Reform des Stiftungsrechts – Die zentralen Punkte der gesetzlichen Neuregelungen und ihre Bedeutung für Stiftungen 

Mit Verabschiedung des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes durch den Bundestag und Bundesrat am 24. und 25.6.2021 und dessen Verkündung am 22.7.2021 (BGBl. I S. 2947), schafft der Gesetzgeber im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) nun bundeseinheitliche Rechtsvorschriften für rechtsfähige Stiftungen. Bisher wurde das Stiftungsrecht im Vergleich dazu partiell im BGB, weitestgehend aber in teilweise sehr unterschiedlichen Landesstiftungsgesetzen geregelt. Die Stiftungsrechtsreform führt nun einerseits zu einer Rechtsvereinheitlichung und wird andererseits Unterschiede zwischen den Bundesländern im Hinblick auf die Ausübung der Stiftungsaufsicht abbauen. Die neuen Vorschriften sind zwar erstmalig am 1.7.2023 anwendbar, entfalten aber gleichwohl bereits jetzt eine Art Vorwirkung und können die Anpassung von Satzungen bereits bestehender Stiftungen erforderlich machen. Betroffen von der Reform sind ca. 23.000 Stiftungen, wovon mehr als 90% gemeinnützige Zwecke verfolgen. Der nachfolgende Beitrag fasst die wesentlichen Eckpunkte der Reform zusammen.

I. Hintergrund

Das Stiftungszivilrecht, welches die Entstehung und die Verfassung einer rechtsfähigen Stiftung regelt, wird bisher einerseits noch in den §§ 80 ff. BGB a.F. und anderseits in den Stiftungsgesetzen der Bundesländer geregelt. Aufgrund dieser Aufspaltung traten bisweilen unterschiedliche Streitfragen und Rechtsunsicherheiten auf. So war bspw. in Teilen unklar, welche Vorgaben in den Landesstiftungsgesetzen durch eine bereits vorhandene bundesgesetzliche Regelung im BGB suspendiert werden. Zudem wichen die Vorschiften zwischen den Landesstiftungsgesetzen selbst voneinander ab. Darüber hinaus waren auch Unterschiede hinsichtlich der Praxis der jeweiligen Aufsichtsbehörden in der Rechtsauslegung und -anwendung erkennbar. 

Mit der Neufassung der §§ 80 ff. BGB soll jedenfalls den bisher bestehenden Unterschieden entgegengewirkt werden, indem das Stiftungszivilrecht künftig auf Bundesebene im BGB vereinheitlicht wird. Aus bislang neun Paragraphen des BGB werden nunmehr 36. Darunter fallen sowohl die Neufassung bereits bestehender als auch die Einführung gänzlich neuer Bestimmungen. Die neuen Vorschriften geben dabei der bereits gelebten Praxis ein gesetzliches Fundament und werden das Stiftungsrecht konkretisieren oder erweitern. Der Gesetzgeber geht ausweislich der Gesetzesmaterialien selbst davon aus, dass die neuen Regelungen das größtenteils schon heute geltende Stiftungszivilrecht wiedergeben und bekunden.

Zwar tritt das neue Gesetz erst mit Wirkung ab dem 1.7.2023 in Kraft. Die neuen Vorschriften enthalten aber in Teilen Vorgaben, die es zum einen notwendig werden lassen, Satzungen bereits bestehender Stiftungen auf Anpassungsbedarf hin zu überprüfen. Ein Augenmerk sollte insbesondere darauf gelegt werden, inwieweit Satzungen Regelungen zu
  • Satzungsänderungen, 
  • Vorgaben zum Erhalt und zur Verwaltung des Stiftungsvermögens,
  • neben dem Vorstand bestehenden Organen sowie
  • der Fassung von Beschlüssen 
enthalten. Hierzu ergeben sich ab 01.07.2023 erhebliche Änderungen, auf die sich nicht früh genug eingestellt werden kann und sollte. 

Zum anderen spiegeln die neuen Regelungen in Teilen bereits geltendes oder jedenfalls praktiziertes Recht wider, weshalb deren Sinn und Zweck, wie sie in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommt, bereits heute für die Auslegung der zurzeit noch geltenden Vorschriften herangezogen werden können.
  
II. Inkrafttreten des neuen Rechts

Um den bestehenden Stiftungen ausreichend Zeit zu geben, etwaige erforderliche Angleichungen ihrer Satzungen vorzunehmen, und den Bundesländern eine Überarbeitung ihrer Landesstiftungsgesetze vor dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung im BGB zu gewähren, tritt das neue Stiftungsrecht erst zum 1.7.2023 in Kraft. Bereits bestehende Stiftungen sollten dennoch zeitnah eine Prüfung des Änderungsbedarfes vornehmen, da Satzungsanpassungen grundsätzlich die Genehmigung der zuständigen Stiftungsbehörde erfordern und unter den gegebenen Umständen mit einer längeren Bearbeitungsdauer zu rechnen ist. 

Das Reformgesetz sieht für bereits bestehende Stiftungen keine Übergangsregelungen vor. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass Satzungen, die von den ab dem 1.7.2023 geltenden Regelungen abweichen, nicht nichtig werden, sondern Bestandsschutz genießen. Stiftungsbehörden sollten Stiftungsorganen in diesen Fällen die Möglichkeit zu Satzungsänderungen – unter den dann geltenden Bestimmungen – einräumen. Zu empfehlen ist allerdings, Satzungen jetzt zu überprüfen und in Abstimmung mit den Aufsichtsbehörden eine Überarbeitung zeitnah, ggf. noch vor dem 1.7.2023, anzustreben. Denn Anpassungen sind einerseits nach dem 1.7.2023 nur noch unter den Voraussetzungen der §§ 85, 85a BGB n.F. möglich. Andererseits enthalten die neuen Bestimmungen in Teilen die Möglichkeit, durch anderslautende Satzungsregelungen von gesetzlichen Vorgaben zulässigerweise abzuweichen (sog. Öffnungsklauseln). Die Inanspruchnahme einer Öffnungsklausel ist aber z.B. bezogen auf die Ausgestaltung einer Hybridstiftung (siehe IV. 1.) nur im Rahmen des sog. Stiftungsgeschäfts, demnach bei Errichtung der Stiftung, möglich. Möchten Bestandsstiftungen von jenen Öffnungsklauseln Gebrauch machen, hätten sie hierzu theoretisch nicht mehr die Möglichkeit, da ihr Stiftungsgeschäft längst vollzogen wurde. Aber auch hier wird die Auffassung vertreten, auf Basis der noch geltenden Landesstiftungsgesetze und in Abstimmung mit den Behörden auch diesbezüglich Satzungsanpassungen durchführen zu können, nolens volens aber nur noch bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts. 

Bestandsstiftungen sollten daher 
  1. die bisherigen den neuen Regelungen gegenüberstellen und Abweichungen ermitteln sowie
  2. prüfen, ob daraus zwingende oder (empfehlenswerte) freiwillige Änderungen der Stiftungssatzung erforderlich werden oder geboten erscheinen.
Eine notwendige Ergänzung der Satzung könnte bspw. daraus folgen, dass ausgewählte Geschäftsführungsaufgaben einem anderen Gremium als dem Vorstand übertragen wurden, dies aber bisher in der Satzung nicht verankert worden ist, künftig aber einer Aufnahme in die Satzung nach § 84 Abs. 3 BGB n.F. bedarf (hierzu V.1.). Daneben könnte es empfehlenswert sein, für den Vorstand oder einen Stiftungsrat in der Satzung eine Ermächtigungsgrundlage für künftige Satzungsänderungen aufzunehmen, die von den engen Vorgaben des § 85 Abs. 1 bis 3 BGB n.F. abweichen (hierzu VI.1.), oder die Haftung für Pflichtverletzungen von Organmitgliedern, die ehrenamtlich tätig sind und unter § 31a BGB fallen, auszudehnen (hierzu V.2.).

