I. AGG-Hopper und der Entschädigungsanspruch
Die Suche nach qualifizierten und zur Unternehmenskultur passenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist in der Praxis mit einem großen Aufwand verbunden. Umso ärgerlicher ist es, wenn diese Bemühungen systematisch von sog. AGG-Hoppern in missbräuchlicher Art und Weise ausgenutzt werden.
Von AGG-Hoppern spricht man, wenn eine Bewerbung auf eine ausgeschriebene Stelle nicht deshalb erfolgt, um die jeweilige Stelle anzutreten, sondern um eine Entschädigungszahlung wegen behaupteter Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot zu erhalten.
Die Folge einer erfolgreichen Geltendmachung von diskriminierender Behandlung für betroffene Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ist die Zahlung einer Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Die Höhe der Entschädigungszahlung richtet sich hierbei nach dem jeweils in Rede stehenden Bruttogehalt. Obwohl diese Praxis, die Entschädigungshöhe bei Diskriminierung nach dem Entgelt der ausgeschriebenen Stelle zu bemessen, berechtigterweise hinterfragt werden kann, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) diese Berechnungsweise im Jahr 2020 noch einmal bestätigt. Demnach sind im Regelfall 1,5 Bruttomonatsgehälter als Entschädigungszahlung anzusetzen, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, die eine höhere Entschädigungszahlung begründen.
Regelmäßig versuchen sich in Anspruch genommene Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs im Sinne von § 242 BGB zu verteidigen. Im Folgenden wird insbesondere dieser Einwand näher betrachtet.
II. Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs
Ein Anspruch auf Entschädigung steht nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 AGG den Beschäftigten zu. Zu den Beschäftigten zählen nach der Legaldefinition des § 6 Abs. 1 AGG auch Stellenbewerberinnen und
-bewerber, die von einem Verstoß gegen das AGG betroffen sind.
Der Entschädigungsanspruch von Stellenbewerberinnen und -bewerbern richtet sich gegen die potentielle Arbeitgeberin bzw. den potentiellen Arbeitgeber. Damit sind beispielsweise Entschädigungsansprüche gegenüber einem die Stellenausschreibung veranlassenden Personalberatungsunternehmen nicht erfasst.
Bei der Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs aufgrund diskriminierender Stellenausschreibung ist zudem kein Verschulden des stellenausschreibenden Unternehmens notwendig. Die Sanktion diskriminierenden Verhaltens von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern soll in Ansehung der europarechtlichen Vorgaben verschuldensunabhängig eintreten.
Im Rahmen der Darlegung einer anspruchsbegründenden Diskriminierung ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass eine gegen §§ 11, 7 Abs. 1 AGG verstoßende Stellenausschreibung ein Indiz im Sinne von § 22 AGG sein kann. In der Folge kommt es zu einer Beweislastumkehr, die es für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber regelmäßig unmöglich macht, eine Benachteiligung zu widerlegen. Aufgrund dessen verbleibt als einzig wirksame Verteidigung gegen sog. AGG-Hopper der Einwand des Rechtsmissbrauchs im Sinne von § 242 BGB.
III. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs gem. § 242 BGB
Nach der Rechtsprechung des BAG sind Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen, wenn dem Bewerbungsschreiben oder weiteren Umständen zu entnehmen ist, dass eine Ablehnung provoziert werden soll, oder wenn sich aufgrund anderer erfolgloser Bewerbungen ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen der Bewerberin bzw. des Bewerbers feststellen lässt, das auf die Erzielung von Gewinn ausgerichtet ist (BAG, Urteil vom 26.01.2017, AZ: 8 AZR 73/16).
Rechtsmissbrauch ist im Zusammenhang mit Entschädigungsansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG dann anzunehmen, wenn eine Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr lediglich darum ging, den formalen Status als Bewerberin bzw. Bewerber im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 2 AGG mit dem ausschließlichen Ziel zu erlangen, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (BAG, 14.06.2023, AZ: 8 AZR 136/22; LAG Hamm, 05.12.2023, AZ: 6 Sa 896/23).
Diese Wertung fußt maßgeblich auf dem Gedanken, dass gem. § 242 BGB unredliches Verhalten grundsätzlich nicht schutzwürdig sein soll. Dabei ist zu beachten, dass nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets zur Unzulässigkeit der Ausübung einer hierdurch erlangten Rechtsstellung führt. Erst wenn die Anspruchstellerin oder der Anspruchsteller eine günstige Rechtsposition durch treuwidriges Verhalten erlangt hat, kann von einer unzulässigen Rechtsausübung gesprochen werden.
Ob nun im konkreten Einzelfall rechtsmissbräuchliches Verhalten vorliegt, wird anhand eines objektiven und eines subjektiven Elements festgestellt. Das objektive Element liegt vor, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der Anspruchsvoraussetzungen der Schutzzweck der europarechtlichen und nationalen Regelungen nicht erreicht wird. In Bezug auf das subjektive Element muss die Absicht ersichtlich sein, dass ein ungerechtfertigter Vorteil durch die willkürliche Herstellung der Anspruchsvoraussetzungen verschafft werden soll (vgl. EuGH, 28.01.2015 - C 417/13, Starjakob).
Das Missbrauchsverbot greift allerdings dann nicht ein, wenn das in Rede stehende Verhalten der Stellenbewerberin bzw. des -bewerbers eine andere Erklärung haben kann, als nur die Erlangung eines Vorteils (EuGH, 28.07.2016 - C 423/15, Kratzer). In der Folge würde ein Anspruch der Stellenbewerberin bzw. des Stellenbewerbers bestehen bleiben.
