I. Einleitung
Im Zuge der Umsetzung der europäischen Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATADUmsG) wurde die Vorschrift des § 6 AStG zur Wegzugsbesteuerung zum Teil drastisch verschärft. Alle Wegzüge ab dem 1. Januar 2022 (§ 21 Abs. 1 AStG n.F.) werden von der Neuregelung erfasst sein. Insbesondere internationale Unternehmerfamilien und gerade mittelständische Familienunternehmen können von den Verschärfungen betroffen sein. Im Folgenden werden die bisherige Rechtslage im Vergleich zu der neuen Fassung von § 6 AStG überblicksartig dargestellt und die sich daraus ergebenden Folgen kurz skizziert. Mögliche Vermeidungsstrategien werden im Anschluss ansatzweise aufgezeigt.
II. Allgemeines
Die Grundkonzeption der Wegzugsbesteuerung ist unverändert geblieben. Sinn und Zweck der Wegzugsbesteuerung i.S.d. § 6 AStG ist es, die während des Bestehens der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland in einer wesentlichen Beteiligung an einer (sowohl in- als auch ausländischen) Kapitalgesellschaft entstandenen stillen Reserven bei Wegzug ins Ausland aufzudecken und der deutschen Besteuerung zu unterwerfen. Denn es können Konstellationen auftreten, bei denen Deutschland das Besteuerungsrecht an dem Gewinn bei einer späteren Veräußerung der Beteiligung verliert. Um nun die einmalige Besteuerung in Deutschland sicherzustellen, wird in Wegzugsfällen nach § 6 AStG ein fiktiver Veräußerungsgewinn versteuert, ohne dass dem Steuerpflichtigen tatsächlich Liquidität in Form eines Veräußerungspreises zufließt. Die Wegzugsbesteuerung kann daher für den Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen.
III. Vergleich der bisherigen Regelung zur § 6 AStG n.F.
1. Persönlicher Anwendungsbereich
Nach bisherigem Recht unterliegen Gesellschafter von in- und ausländischen Kapitalgesellschaften mit einer Beteiligung von mindestens 1 % (Anteile i.S.d. § 17 EStG) bei Wegzug aus Deutschland gem. § 6 AStG a.F. einer Wegzugsbesteuerung, wenn sie insgesamt mindestens zehn Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig waren. Die Anteile gelten dann im Wegzugszeitpunkt als zum gemeinen Wert verkauft, so dass es in der Regel zur Realisation eines steuerpflichtigen (fiktiven) Veräußerungsgewinns kommt. Dasselbe gilt insbesondere, wenn die Anteile durch Schenkung oder Todesfall auf einen im Ausland ansässigen Erwerber übergehen. Nach der Rechtsprechung des BFH sind allerdings fiktive Veräußerungsverluste bei der Steuerfestsetzung nicht zu berücksichtigen. Daher können die im Rahmen des § 6 Abs. 1 S. 1 AStG i.V.m. § 17 EStG ermittelten, fiktiven Veräußerungsgewinne auch nicht saldierend mit fiktiven Veräußerungsverlusten verrechnet werden. Überlegenswert wäre im Fall von Wertverlusten in wesentlichen Beteiligungen, diese Anteile zu veräußern, um damit den Verlust noch vor dem Wegzug zu realisieren und mit anderen positiven Einkünften zu verrechnen.
§ 6 AStG n.F. sieht hingegen eine Verkürzung des Zeitraumes der vor dem Wegzug erforderlichen unbeschränkten Steuerpflicht von zehn auf sieben Jahre vor. Vorteilhafterweise bezieht sich der Betrachtungszeitraum künftig bei der Feststellung der Dauer der unbeschränkten Steuerpflicht nicht mehr auf die gesamte Lebenszeit, sondern nur auf die letzten zwölf Zeitjahre. Nachteilig ist die Verkürzung auf sieben Jahre andererseits für nach Deutschland neu zugezogene Steuerpflichtige. Denn sie fallen künftig bereits drei Jahre früher unter die Wegzugsbesteuerung.
2. Wegfall der zeitlich unbegrenzten Stundungsmöglichkeit
Da die Wegzugsbesteuerung oftmals mit erheblichen finanziellen Härten verbunden ist, kann die nach § 6 Abs. 1 AStG zu erhebende Einkommensteuer bislang auf Antrag in regelmäßigen Teilbeträgen für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren gegen Sicherheitsleistung gestundet werden, § 6 Abs. 4 S. 1 AStG a.F. Diese Stundungsregelung war bisher auch bei einem Wegzug in die Schweiz zu gewähren. Ist der Steuerpflichtige Staatsangehöriger eines EU-/EWR-Staats und verzieht er in einen dieser Staaten, wird die Einkommensteuer nach bisherigem Recht zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet, sofern er im Zuzugsstaat unbeschränkt steuerpflichtig wird, § 6 Abs. 5 S. 1 AStG a.F. Die Stundung wird gewährt bis zum tatsächlichen Verkauf. Für Stundungen, die auf Wegzüge bis 31. Dezember 2021 gewährt werden, gilt das alte Recht auch ab dem 1. Januar 2022 unverändert weiter.