III. Änderungen in der Stiftungsorganisation

1. Begriff der Stiftung
§ 80 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. nimmt eine Legaldefinition des Begriffs „Stiftung“ vor. Eine solche gab es bislang nicht. Diese Definition hat den Zweck, den Begriff der Stiftung sowohl für den Stifter selbst als auch für die Stiftungen als juristische Personen verständlicher zu machen. Danach ist eine Stiftung eine mit einem Vermögen zur dauernden und nachhaltigen Erfüllung eines vom Stifter vorgegebenen Zwecks ausgestattete, mitgliederlose juristische Person. 

Eine Stiftung gehört somit nur sich selbst. Sie hat – im Vergleich zu einer Personen- oder Kapitalgesellschaft – weder Gesellschafter bzw. Anteilseigner noch – wie ein Verein – Mitglieder. Die Möglichkeit, Gewinne zu entnehmen oder auszuschütten, besteht nicht. Gleichwohl können Stiftungen Personen oder Personengruppen im Rahmen ihrer Zweckverfolgung Zuwendungen zukommen lassen. Der Kreis der begünstigten Personen wird Destinatäre genannt.

2. Stiftungsgeschäft
§ 81 Abs. 1 BGB n.F. enthält die Pflichtangaben zum sog. Stiftungsgeschäft. Bei dem Stiftungsgeschäft handelt es sich um die Willenserklärung des Stifters, eine Stiftung zu errichten und diese mit einem für die Erfüllung des Stiftungszwecks erforderlichen Vermögen auszustatten. Ausgestaltet werden kann eine Stiftung als sog. Ewigkeitsstiftung, die auf unbestimmte Zeit errichtet wird und den gesetzlichen Grundfall bildet, wie auch als sog. Verbrauchsstiftung, die auf bestimmte Zeit errichtet wird, innerhalb derer das Vermögen zur Erfüllung ihres Zwecks zu verbrauchen ist.

Das Stiftungsgeschäft fordert die Errichtung einer Stiftungssatzung. Die Satzung muss mindestens Angaben über den Zweck, den Namen, den Sitz und die Bildung des Vorstands enthalten. Weitergehende Regelungen, die über den gesetzlich geforderten Mindestinhalt hinausgehen, sind möglich. Hierdurch soll dem Stifter ausreichend Freiraum eingeräumt werden, seine Vorstellungen und Ideen über die Tätigkeit der Stiftung einfließen lassen zu können und seinen Stifterwillen in der gebotenen Ausführlichkeit zu bekunden (sog. Satzungsautonomie). 

Neben der Errichtung der Satzung muss der Stifter im Stiftungsgeschäft der Stiftung Vermögen zur Erfüllung des Stiftungszwecks widmen (gewidmetes Vermögen). Dieses Vermögen hat der Stifter nach Anerkennung der Stiftung durch die zuständige Stiftungsbehörde gemäß § 82a BGB n.F. auf die Stiftung zu übertragen. Es steht dem Stifter anschließend endgültig nicht mehr zur freien Verfügung und geht ins Eigentum der Stiftung über. 

Durch § 81 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB n.F. werden die gesetzlichen Anforderungen an eine Verbrauchsstiftung konkretisiert. Eine Verbrauchsstiftung ist im Vergleich zu einer Ewigkeitsstiftung nicht auf einen zeitlich unbegrenzten Fortbestand ausgerichtet. Für eine Verbrauchsstiftung ist die Zeit festzulegen, für die eine solche Stiftung errichtet werden soll (§ 81 Abs. 2 Nr. 1 BGB n.F.). Als Mindestdauer gelten nach § 82 Satz 2 BGB n.F. zehn Jahre. Die Satzung muss ferner Bestimmungen zur Verwendung des Stiftungsvermögens enthalten, die die nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks und den vollständigen Verbrauch des Stiftungsvermögens innerhalb der Zeit, für welche die Stiftung errichtet wird, gesichert erscheinen lassen (§ 81 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F.). Es soll vermieden werden, dass der Zweck schon nach kurzer Zeit des Bestehens der Stiftung nicht mehr wirksam verfolgt werden kann, weil das Vermögen bereits kurze Zeit nach der Errichtung aufgebraucht wurde. Nach der Gesetzesbegründung erscheint eine nachhaltige Zweckerfüllung regelmäßig auch dann nicht gesichert, wenn der Großteil des Stiftungsvermögens erst kurz vor Ablauf der für die Stiftung vorgesehenen Lebensdauer für die Zweckerfüllung verbraucht wird.

Hinweis: Bei der Satzungsgestaltung einer Verbrauchsstiftung ist insbesondere ein Augenmerk auf die Darstellung des Zwecks und der hierfür im Zeitablauf benötigten und zu verbrauchenden Mittel zu legen. Der Prognose, ob das Vermögen zu Erfüllung des Stiftungszwecks während des gesamten Zeitraums ausreicht und verbraucht wird, kommt hier eine wesentliche Bedeutung zu. Eine positive Prognose ist Voraussetzung für die Anerkennung einer Stiftung durch die zuständige Stiftungsbehörde. 

§ 81 Abs. 3 BGB n.F. dient der Klarstellung hinsichtlich der formellen Anforderungen an das Stiftungsgeschäft. Dieses bedarf lediglich der schriftlichen Form. Strengere Anforderungen, z.B. die Formerfordernisse für Verträge über Grundstücke (§ 311b Abs. 1 BGB) oder die Übertragung von GmbH-Anteilen (§ 15 GmbHG), sollen grundsätzlich keine Anwendung finden. Eine notarielle Beurkundung ist somit – auch bei gewidmetem Vermögen in Gestalt von Grundbesitz oder GmbH-Anteilen – nicht zwingend erforderlich. Soll die Errichtung der Stiftung dagegen von Todes wegen – bspw. auf Basis eines öffentlichen Testaments – erfolgen oder ist die Übertragung eines Grundstücks auf die Stiftung im Stiftungsgeschäft vorgesehen, ist die Beteiligung eines Notars hingegen unerlässlich.

Hinweis: Auch künftig wird es nicht möglich sein, Stiftungen auf Zeit zu gründen, bei denen das Stiftungsvermögen nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes wieder an den Stifter zurück- oder einen Dritten fällt. Aus Sicht des Gesetzgebers fehlt es bei diesen Stiftungen an der für die Stiftung typischen dauerhaften Verbindung zwischen Zweck und Vermögen, die die Schaffung des selbständigen Rechtssubjekts Stiftung und die Kosten für die staatliche Aufsicht zum Schutz der Stiftung rechtfertigen. Demgegenüber wird gleichwohl im Schrifttum die Ansicht vertreten, dass die Errichtung einer Stiftung für einen überschaubaren Zeitraum, bei dem die Zeitdauer von der Erreichung eines (zeitlich nicht im Vorfeld definierten) Zwecks abhängt, zulässig sei. Als Praxisbeispiel kommt die Errichtung einer Stiftung zur Sanierung eines Denkmals in Betracht, die mit Zweckerreichung aufzulösen ist.

3. Stifterwille
Mit § 83 Abs. 2 BGB n.F. wird die Maßgeblichkeit des ursprünglichen Stifterwillens statuiert und dessen Bedeutung deutlich hervorgehoben. Demnach haben sowohl die Stiftungsorgane als auch die Stiftungsaufsichtsbehörden den Willen des Stifters, oder hilfsweise den mutmaßlichen Stifterwillen, der bei der Errichtung der Stiftung zum Ausdruck gekommen ist, stets zu beachten. Der ursprüngliche und im Stiftungsgeschäft manifestierte Wille des Stifters als Maß aller Dinge wird somit nochmals klarstellend im Gesetz hervorgehoben und entspricht der bisherigen Rechtslage. Überlegungen, wonach einer Stifterin oder einem Stifter zu Lebzeiten noch eine autonome Einflussmöglichkeit auf die Stiftung und deren Zweck eingeräumt werden sollte, konnten sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen. Die Satzung bildet den Handlungsrahmen der Tätigkeit von Vorstand und daneben bestehenden Organen, in Form eines Stifterrats oder eines Kuratoriums o.ä. 

