidung
Wie bereits das Arbeitsgericht Trier hatte auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz die Klage vollumfänglich abgewiesen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Zuordnung von verpflichtenden Zulassungspraktika hatte das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen. Das BAG schloss sich nunmehr in seinem Urteil den Ausführungen des LAG im Ergebnis an. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts liegt derzeit lediglich in Form einer Pressemitteilung vor.
Unter Berücksichtigung der Erwägungen des LAG Rheinland-Pfalz ist damit davon auszugehen, dass § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG vorliegend einschlägig ist. Demnach gilt das MiLoG nicht für solche Arbeitnehmer, „die ein Praktikum verpflichtend auf Grund (…) einer hochschulrechtlichen Bestimmung (…) leisten.“
Das LAG stellte sich auf den Standpunkt, dass solche Praktika, die nach der Zulassungsordnung einer Hochschule verpflichtende Voraussetzung für die Zulassung zum Studium seien, von § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG erfasst seien. Demensprechend sei in diesen Fällen auch dann kein Mindestlohn zu zahlen, wenn das Praktikum aufgrund der Zulassungsordnung länger als drei Monate dauere.
Der Begriff der „hochschulrechtlichen Bestimmung“ sei schon vom Wortlaut her weit gefasst und gelte deswegen u.a. auch für Zulassungsordnungen oder auch Kooperationsverträge zwischen Hochschulen und Unternehmen. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob es sich um eine öffentliche oder eine private Hochschule handle.
Für diese Auslegung spreche auch die Gesetzesbegründung, der zufolge verpflichtende Praktika für eine Studienbewerbung als Pflichtpraktika gem. § 22 Abs. 1 S.2 Nr. 1 MiLoG einzustufen seien, weil sie, ebenso wie Pflichtpraktika während des Studiums, nicht freiwillig absolviert werden und regelmäßig genauen Vorgaben folgen müssen.
Ausgehend von der genannten Pressemitteilung zum Urteil trägt das BAG diese Argumentation mit und bestätigt insbesondere die Entscheidung des LAG, wonach es auf die hochschulrechtliche Verpflichtung ankomme.
IV. Fazit und Praxishinweis
Die Beschäftigung von Praktikanten kann für Arbeitgebende Fluch und Segen zugleich sein. Zum einen sind Praktika eine gute Möglichkeit schon früh (werdende) Fachkräfte an sich zu binden und Interesse für das Unternehmen zu wecken. Zum anderen bedeutet das Vorhalten von Praktikantenstellen auch einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand. Kommt dann noch ein nachgelagerter Rechtsstreit hinzu, ist es nur verständlich, wenn Lust und Laune auf weitere Praktikanten sinken. Außerdem können Detailfragen, wie die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns, eben nicht nach dem gängigen Schema beurteilt werden. Vielmehr ist zusätzlich zu einer ordentlichen Dokumentation auch immer der Einzelfall zu betrachten.
Die Entscheidung des BAG ist vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit für Arbeitgeber und Praktikanten begrüßenswert; wenn auch nicht überraschend. Das Urteil folgt im Ergebnis der Gesetzessystematik, wonach die Trennung von freiwilligen Orientierungspraktika und hochschulrechtlichen Pflichtpraktika unter Verwendung der dreimonatigen Grenze für den Mindestlohnanspruch in § 22 MiLoG vorgesehen ist. Dies muss auch für Praktika gelten, die vor der Einschreibung in den Studiengang zwingend zu erfolgen haben. Im Gegensatz zu den in Nr. 2 geregelten Orientierungspraktika obliegt die Absolvierung des Praktikums gerade nicht der freien Entscheidung des Praktikanten, sondern muss vielmehr aufgrund der konkreten hochschulrechtlichen Bestimmung erfolgen.
Ob es sich allerdings um eine zwingende hochschulrechtliche Bestimmung handelt, kann im Einzelfall regelmäßig sehr fraglich sein. Arbeitgebende sind gehalten, sich die Qualifikation als Pflichtpraktikum seitens der Hochschule bestätigen zu lassen und sollten im Zweifelsfall anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass eine fundierte rechtliche Einschätzung regelmäßig einen aufwändigen Rechtsstreit vermeiden kann.