Diesbezüglich tritt wohl die drastischste und möglicherweise unionsrechtswidrige Veränderung ein. Nach der Neufassung des § 6 AStG wird es keine dauerhafte Stundung mehr geben. Zwischen Wegzügen von EU-/EWR-Bürgern in andere EU-/EWR-Länder einerseits und Wegzügen von Staatsangehörigen von Drittländern sowie Wegzügen in Drittländer andererseits wird nicht mehr differenziert. Die Steuer wird künftig in allen Fällen grundsätzlich sofort fällig. Auf Antrag besteht zwar die Möglichkeit, die Steuer in sieben gleich hohen Jahresraten zu zahlen. Dies geschieht im Regelfall allerdings nur gegen Sicherheitsleistung. Die Stundung ist zinsfrei.
3. Erleichterung bei der „Rückkehrregelung“
Die Wegzugsbesteuerung soll nicht eingreifen, wenn der Wegzug nur vorübergehend ist oder faktisch eine Rückkehr stattfindet, ohne dass die Anteile zwischenzeitlich veräußert wurden. Endet die unbeschränkte Steuerpflicht, weil sich der Steuerpflichtige nur vorübergehend im Ausland aufhält, und wird er innerhalb von fünf Jahren nach Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht wieder unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland, entfällt der Steueranspruch unter bestimmten Voraussetzungen nach § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F. Die Frist kann bisher um höchstens fünf Jahre verlängert werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass berufliche Gründe für die weitere Abwesenheit maßgebend sind und die Absicht zur Rückkehr unverändert fortbesteht, § 6 Abs. 3 S. 2 AStG a.F. In Fällen der vorübergehenden Abwesenheit kann die Steuer bisher nach Maßgabe der eingeräumten Frist insgesamt gestundet werden. Wird allerdings die Steuerschuld, die sich nach § 6 Abs. 1 bis 3 AStG ergibt, endgültig oder vorläufig festgesetzt, weil etwa die Rückkehrabsicht im Wegzugszeitpunkt noch nicht nachgewiesen worden ist, wäre nach Rückkehr ein endgültiger Bescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufzuheben, ein vorläufiger Bescheid nach § 165 Abs. 2 AO zu ändern. Eine bereits gezahlte Steuer wäre dementsprechend zu erstatten. Bei Wegzügen von EU-/EWR-Bürgern innerhalb des EU-/EWR-Raums bestand die Rückkehrmöglichkeit bislang zeitlich unbegrenzt.
Auch in der Neufassung des § 6 AStG wird die Rückkehrerregelung im Grundsatz beibehalten. Zum Vorteil des Steuerpflichtigen wird die reguläre Frist von fünf auf sieben Jahre verlängert. Eine Verlängerung um weitere fünf auf insgesamt zwölf Jahre soll möglich sein, solange die Rückkehrabsicht fortbesteht. Aus Vorsichtsgründen sollte eine Rückkehrabsicht auch künftig dokumentiert werden, um von dem Wegfall der Steuer bei späterer Rückkehr profitieren zu können. Ein Vorliegen von beruflichen Gründen wird nicht mehr gefordert. Auf Antrag des Rückkehrers entfällt die Erhebung von Jahresraten. Die bislang unbefristete Rückkehrerregelung für EU-/EWR-Wegzügler soll dagegen entfallen.
Wird im Rahmen der Rückkehrerregelung zugleich eine Stundung beantragt, sind auch künftig während des gesamten Stundungszeitraums bis zur Rückkehr des Steuerpflichtigen nach Deutschland keine Raten zu zahlen. Dieser Weg ist wohl die einzige Möglichkeit, ohne aufwendige Umstrukturierungsmaßnahmen eine unmittelbare Wegzugssteuerbelastung zu vermeiden.
IV. Mögliche Vermeidungsstrategien der neuen Wegzugsbesteuerung
Auch wenn sich in der Literatur die Stimmen mehren, die das neue Ratenzahlungskonzept ohne Stundungsregelung in EU-/EWR-Sachverhalten für unionsrechtswidrig halten, ist § 6 AStG n.F. jedenfalls geltendes Recht und daher vorerst zwingend anzuwenden. In vielen Fällen kann es daher erforderlich sein, über Gestaltungsmöglichkeiten nachzudenken, die einer Wegzugsbesteuerung zuvorkommen. Da § 6 AStG u.a. voraussetzt, dass der Steuerpflichtige gem. § 17 EStG wesentliche Anteile an einer Kapitalgesellschaft im Privatvermögen hält, besteht der zentrale Ansatzpunkt zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung darin, solche Anteile vor dem Wegzug vom Privatvermögen des Steuerpflichtigen
möglichst steuerneutral in ein Betriebsvermögen (des Steuerpflichtigen) zu überführen.