Hinweis: Die ausreichende Dokumentation des Stifterwillens bei der Errichtung einer Stiftung ist geboten, um späteren Unklarheiten vorzubeugen. Hierbei ist nicht zwingend erforderlich, ihn in der Satzung zu manifestieren. Eine Verankerung in neben der Satzung stehenden Dokumenten ist gleichfalls möglich. 

Die Maßgeblichkeit des ursprünglichen Stifterwillens bedeutet hingegen nicht, dass durch den Zeitlauf notwendig gewordene Anpassungen nicht vorgenommen werden können. Vielmehr geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Stifter zwar an seinem historischen Ausgangswillen festhalten will, notwendig gewordene Anpassungen zur Sicherstellung der Stiftungsexistenz auf Dauer aber im Regelfall von ihm gewünscht und erforderliche Korrekturen möglich sein sollen (hierzu näher unter V. 1.). 

IV. Änderungen beim Stiftungsvermögen

1. Unterscheidung von Grundstockvermögen und sonstigem Vermögen
Das Stiftungsvermögen wird von den §§ 80 ff. BGB a.F. bisher nur sehr knapp behandelt. Die jeweiligen Landesstiftungsgesetze formulieren zudem ebenfalls nur den stiftungsrechtlichen Grundsatz, nach dem das Stiftungsvermögen dauerhaft zu erhalten ist, ohne diesen jedoch weiter zu konkretisieren. Hilfreich und von Bedeutung wird daher künftig die grundlegende gesetzliche Ordnung des Stiftungsvermögens und dessen Verwaltung in § 83b und § 83c BGB n.F. sein. 

Unter dem Begriff des Stiftungsvermögens wird zunächst das gesamte Vermögen einer Stiftung verstanden. Es setzt sich aus verschiedenen Vermögensmassen zusammen. Begrifflich wird gem. § 83b Abs. 1 BGB n.F. zwischen den beiden Vermögensmassen „Grundstockvermögen“ und „sonstigem Vermögen“ unterschieden. Das Grundstockvermögen besteht aus denjenigen Vermögenswerten, die von der Stiftung nicht verbraucht werden dürfen. Es bildet somit das materielle Fundament der Stiftung und generiert Erträge, aus denen die Stiftungstätigkeit finanziert wird. Das Grundstockvermögen setzt sich nach § 83b Abs. 2 BGB n.F. aus dem der Stiftung bei Errichtung gewidmeten Vermögen, nachträglichen Zustiftungen (Übertragung von Vermögenswerten auf die Stiftung, zum Verbleib als Aufstockung des Grundstockvermögens) und von der Stiftung selbst dazu bestimmtem Vermögen zusammen. Im Vergleich dazu besteht das sonstige Vermögen hauptsächlich aus den laufenden Erträgen. Nach der Gesetzesbegründung ist bspw. für die Prognose, ob die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheint, nur das Grundstockvermögen der Stiftung maßgeblich.

Damit eine Stiftung ihren Zweck dauerhaft und nachhaltig erfüllen kann, ist das Grundstockvermögen dauerhaft und ungeschmälert zu erhalten. In welcher Form dies geschehen soll bzw. woran ein dauerhafter und ungeschmälerter Erhalt gemessen wird, wurde vom Gesetzgeber nicht weiter ausgeführt. In Betracht kommen ein gegenständlicher (bspw. bei Errichtung einer Stiftung unter Zuführung eines Grundstücks), ein nominaler oder ein realer Werterhalt. Der Gesetzgeber hat hier bewusst keine Vorgaben geschaffen. Maßgeblich ist vielmehr der Wille des Stifters, wie er zur Zeit der Stiftungserrichtung bestand und idealerweise in der Satzung der Stiftung oder einem Konzept zur Kapitalerhaltung niedergelegt ist. 

Hinweis: Das Verfassen eines Kapitalerhaltungskonzeptes ist einerseits sinnvoll, um späteren Schwierigkeiten beim Erforschen des Stifterwillens und daraus erwachsenden Diskussionen mit der Stiftungsaufsicht vorzubeugen. Andererseits wird hierdurch auch ein Rahmen für die Organe einer Stiftung geschaffen, die mit der Verwaltung des Grundstockvermögens befasst sind. Das Treffen von Anlageentscheidungen auf der Basis einer Grundlage ist in der aktuell noch immer andauernden Niedrigzinsphase umso bedeutender.

Ewigkeitsstiftungen können über Grundstockvermögen und sonstiges Vermögen verfügen. Demgegenüber besteht das Stiftungsvermögen einer Verbrauchsstiftung nur aus sonstigem Vermögen, welches nicht dazu verpflichtet, dauerhaft und ungeschmälert erhalten zu werden.

Erstmals räumt § 83b Abs. 3 BGB n.F. dem Stifter die Möglichkeit ein, im Stiftungsgeschäft einer Ewigkeitsstiftung einen Teil des Vermögens als (verbrauchbares) sonstiges Vermögen auszuweisen. Geschaffen wird hierdurch eine sog. Hybridstiftung, welche die Merkmale einer Ewigkeitsstiftung einerseits mit denen einer Verbrauchsstiftung andererseits kombiniert.

Hinweis: Für Stiftungen, die ihren Zweck nicht mehr nachhaltig verfolgen können, besteht die Möglichkeit, sich durch Satzungsänderung von einer Ewigkeits- zu einer Verbrauchsstiftung zu wandeln. Das dauerhaft und ungeschmälert zu erhaltende Grundstockvermögen wird in diesem Fall zu sonstigem (verbrauchbaren) Vermögen.

2. Umschichtungsgewinne
Gesetzlich verankert wird künftig die Behandlung von Umschichtungsgewinnen. Unter Umschichtungsgewinnen werden alle Gewinne verstanden, die aus der Veräußerung von Stiftungsvermögen stammen. Veräußert bspw. eine Stiftung Aktien des Grundstockvermögens zu einem höheren Preis als sie für deren Anschaffung ausgegeben hat, erzielt sie hiernach einen Umschichtungsgewinn. 

§ 83c Abs. 1 Satz 3 BGB n.F. stellt in diesem Zusammenhang nun klar, dass Gewinne aus der Umschichtung des Grundstockvermögens zur Erfüllung des Stiftungszwecks verwendet werden dürfen, aber nicht müssen. Etwas anderes gilt hingegen im Falle einer anderslautenden Satzungsregelung. Es ist somit möglich, den Umgang mit Umschichtungsgewinnen durch eine Vorschrift in der Satzung vorzugeben. So könnte bspw. eine Formulierung derart ausgestaltet werden, dass nur ein positiver Saldo aus den Umschichtungsergebnissen für die Verwirklichung des Stiftungszwecks verwendet werden kann und eine Verwendung von Umschichtungsergebnissen für Satzungszwecke überhaupt nur zulässig ist, wenn Verluste früherer Jahre im Vorfeld ausgeglichen wurden. 

Hinweis: § 83c Abs. 1 Satz 3 BGB n.F. ist insbesondere im Lichte der steuerlichen Anforderungen gemeinnützig tätiger Stiftungen zu sehen. Nach den Vorgaben der Abgabenordnung (AO) unterliegen die erwirtschafteten Mittel einer steuerbegünstigten Stiftung dem sog. Gebot der zeitnahen Mittelverwendung (§ 55 Abs. 1 Nr. 5 AO). Von diesem Gebot wurden unter steuerlichen Gesichtspunkten Umschichtungsgewinne ausgenommen (AEAO Nr. 32 zu § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO). § 83c Abs. 1 BGB entspricht somit der bereits gängigen steuerlichen Praxis, nach der ein Wahlrecht bestand, die Umschichtungsgewinne bspw. dem zu erhaltenden Grundstockvermögen zu widmen oder sie für (steuer-begünstigte) Zwecke zeitnah zu verausgaben. 