IV. Urteil des LAG Hamm vom 05.12.2023, AZ: 6 Sa 896/23
Mit Datum vom 05.12.2023 entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm zu einem Entschädigungsanspruch eines sog. AGG-Hoppers. Der 1994 geborene männliche Kläger hatte bis zur Bewerbung bei dem beklagten Unternehmen innerhalb von 15 Monaten 11 Verfahren wegen Entschädigungszahlungen nach dem AGG aufgrund von diskriminierenden Stellenausschreibungen geführt. Dabei bewarb sich der Kläger regelmäßig mit weitgehend identischen Nachrichten auf Ausschreibungen für die Stelle „Sekretärin“. Im konkreten Fall bewarb sich der Kläger im Januar 2023 auf eine Stellenanzeige als „Bürokauffrau/Sekretärin“ und erhielt auf seine Bewerbung hin keine Rückmeldung. Die daraufhin vor dem Arbeitsgericht Dortmund erhobene Klage wurde aufgrund des Einwands des Rechtsmissbrauchs gem. § 242 BGB zurückgewiesen. Das LAG Hamm bestätigt in seiner Entscheidung nunmehr diese Wertung.
Das LAG Hamm sieht im konkreten Fall insbesondere in folgenden objektiven Umständen eine Begründung dafür, dass der Kläger lediglich den formalen Status eines Bewerbers erlangen wollte, ohne dass dies vom Zweck der gesetzlichen Regelung umfasst sei:
- Die Entfernung von über 500 km zwischen Wohnort des Klägers und Arbeitsstelle,
- der Inhalt sowie die Art und Weise der Bewerbung des Klägers,
- die Unvereinbarkeit einer Vollzeitstelle mit einem Vollzeitstudium, welchem der Kläger nachging,
- sowie – insbesondere und zentral – die durch die Prozesshistorie belegte Entwicklung des Bewerbungsverhaltens einschließlich der Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen durch den Kläger in Form eines Geschäftsmodells.
Bereits das Arbeitsgericht Dortmund hatte sich in der Vorinstanz mit der Ernsthaftigkeit der Bewerbung auseinandergesetzt und insbesondere die Formulierung der Bewerbung als Indiz herangezogen. So dürfe ein Bewerber, der sich auf die Stelle einer „Sekretärin“ bewerbe, etwaigen Höflichkeitsformen in einem Anschreiben wohl mehr Beachtung schenken. Die Kürze der Sätze, der wenig ansprechende Satzbau sowie der Umstand, dass der Kläger auch das Possessivpronomen „Ihnen“ bewusst kleingeschrieben habe, führe bei einer Gesamtbetrachtung dazu, dass der Kläger eine Absage provozieren wollte.
V. Praxistipp: Handlungsempfehlung für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber
Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern fällt es oft schwer, sich effektiv gegen unberechtigte Ansprüche von sog. AGG-Hoppern zu verteidigen. Um eine unberechtigte Inanspruchnahme durch AGG-Hopper zu vermeiden, ist dabei zunächst der Bewerbungsprozess selbst in den Blick zu nehmen. Insbesondere Stellenausschreibungen, aber auch Personalfragebögen und Arbeitsverträge sind auf Indizien für eine diskriminierende Behandlung hin zu untersuchen und etwaige nicht AGG-konforme Formulierungen zu streichen oder anzupassen.
Vor allem bei der Formulierung von Stellenausschreibungen gilt es, den aktuellen Sachstand der Rechtsprechung im Auge zu behalten. So unterscheidet das BAG beispielsweise zwischen den Formulierungen „junges dynamisches Team“ und „junges, dynamisches Unternehmen“. Während in der Beschreibung des Teams eine unterschwellige und problematische Erwartungshaltung zu erblicken sein soll, stelle letztere Formulierung lediglich auf die Dauer der Unternehmensexistenz ab und sei damit nicht geeignet, eine Benachteiligung zu indizieren. Dies ist eine Unterscheidung, die möglicherweise nicht sofort für jede Person zwingend eindeutig ist. Offenkundig liegt der Teufel auch hier im Detail.
Sobald die für den Bewerbungsprozess notwendigen Unterlagen ohne jegliches Indiz einer Diskriminierung verfasst sind, gilt es eine belastbare Dokumentation des Bewerbungsprozesses zu implementieren. Der Prozess sollte gut durchdacht und routinemäßig überprüft werden, da es im Rahmen von Entschädigungsprozessen regelmäßig entscheidend auf die korrekte Durchführung des internen Prozesses und dessen Beweisbarkeit ankommt. Eine nicht benachteiligungsfrei formulierte Stellenanzeige stellt lediglich eine Vermutung für eine Diskriminierung des Bewerbers bzw. der Bewerberin dar. Diese Vermutung können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber widerlegen, wenn sie nachweisen, dass der Bewerbungsprozess benachteiligungsfrei durchgeführt wurde.
Sollte es dennoch im Ergebnis auf die Darlegung des Rechtsmissbrauchs im Sinne von § 242 BGB hinauslaufen, ist der Arbeitsaufwand zur Darlegung eines Geschäftsmodells durch sog. AGG-Hopper im Normalfall erheblich. Die rechtsmissbräuchliche Vorgehensweise lässt sich nach Maßgabe der Rechtsprechung insbesondere mit dem Verhalten im Bewerbungsprozess (bspw. unsauber formulierte Anschreiben oder auch ein Ausschlagen eines Bewerbungsgespräches), erhebliche Abweichung der Qualifikation des AGG-Hoppers von der geforderten Stellenqualifikation (nach oben oder nach unten), Entfernung Wohnort zu Arbeitsort, ähnlich gelagerte Bewerbungen in einer Vielzahl von Fällen, sowie Unvereinbarkeit mit anderen Lebensumständen (bspw. Vollzeitstudium neben einer Vollzeittätigkeit) belegen.
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