1. Einlage der Anteile in eine originär gewerblich tätige Personengesellschaft
Bei der Einlage einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung in das Betriebsvermögen einer Personengesellschaft ist darauf zu achten, dass es sich um eine gewerblich tätige Personengesellschaft handelt, bei der Anteile an der Kapitalgesellschaft dem Geschäftszweck funktional zuzurechnen sein müssen. Die Personengesellschaft vermittelt dem nunmehr nach dem Wegzug ausländischen Mitunternehmer eine inländische Betriebsstätte, sodass eine Ent-strickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG vermieden wird. Eine gewerblich geprägte Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) reicht für die Begründung einer inländischen Betriebsstätte nicht aus, sodass es bei Wegzug dann zu einer Entstrickungsbesteuerung kommen würde. Um eine Veräußerung i.S.v. § 17 EStG und eine Aufdeckung der in den Anteilen ruhenden stillen Reserven durch die Übertragung der Anteile in eine gewerblich tätige Personengesellschaft zu vermeiden, ist die Einlage als sog. verdeckte Einlage i.S.v. § 6 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 EStG zu erbringen, d.h. ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten oder sonstigen Gegenleistungen.
Eine weitere Möglichkeit zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG könnte darin liegen, die inländische Kapitalgesellschaft, an der die Anteile i.S.d. § 17 EStG bestehen, vor dem Wegzug des Steuerpflichtigen in eine Personengesellschaft umzuwandeln. Bei einem Wegzug des Steuerpflichtigen ist nunmehr die allgemeine Entstrickungsnorm für Betriebsvermögen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) zu prüfen. Die Personengesellschaft muss wie auch oben dargestellt dem Gesellschafter eine inländische Betriebsstätte vermitteln, d.h. gewerblich tätig sein. Das sollte dann kein Problem darstellen, wenn die Kapitalgesellschaft schon vor dem Formwechsel einer originären gewerblichen Tätigkeit nachgegangen ist. Zwar kann auf Ebene der Kapitalgesellschaft ein Formwechsel nach Maßgabe der § 9 i.V.m. §§ 3 ff. UmwStG grds. ohne Aufdeckung stiller Reserven erfolgen. Ein Nachteil dieser Variante ist jedoch die Besteuerung der nach § 7 UmwStG fiktiv ausgeschütteten offenen Rücklagen der formgewechselten Kapitalgesellschaft auf Ebene des Gesellschafters.
3. Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt und auflösender Bedingung
Vor dem geplanten Wegzug könnten Kapitalgesellschaftsanteile unentgeltlich auf natürliche Personen oder eine inländische Stiftung, z. B im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge, und ggf. unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen werden. Sollte ein Nießbrauchsvorbehalt vereinbart werden, wäre sicherzustellen, dass zumindest auch das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen vom Schenker (und Nießbraucher) auf den Beschenkten übergeht. Nach der Rechtsprechung des BFH bleibt nämlich der Nießbraucher wirtschaftlicher Eigentümer, wenn er nach dem Inhalt der getroffenen Abrede alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögens- und Verwaltungsrechte) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann. Bliebe der Schenker (und Nießbraucher) wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile, dann wären die Voraussetzungen des § 17 EStG weiterhin erfüllt und § 6 AStG käme folglich noch zur Anwendung. Daher ist bei der Vereinbarung eines Nießbrauchs Vorsicht geboten und sollte im Einzelfall näher geprüft werden.
Wenn der Steuerpflichtige nach der Schenkung nunmehr im Zeitpunkt des Wegzugs weder rechtlicher noch wirtschaftlicher Eigentümer der Kapitalgesellschaftsanteile wäre, wäre § 17 EStG nicht mehr erfüllt und die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG würde somit keine Anwendung mehr finden. Der Schenker kann sich unter Umständen auch ein Rücktrittsrecht von der Schenkung vorbehalten für den Fall, dass er nach Deutschland zurückkehrt. Mittels einer auflösenden Bedingung könnte der Wegzügler zudem sicherstellen, dass er den Kapitalgesellschaftsanteil wieder zurückerhält, falls er zu irgendeinem Zeitpunkt seinen (Haupt-)Wohnsitz wieder zurück nach Deutschland verlagern sollte. Jedenfalls müssten bei dieser Gestaltung die engen Voraussetzungen des §§ 13a, 13b ErbStG sowie die ertragsteuerlichen Konsequenzen genauestens geprüft werden.
VI. Fazit
Die Wegzugsbesteuerung wurde zum Teil drastisch verschärft. Insbesondere der Wegfall der Stundungsregelung bedeutet bei EU-/EWR Sachverhalten für Anteilseigner, besonders solche aus dem Mittelstand, eine Einschränkung ihrer Mobilität und ihrer Niederlassungsfreiheit.
Je nach Bedarf sollte vor dem Wegzug über vorbereitende Gestaltungen nachgedacht werden. Die oben dargestellten Gestaltungsmöglichkeiten sind keineswegs abschließend. Welche Gestaltungsvariante letztlich vorzugswürdig ist, ist nach der jeweiligen Situation und den Zielen des Betroffenen zu beurteilen.