Weiter besteht nach § 83c Abs. 2 BGB n.F. die Möglichkeit, qua Satzung einen vorübergehenden und teilweisen Verbrauch des Grundstockvermögens zuzulassen und somit das Gebot des ungeschmälerten Erhalts des Grundstockvermögens partiell zu durchbrechen. Vorausgesetzt wird aber, dass der verbrauchte Teil zeitnah wieder dem Grundstockvermögen zugeführt wird. Eine solche Satzungsbestimmung soll es den Stiftungsorganen erlauben, zur Finanzierung größerer Projekte Grundstockvermögen zu verbrauchen, wenn es in den Folgejahren wieder aufgefüllt wird, was die Flexibilität der Stiftung bei derartigen Förderprojekten erheblich vergrößert.

Hinweis: Vorgaben in der Satzung für den Umgang mit Umschichtungsgewinnen oder die Eröffnung der Möglichkeit, einen Teil des Grundstockvermögens verbrauchen zu können, haben unbedingt unter Beachtung und Einbezug eines Kapitalerhaltungskonzeptes zu erfolgen. Andernfalls besteht das Risiko, inkongruente und nicht aufeinander abgestimmte Regelungen zu schaffen.

V. Änderungen auf Ebene der Stiftungsorgane

1. Weitere Organe neben dem Vorstand
Nach § 84 Abs. 1 BGB n.F. muss eine Stiftung zwingend einen Vorstand als obligatorisches Organ haben. Er führt die Geschäfte und vertritt die Stiftung im Rechtsverkehr (§ 84 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 BGB n.F.). Das Gesetz eröffnet aber ausdrücklich die Möglichkeit, weitere Organe neben dem Vorstand zu installieren (§ 84 Abs. 4 BGB n.F.). Dies stellt ebenfalls eine bislang nicht dagewesene Neuerung des Stiftungszivilrechts dar, obgleich die Schaffung weiterer Organe durch die Satzung in der Praxis auch bisher schon üblich und zulässig war. In Betracht kommt bspw. die Einrichtung eines Stiftungsrats. Die Bildung eines zusätzlichen Organs wie auch die Beschreibung seiner Aufgaben und Befugnisse müssen aber in der Stiftungssatzung niedergelegt sein. Als Aufgaben und Befugnisse kommen bspw. die Überwachung des Vorstands, die Bestellung und Abberufung von Mitgliedern des Vorstands, die Feststellung einer Jahresrechnung oder die Erteilung der Zustimmung zu bestimmten Geschäften in Betracht. Einem weiteren Organ könnten bspw. auch partielle Geschäftsführungsaufgaben übertragen und die Vertretungsmacht des Vorstands beschränkt werden (§ 84 Abs. 3 BGB n.F.)

Hinweis: Stiftungen, die neben dem Vorstand über weitere Organe verfügen, sollten ihre Satzungen auf Anpassungsbedarf hin überprüfen. Sofern entweder die über den Vorstand hinausgehenden Organe oder deren Aufgaben und Befugnisse in der Satzung nicht benannt oder nicht ausreichend sind, sind Ergänzungen vorzunehmen.

2. Haftung
Haftungsfragen sind vielschichtig. Nach § 31 BGB (einer Bestimmung aus dem Vereinsrecht) i.V.m. § 86 Satz 1 BGB a.F. bzw. § 84 Abs. 5 BGB n.F. haftet eine Stiftung für Schäden, die ihre Organe bzw. ein Mitglied ihres Organs einem Dritten zufügen. Daneben haften Mitglieder eines Organs, z.B. des Vorstands, im Weiteren gegenüber der Stiftung (sog. Binnenhaftung) sowie gegenüber Dritten (sog. Außenhaftung). 

Gegenüber der Stiftung haften Mitglieder eines Organs wegen Pflichtverletzungen grundsätzlich unbeschränkt. Gem. § 84a Abs. 1 BGB n.F. kann die Haftung in der Satzung – z.B. bereits bei Errichtung der Stiftung oder durch eine nachträgliche Satzungsänderung – aber beschränkt werden. Ein Haftungsausschluss kommt z.B. bei einfacher Fahrlässigkeit in Betracht.

Sind Organmitglieder unentgeltlich tätig oder liegt deren Vergütung nicht oberhalb von EUR 840 p.a., stellt § 84a Abs. 3 BGB n.F. im Weiteren eine gesetzliche Haftungserleichterung auf. Unter entsprechender Anwendung von § 31a BGB kommt in diesen Fällen grundsätzlich nur eine persönliche Haftung bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit in Betracht. Es besteht allerdings künftig die Möglichkeit, diese Haftungserleichterung in der Satzung durch eine abweichende Regelung zu beschränken oder auszuschließen (§ 84a Abs. 3 Satz 2 BGB). Diese Möglichkeit zur Abbedingung von § 31a BGB war bislang umstritten. Aus Sicht des Gesetzgebers kann der Ausschluss der Haftungserleichterung in den Fällen sinnvoll sein, in denen für Schäden, die durch Organe verursacht wurden, ein Versicherungsschutz (z.B. in Form einer D&O-Versicherung o.ä.) besteht. Die Stiftung kann sich dann durch Inanspruchnahme der Versicherung schadlos halten. Die Einschränkung oder der Ausschluss des Haftungsfreistellungsanspruchs kann entweder in der Errichtungssatzung oder durch eine spätere Satzungsänderung bei bereits bestehenden Stiftungen vorgenommen werden.

Hinweis: Sind bspw. Vorstandsmitglieder ehrenamtlich tätig, ist zu prüfen, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, eine Einschränkung oder einen Ausschluss der Haftungserleichterung in der Satzung zu regeln.

Dritten gegenüber können z.B. Stiftungsvorstände in den Fällen der Insolvenzverschleppung oder für Steuerschulden nach § 69 AO haften. Bei unentgeltlicher oder gering vergüteter Tätigkeit besteht aber für die Mitglieder eines Organs ein Freistellungsanspruch gegenüber der Stiftung nach § 31a Abs. 2 BGB i.V.m. § 84 Abs. 5 BGB n.F bzw. § 86 Satz 1 BGB a.F. 

3. Verankerung der Business Judgement Rule
§ 84a Abs. 2 BGB n.F. verankert die aus dem Aktienrecht bekannte sog. Business Judgement Rule fortan auch im Stiftungsrecht. Für Aktiengesellschaften ist eine entsprechende Regelung in § 93 AktG normiert und eröffnet den Organen einer Aktiengesellschaft bei unternehmerischen Entscheidungen einen Ermessensspielraum. Insbesondere kommt in der Business Judgement Rule zum Ausdruck, dass keine Pflichtverletzung (und damit kein Haftungsgrund) vorliegt, wenn das Organ bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft gehandelt zu haben. 

Übertragen auf eine Stiftung und deren Organe bedeutet dies, dass Stiftungsorgane unter bestimmten Umständen von der Haftung gänzlich ausgenommen sind, obgleich sie der Stiftung einen Schaden zugefügt haben. So ist beispielsweise der Irrtum eines Organmitglieds über zukünftige Entwicklungen an den Kapitalmärkten im Rahmen der Verwaltung des Stiftungsvermögens nicht haftungsrelevant. Allgemein gilt: Stiftungsorgane können nicht für den Erfolg oder Misserfolg ihrer Tätigkeit haftbar gemacht werden, sofern die Abwägung der Informationen und Argumente, die zu dieser Entscheidung geführt haben, nachvollziehbar und ausreichend dokumentiert worden sind. Demgegenüber kann sich ein Stiftungsvorstand nicht auf die Business Judgement Rule berufen, wenn er die Stiftung in ein Unternehmen investieren lässt, ohne von der angebotenen Möglichkeit einer Due Diligence Gebrauch zu machen, da er seine Entscheidung dann gerade nicht auf angemessene Informationen gestützt hat.

4. Beschlussfassung
Nach § 84b BGB n.F. erfolgt die Beschlussfassung bei einem aus mehreren Personen bestehenden Vorstand entsprechend der für Vereine geltenden Vorschriften (§ 32 BGB). Hier gilt das sog. Mehrheitsprinzip wie auch der Umstand, dass Beschlüsse im Rahmen einer Versammlung zu fassen sind. In der Satzung können davon abweichende Regelungen getroffen werden.

Hinweis: Die Satzung kann bspw. die Durchführung virtueller oder hybrider Vorstandssitzungen zulassen. In der Satzung kann auch eine Grundlage geschaffen werden, Beschlüsse im Wege eines Umlaufverfahrens – bspw. via E-Mail – fassen zu können. Die Arbeit der Organe wird hierdurch flexibler.

VI. Änderungen der Stiftungsstruktur

1. Satzung
Auch im Hinblick auf die Stiftungsstrukturen hält die Stiftungsrechtsreform umfassende und weitreichende Änderungen bereit, die nun in einem bundeseinheitlichen und übersichtlichen Regelwerk aufgeführt wer-den. Insbesondere die Festlegung des Verfahrens zur Änderung der Stiftungssatzung stellt eine bislang nicht dagewesene Ergänzung des Stiftungsrechts dar. Denn die Landesstiftungsgesetze weisen in diesem Punkt durchaus gravierende Unterschiede auf.

In den §§ 85, 85a BGB n.F. werden künftig abschließend das Verfahren und die Voraussetzungen für Satzungsänderung geregelt sein. Dazu werden die Anforderungen an eine Satzungsänderung über ein aus drei Stufen bestehendes System ausdifferenziert. Die Anforderungen sind dabei umso höher, je stärker der Eingriff in die Satzung ist.

Stufe 1: 
Austausch des Stiftungszwecks, Beschränkung des Stiftungszwecks der zu einer veränderten Stiftungsidentität führt, Umwandlung einer Ewigkeitsstiftung zu einer Verbrauchsstiftung.

Änderungen der Stufe 1 sind gem. § 85 Abs. 1 BGB n.F. nur zulässig, wenn die Erfüllung des bisherigen Stiftungszwecks unmöglich geworden ist und es sicher scheint, dass der beabsichtigte neue bzw. beschränkte Zweck erreicht werden kann.

Stufe 2: 
Änderung des Stiftungszwecks ohne Veränderung der Stiftungsidentität, Änderung prägender Satzungsbestimmungen (Name, Sitz, Art und Weise der Zweckerfüllung, Erhaltung und Verwaltung des Grundstockvermögens, etc.). 

Änderungen der Stufe 2 sind gem. § 85 Abs. 2 BGB n.F. dann zulässig, wenn die Verhältnisse nach Stiftungserrichtung sich so wesentlich verändert haben, dass die Anpassungen der Stiftung erforderlich sind.

Stufe 3:
Änderungen die den Stiftungszweck nicht berühren, Änderung einfacher Satzungsbestimmungen.

Änderungen der Stufe 3 sind gem. § 85 Abs. 3 BGB n.F. dann zulässig, wenn sie der Erfüllung der Stiftungszwecke dienen.

Dem Stifter wird in § 85 Abs. 4 BGB n.F. allerdings die Möglichkeit eingeräumt, im Stiftungsgeschäft Satzungsänderungen abweichend von den vorgenannten (gesetzlich festgelegten) Stufen zu regeln. Solche (satzungsmäßigen) Änderungsbefugnisse müssen allerdings bereits in der Errichtungssatzung selbst verankert und niedergeschrieben sein. Spätere Ergänzungen der Satzung sind dahingehend wohl ausgeschlossen, im neuen Stiftungsrecht jedenfalls nicht ausdrücklich vorgesehen. 

Die Möglichkeit satzungsmäßig eigene Vorgaben zu schaffen, ist jedoch nicht in der Weise zu verstehen, als könnten allumfassende und grenzenlose Änderungsbefugnisse, etwa durch entsprechende Sonderrechte für den Stifter zu dessen Lebzeiten, implementiert werden. Besonders die Ermächtigung zu einer gegenüber dem Gesetz erleichterten Änderbarkeit der Satzung muss durch den Stifter bezogen auf den Inhalt und den Umfang hinreichend bestimmt festgelegt sein. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist eine Blanko- und Pauschalermächtigung nicht möglich. Vielmehr muss der Stifter den Stiftungsorganen Leitlinien und Orientierungspunkte für eine Satzungsänderung an die Hand geben. Wie in § 85 Abs. 1 bis 3 BGB n.F. gilt auch hier: Je bedeutsamer die Änderungen sind, desto höher sind die Anforderungen, die an die Bestimmtheit der Ermächtigung gestellt werden. 

Hinweis: Insbesondere bereits bestehende Stiftungen sollten überprüfen, ob und inwieweit die Satzung um Ermächtigungsgrundlagen für spätere Satzungsänderungen ergänzt werden sollen. Dies wird nur mit Zustimmung und in Abstimmung mit der Stiftungsbehörde und nur bis zum 30.06.2023 nach Maßgabe der bis dahin noch geltenden Landesstiftungsgesetze und des historischen Stifterwillens möglich sein, da § 85 Abs. 4 BGB n.F. ausdrücklich einen entsprechenden Vorbehalt im Stiftungsgeschäft voraussetzt.

2. Zulegung und Zusammenlegung
In den §§ 86–86h BGB n.F. wird künftig die Abwicklung von Zulegungen und Zusammenlegungen von Stiftungen geregelt, gewissermaßen also eine Verschmelzung von Stiftungen zur Aufnahme bzw. zur Neugründung vorgesehen. Erreicht werden soll hier eine einheitliche Gesetzesanwendung und der Abbau von Rechtsunsicherheit. 

Unter einer Zulegung wird die Übertragung des Stiftungsvermögens als Ganzes auf eine andere, das Vermögen übernehmende, bereits bestehende Stiftung verstanden. Im Gegensatz dazu ist eine Zusammenlegung die Übertragung des Vermögens mehrerer Stiftungen auf eine neue, dadurch zu errichtende Stiftung. Die Zulegung und Zusammenlegung erfolgt nach § 86f Abs. 1 und 2 BGB n.F. im Wege der Gesamtrechtsnachfolge. Die aufwändige Liquidation einer Stiftung ist somit künftig nicht mehr erforderlich, wenn der Weg eines solchen Vermögenstransfers gewählt wird. 

Stiftungen sollen aber nicht frei zugelegt und zusammengelegt werden können. Hierfür müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Für eine Zulegung reicht es aber bereits aus, dass der Zweck der übernehmenden Stiftung in weiten Teilen mit dem Zweck der übertragenden Stiftung übereinstimmt. Demgegenüber setzt eine Zusammenlegung grundsätzlich voraus, dass sich die Verhältnisse nach der Errichtung der übertragenden Stiftungen wesentlich verändert haben und eine Anpassung der Stiftungen durch eine Satzungsänderung nicht möglich ist. Die Änderung der Stiftungszwecke um das Fortbestehen der Stiftungen zu sichern, sind demnach immer im Vorfeld vor einer Zusammenlegung zu prüfen und in der Praxis natürlich mit der Stiftungsbehörde abzustimmen.

Es soll dem Stifter aber unbenommen bleiben, die Zulegung bzw. Zusammenlegung durch entsprechende Vorkehrungen in der Satzung zu erschweren oder gänzlich auszuschließen. Erleichterungen für den Vermögensübergang dürfen dagegen nicht verankert werden. Insoweit sind die gesetzlichen Vorgaben zwingend. Eine erhebliche Erleichterung folgt allerdings aus der Formvorschrift von § 86d BGB n.F., wonach es für Zulegungsverträge und Zusammenlegungsverträge nur der schriftlichen Form bedarf und insbesondere § 311b Abs. 1 bis 3 BGB nicht anzuwenden ist. Selbst wenn also ein Grundstück im Vermögen einer übertragenden Stiftung enthalten ist und obwohl diese ihr gesamtes gegenwärtiges Vermögen überträgt, bedarf es keiner notariellen Beurkundung.

3. Beendigung durch Auflösung oder Aufhebung
Die §§ 87–87d BGB n.F. enthalten abschließende Regelungen zur Beendigung von Stiftungen. Diese Regelungen sind vor allem in der Hinsicht als zwingend anzusehen, als dass eine Erleichterung oder Erschwerung der Vorschriften auch nicht durch abweichende Satzungsregelungen möglich sein soll. Systematisch unterschieden wird künftig zwischen der Selbstauflösung der Stiftung durch das zuständige Stiftungsorgan (§ 87 BGB n.F.) und der behördlichen Aufhebung der Stiftung durch die Stiftungsaufsicht (§ 87a BGB n.F.). 

An die Auflösung bzw. Aufhebung werden aber bestimmte Voraussetzungen geknüpft. So kommt die Beendigung einer auf Ewigkeit angelegten Stiftung nur in Betracht, wenn sie ihren Zweck endgültig nicht mehr erfüllen kann. Endgültigkeit ist anzunehmen, wenn der Zustand der zur Unerfüllbarkeit des Zwecks führte, nicht in absehbarer Zeit beseitigt werden kann. Insbesondere liegt keine Endgültigkeit vor, wenn die Stiftung so umgestaltet werden kann, dass die Zweckerreichung durch eine Satzungsänderung wieder gewährleistet werden könnte. Aus diesem Umstand ergibt sich, dass die Auflösung stets das letzte Mittel („ultima ratio“) sein muss und hinter eine Satzungsänderung zurücktritt. 

Die Aufhebung der Stiftung durch die zuständige Behörde ist gegenüber der organschaftlichen Auflösung subsidiär. Sie soll gem. § 87a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB n.F. nur dann möglich sein, wenn die zuständigen Organe nicht rechtzeitig handeln. Weiter muss nach § 87a Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB n.F. eine behördliche Aufhebung erfolgen, wenn durch die Stiftung eine Gefährdung des Gemeinwohls besteht oder wenn die Stiftung ihren Verwaltungssitz ins Ausland verlegt hat und diese Verlegung nicht in angemessener Zeit wieder rückgängig zu machen ist. 

Das Vermögen selbst fällt bei erfolgreicher Liquidation der Stiftung an einen Anfallberechtigten, der grundsätzlich in der Satzung benannt werden sollte (§ 87c Abs. 1 Satz 1 BGB n.F.). Ist dagegen kein Anfallberechtigter bestimmt, fällt das Vermögen an den Fiskus (§ 87c Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.). 

Hinweis: Praktische Auswirkungen wird § 87c BGB n.F. für gemeinnützige Stiftungen nicht entfalten. Sie sind bereits aufgrund der steuerlichen Vorgaben verpflichtet, in ihren Satzungen eine Einrichtung zu benennen, der das Vermögen im Falle einer Liquidation oder Aufhebung der Stiftung zugutekommt. 

Für Verbrauchsstiftungen besteht im Vergleich zu Ewigkeitsstiftungen eine Pflicht zur Auflösung bzw. Aufhebung nach Ablauf des Zeitraums, für den sie errichtet wurde (§ 87 Abs. 2 BGB n.F.). Sie werden nicht automatisch aufgelöst, wenn ihr Vermögen verbraucht ist.

VII. Stiftungsregister

Ab dem 01.01.2026 wird ein zentrales und elektronisches Stiftungsregister eingeführt werden. Zur Umsetzung und Regelung dessen hat der Gesetzgeber im Gesetz zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes ein eigenes Stiftungsregistergesetz („StiftRG“) beschlossen. Diese Neuerung ist längst überfällig, denn Stiftungen sind bislang die einzigen juristischen Personen privaten Rechts, die ohne ein öffentlich zugängliches Register auskommen müssen. Aus diesem Grund ist es aktuell für Stiftungsvorstände noch nötig, sich ihre Legitimität durch eine schriftliche Auskunft der Stiftungsaufsichtsbehörde bestätigen zu lassen, deren Anerkennung speziell im Ausland häufig schwierig ist. Durch das Stiftungsregister wird die Ausstellung dieser sog. Vertretungsbescheinigung zukünftig überflüssig werden. 

Weiter ist es derzeit gängige Praxis, dass Stiftungen sich sowohl im Stiftungsverzeichnis des Landes, in dem sie ihren Sitz haben, eintragen, als auch eine Meldung an das Transparenzregister gem. §§ 18 ff. GwG (Geldwäschegesetz) vornehmen müssen. Zurecht besteht in der Literatur die Sorge, dass zusätzlich nun bald auch noch die Kommunikation mit dem Stiftungsregister hinzukommt. Wünschenswert wäre also, dass der Gesetzgeber die Zeit bis zum Inkrafttreten des StiftRG nutzt und den Prozess genau normiert und bestenfalls so weit vereinfacht, dass eine einzige Meldung ausreichend ist, um allen Anforderungen bzgl. der Eintragung als Stiftung zu genügen. Als Stichtag für die Anmeldung bereits bestehender Stiftungen in das Stiftungsregister ist der 31.12.2026 festgelegt worden.

Die Eintragung in das Stiftungsregister soll mit sog. negativer Publizitätswirkung erfolgen. Die negative Publizitätswirkung beschreibt grundsätzlich das Vertrauen in die Nichtexistenz von nicht eingetragenen Tatsachen. Einzutragende Tatsachen können für gewöhnlich einem Dritten danach nur entgegengehalten werden, wenn sie auch eingetragen sind. 

Alle ins Stiftungsregister eingetragenen Stiftungen haben in ihrem Namen künftig einen Rechtsformzusatz zu führen. Für die Ewigkeitsstiftungen gilt gem. § 82c BGB n.F. der Zusatz „eingetragene Stiftung“ oder „e.S.“ und für die Verbrauchsstiftungen der Zusatz „eingetragene Verbrauchsstiftung“ oder „e.VS.“. Dadurch wird für den Rechtsverkehr erkennbar, ob es sich tatsächlich um eine rechtsfähige Stiftung handelt. 

Die Einsichtnahme in das Stiftungsregister soll gem. § 15 StiftRG jedermann gestattet sein. Dies soll auch für die Einsicht in beim Register eingereichte Dokumente, insbesondere die Stiftungssatzung, gelten. Allerdings soll die Möglichkeit bestehen, den Zugang zu bestimmten Dokumenten aufgrund berechtigtem Interesse der Stiftung zu beschränken oder sogar ganz ausschließen zu können. Dies kann ausweislich der Gesetzesbegründung dann der Fall sein, wenn z.B. personenbezogene Daten von Destinatären oder Stiftern oder Regelungen zur Vermögensverwaltung einsehbar wären. Besteht jenes Risiko würden die Dokumente nicht oder nur so in den Registerordner eingestellt, dass bestimmte Inhalte unkenntlich gemacht sind. Herausfordernd kann der künftige öffentliche Zugriff auf die Dokumente bspw. für Familienstiftungen werden, die für gewöhnlich eine Vielzahl an besonderen, familienbezogenen Regelungen enthalten.

VIII. Fazit

Ziel der Stiftungsrechtsreform soll es sein, das Stiftungsrecht für alle Beteiligten zugänglicher und übersichtlicher zu gestalten und die Rechtssicherheit bei der Anwendung dieses Teilrechtsgebietes zu erhöhen. Die Entscheidung hin zu einer bundeseinheitlich geltenden und abschließenden Regelung des Stiftungszivilrechts stellt vor diesem Hintergrund fraglos einen wichtigen Schritt in Richtung der Erreichung dieses großen und notwendigen Ziels dar. In Anbetracht der Tatsache, dass die Zahl an bereits bestehenden Stiftungen die Marke von 20.000 übersteigt, ist allerdings fraglich, ob bis zum Inkrafttreten der neuen und angepassten Normen den Stiftungen genug Zeit zur Umsetzung und Anpassung gegeben wurde. Insbesondere betrifft dies nötig gewordene Anpassungen der Stiftungssatzungen an die neuen rechtlichen Gegebenheiten. 

Den bereits bestehenden Stiftungen ist tunlichst anzuraten im Vorgriff auf das neue Recht ihre Stiftungssatzung zu prüfen bzw. prüfen zu lassen, ob es im Interesse der Stifter bzw. des weiteren Bestehens der Stiftung angezeigt ist, die Stiftungsatzung auf das neue Recht anzupassen und etwa Regelung zur Satzungsänderung abweichend von den künftig strengen Bestimmungen von §§ 85 und 85a BGB n.F. vorzusehen.

Handlungsbedarf besteht ganz besonders für inländische Stiftungen, die ihre Verwaltung aus dem Ausland führen, da das neue Recht zwingend verlangt, dass die Verwaltung der Stiftung im Inland zu führen ist (§ 83a BGB n.F.). Wird dem dahingehenden Verlangen der Stiftungsaufsichtsbehörde nicht entsprochen, so droht die Aufhebung der Stiftung durch die zuständige Behörde (§ 87a Abs. 2 Nr. 3 BGB n.F.).

Weiter stellt die Einführung eines bundeseinheitlichen Stiftungsregisters fraglos eine Verbesserung der momentanen Situation dar. In Anbetracht dessen, dass der Prozess der Anmeldung und Eintragung in so viele unterschiedliche Register aber mit erheblichem Aufwand verbunden zu sein scheint, bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber bis zur Einführung des Registers eine Aussage über den genauen und korrekten Hergang einer zukünftigen Eintragung trifft.
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von Fabian Lünsmann 19. Februar 2025
I. Einleitung Mitten in der Heizperiode ist es an der Zeit, sich mit der auch im gewerblichen Mietrecht geltenden Umlage der CO2-Kosten zwischen Vermieter und Mieter zu beschäftigen. Mit dem Erhalt der Abrechnungen der Energieversorger und der Nebenkostenabrechnung für das Abrechnungsjahr 2023, für das die Kostenverteilung zwischen Vermieter und Mieter nach dem Kohlendioxid-Kosten-Aufteilungsgesetz (CO2KostAufG) erstmals gilt (Stichtag 01.01.2023), stellt sich in der Beratungspraxis vermehrt die Frage, welche Rechte und Pflichten die Mietvertragsparteien haben, wie diese durchgesetzt werden können und welche rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten damit verbunden sind. Im Rahmen des CO2KostAufG geht der Gesetzgeber nunmehr davon aus, dass sich sowohl der Mieter als auch der Vermieter an den Kosten des Energieversorgers aus dem CO2-Zertifikatehandel beteiligen müssen. Bis zur Einführung des CO2KostAufG trug der Mieter als Endverbraucher der Energie diese Kosten allein. Nach dem CO2KostAufG soll nun der Vermieter an diesen Kosten beteiligt werden, da er im Gegensatz zum Mieter den Verbrauch des Gebäudes durch Investitionen in klimaschonende Heizungssysteme und energetischen Sanierungen maßgeblich beeinflussen kann. Der Mieter bleibt als maßgeblicher Verbraucher an den Kosten beteiligt. Nach dem zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Beitrags maßgeblichen gesetzlichen Stand kann jede Partei im Regelfall die Tragung von 50% der entstandenen CO2-Kosten durch die jeweils andere Vertragspartei verlangen (§ 8 Abs. 1 und Abs. 2 CO2KostAufG). Diese pauschale Aufteilung ist durch das Fehlen einer detaillierten Datenlage begründet, die für eine differenzierte Aufteilung wie bei Wohngebäuden erforderlich wäre. Langfristig soll die Pauschale durch ein spezifisches Stufenmodell ersetzt werden, sobald eine ausreichende Datenbasis zur energetischen Qualität und Nutzung des Nichtwohngebäudebestandes vorliegt, was 2025 umgesetzt werden soll. Wie die CO2-Kostenüberwälzung im gewerblichen Mietverhältnis im Einzelnen aussehen kann, soll im Folgenden überblicksartig dargestellt werden. II. Anwendbarkeit auf Bestandsverträge Die neue Kostenbeteiligung des Vermieters gilt automatisch für alle Mietverträge über Gebäude, die mit Gas oder Öl beheizt werden, unabhängig davon, ob die Verträge bereits am 01.01.2023 bestehen oder erst danach abgeschlossen werden. Die Neuregelung gilt für alle Abrechnungszeiträume, die am oder nach dem 01.01.2023 beginnen. Ausgenommen sind lediglich Brennstofflieferungen, die bereits nach alter Rechtslage abgerechnet wurden. III. Anwendbarkeit auf Nichtwohngebäude Sachlich gilt das CO2KostAufG sowohl für die Erzeugung von Heizwärme und Warmwasser durch den Verbrauch von Brennstoffen (Gas oder Öl) im Gebäude als auch für die Lieferung von Wärme und Warmwasser unter Verbrauch dieser Brennstoffe in das Gebäude. Der sonstige Verbrauch von Brennstoffen im Gebäude (z.B. Gas zum Kochen, Kühlen oder Produzieren) ist nicht Gegenstand des Gesetzes. Neben der bereits an anderer Stelle erörterten Verteilung der CO2-Kosten auf die Vertragsparteien eines Wohnraummietvertrages findet das CO2KostAufG auch auf Nichtwohngebäude und damit auf gewerbliche Mietverträge Anwendung. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Wohn- und Nichtwohngebäuden ist jedoch nicht die rechtliche Einordnung des zugrundeliegenden Mietvertrages, sondern die Nutzung des Gebäudes im Sinne des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Im Gegensatz zu Wohngebäuden umfasst der Begriff Nichtwohngebäude alle Gebäude, deren überwiegender Nutzungszweck nicht das Wohnen ist. Hierzu zählen beispielsweise Bürogebäude, Produktionshallen, Einzelhandelsgeschäfte und andere gewerbliche oder öffentliche Nutzungen. Die Regelungen des § 8 CO2KostAufG gelten für alle Mietverhältnisse innerhalb eines solchen Nichtwohngebäudes, unabhängig davon, ob es sich um eine Wohnraummiete, eine Geschäftsraummiete oder eine andere Nutzungsart handelt. In vielen Fällen wird jedoch die Art des Gebäudes mit der Rechtsnatur des Mietverhältnisses übereinstimmen (z.B. Single-Tenant und rein gewerbliche genutzte Multi-Tenant-Gebäude). Bei gemischt genutzten Gebäuden erfolgt die Abgrenzung anhand der Flächennutzung. Werden mehr als 50 % der Nutzfläche nicht zum Wohnen genutzt, ist das Gebäude als Nichtwohngebäude zu qualifizieren. Diese Definition ist für die Anwendung des CO2KostAufG entscheidend, da sie festlegt, wann die hälftige Aufteilung der CO2-Kosten nach § 8 Abs. 1 CO2KostAufG greift und sich von den Regelungen für Wohngebäude unterscheidet, die ein abgestuftes Modell vorsehen, welches sich am energetischen Zustand des Gebäudes orientiert und damit im Zweifel zum Nachteil des Vermieters wirkt. IV. Erstattungsanspruch Vermieters Im Regelfall wird der Vermieter den Mieter im Rahmen des Mietverhältnisses auch mit Wärme und Warmwasser versorgen und diesem gegenüber Kosten hierfür abrechnen. Diese Kosten umfassen in Folge des CO2KostAufG auch die durch den Energielieferanten gegenüber dem Vermieter geltend gemachten CO2-Kosten in hälftiger Höhe (§ 8 Abs. 1 CO2KostAufG). Im Rahmen der ordnungsgemäßen Abrechnung hat der Vermieter dem Mieter zunächst die gesamten angefallenen CO2-Kosten für das Gebäude auszuweisen und den hälftigen Vermieteranteil abzuziehen. Handelt es sich um einem Objekt mit mehreren Mietern, hat der Vermieter sodann die verbleibenden CO2-Kosten auf Grundlage der im jeweiligen Mietverhältnis geltenden Vereinbarungen zur Umlage der Heiz- und Warmwasserkosten unter Berücksichtigung der Bestimmungen der Heizkostenverordnung auf die Mieter zu verteilen. Der Vermieter hat damit eine transparente Abrechnung vorzulegen, die dem Mieter ermöglicht, die Berechnung des auf ihn entfallenden CO2-Kostenanteils im Einzelnen nachzuvollziehen. Der Vermieter muss im Sinne dieser Transparenz bestimmte Kenngrößen aus den Brennstoffrechnungen in die Heizkostenabrechnung übernehmen, weshalb es sich anbietet die Brennstoffrechnungen der Heizkostenabrechnung beizufügen. Dem Mieter steht ein gesetzliches Kürzungsrecht zu, wenn der Vermieter die CO2-Kosten nicht oder fehlerhaft aufteilt oder die für die Berechnung erforderlichen Angaben nicht ordnungsgemäß macht (vgl. § 7 Abs. 4 iVm § 8 Abs. 3 Satz CO2KostAufG). Die Sanktion ermöglicht es dem Mieter, den auf ihn entfallenden Anteil an den Heizkosten um 3 % zu kürzen. Dieses Kürzungsrecht soll sicherstellen, dass der Vermieter seiner Pflicht zur vollständigen und transparenten CO2-Kostenabrechnung nachkommt. Einmal geltend gemacht, bleibt die Kürzung des Heizkostenanteils dauerhaft bestehen und entfällt nicht mehr, selbst wenn der Vermieter die Abrechnung im Nachhinein korrigiert oder ergänzt. Das Kürzungsrecht steht dem Mieter daher auch neben seinem Anspruch auf eine korrekte Abrechnung zu. Der Mieter muss sich also nicht zwischen der Kürzung und der Einforderung einer vollständigen und richtigen Abrechnung entscheiden. Vielmehr hat der Mieter das Recht, die Abrechnung zu kürzen und weiterhin auf einer ordnungsgemäßen Abrechnung zu bestehen. V. Erstattungsanspruch des Mieters Gemäß § 8 Abs. 2 CO2KostAufG hat auch der Mieter der sich selbst mit Wärme oder Warmwasser versorgt, einen Anspruch auf Erstattung von 50 % der Kohlendioxidkosten gegen seinen Vermieter. Dies ist jedenfalls der Fall, wenn der Mieter eine Gasetagenheizung betreibt und eigenständig Gas vom Anbieter bezieht oder eine individuelle Brennstoffversorgung besteht und die CO2-Kosten direkt an den Energielieferanten zahlt (zB bei selbstorganisierter Heizöllieferung für den jeweiligen Mietbereich). Die Höhe des Erstattungsanspruchs richtet sich nach dem hälftigen Anteil des Vermieters an den CO2-Kosten des Mieters. Der Mieter kann anhand der in seiner Rechnung ausgewiesenen CO2-Kosten den auf den Vermieter entfallenden Anteil von 50 % berechnen und diesen Betrag als Erstattung geltend machen. Dabei muss er die Gesamt-CO2-Kosten sowie den Erstattungsbetrag in Geld ausweisen. Dieser Erstattungsanspruch ist binnen zwölf Monaten nach Erhalt der Abrechnung seines Brennstoff- oder Wärmelieferanten geltend zu machen. Die Frist beginnt mit dem Zugang der Abrechnung des Lieferanten beim Mieter und umfasst sämtliche angefallenen CO2-Kosten, unabhängig davon, ob der Brennstoff im Fall der Einlagerung bereits vollständig verbraucht ist. Die Geltendmachung kann in Textform (§ 126b BGB), also unter anderem auch durch E-Mail, erfolgen. Im Rahmen der Geltendmachung sind die entstandenen CO2-Kosten nachvollziehbar darzulegen. Idealerweise erfolgt dies auch hier durch Vorlage einer Kopie der Rechnung des Energielieferanten. Der Vermieter kann den Erstattungsanspruch des Mieters im Rahmen der nächsten Nebenkostenabrechnung verrechnen, muss dies aber nicht. Einer Ankündigung hierüber bedarf es nicht. Die Regelung soll die Abwicklung der Erstattung erleichtern und eine separate Zahlung vermeiden. Die Frist zur Erstattung des Anspruchs beginnt erst mit dem Ablauf der Abrechnungsfrist für die Betriebskostenabrechnung. Falls keine Nebenkostenabrechnung erfolgt, weil eine Nebenkostenpauschale gem. § 556 Abs. 2 S. 1 BGB vereinbart oder keine Betriebskostenumlage vorgesehen ist oder für den Fall, dass keine verrechenbaren Gegenforderungen bestehen, muss der Vermieter den Betrag separat binnen zwölf Monaten ab dem Zugang der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch den Mieter erstatten. VI. Praxishinweise In der beratenden Praxis haben sich die folgenden Überlegungen als relevant erwiesen: 1. Unwirksamkeit überhöhter Umlagevereinbarungen Vertragliche Vereinbarungen, nach denen der Mieter bei Nichtwohngebäuden mehr als 50 % der CO2-Kosten zu tragen hat, sind unwirksam. Diese Einschränkung schützt den Mieter vor einer einseitigen Abwälzung der CO2-Kostenlast und stellt klar, dass der Vermieter maximal die Hälfte der Kosten auf den Mieter überwälzen darf. Der Vermieter hat jedoch wie bei Wohngebäuden die Möglichkeit, freiwillig einen höheren Anteil der CO2-Kosten oder die gesamten Kosten zu übernehmen, z.B. aus vertraglichen oder marktstrategischen Gründen (z.B. Green-Lease). 2. Heizkostenpauschale Ist eine Heizkostenpauschale vereinbart, stellt sich die Frage, wie die CO2-Kostenverteilung in diesem Fall zu erfolgen hat. Das CO2KostAufG geht von einer verbrauchsabhängigen Erfassung der Heizkosten aus. Bei einer Heizkostenpauschale, bei der keine separate Verbrauchserfassung erfolgt, muss geprüft werden, ob die Pauschale die gesamten CO2-Kosten umfasst oder ob der Mieteranteil separat gemäß der hälftigen Regelung umgelegt wird. Diese Frage bedarf einer genauen Auslegung der jeweiligen vertraglichen Vereinbarung und könnte, je nach Einzelfall, Einfluss auf die Höhe der vom Mieter zu tragenden CO2-Kosten haben. 3. Verrechnung des Erstattungsanspruchs des Mieters im laufenden Mietverhältnis Wegen der weit hinausgeschobenen Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs (zwölf Monate bzw. Ablauf der nächsten Abrechnungsfrist) scheidet eine Aufrechnung des Mieters mit der laufenden Miete oder den Nebenkostenvorauszahlungen in der Regel aus, auch wenn kein vertragliches Aufrechnungsverbot besteht, da dies die Fälligkeit des Anspruchs voraussetzt. Die gesetzliche Zahlungsfrist schiebt die Fälligkeit des Anspruchs hinaus (§ 271 Abs. 2 BGB). 4. Belegeinsicht und Zurückbehaltungsrecht Als atypischer Fall der Nebenkostenabrechnung durch den Mieter, ist der Vermieter berechtigt, Einsicht in die Originalbelege des Mieters zu nehmen, um diese nachzuvollziehen (§ 259 Abs. 1 BGB). Die Überlegungen zur Einsichtnahme des Mieters in Abrechnungsbelege der sonstigen Nebenkostenabrechnung des Vermieters sind entsprechend anzuwenden. Demnach kann auch der Vermieter die Leistung der Erstattung solange zurückhalten, wie ihm der Mieter die Originalbelege nicht zugänglich macht. Ein Anspruch auf Übersendung der Originalbelege besteht jedoch nicht. 5. Privilegierung des Vermieters Es sind auch Fälle denkbar, in denen der Vermieter durch öffentlich-rechtliche Vorschriften gehindert ist, das Gebäude energetisch zu modernisieren (z.B. Baudenkmal). In diesen Fällen allein wird der Vermieter gesetzlich hinsichtlich der quotalen Kostentragung privilegiert. Je nach dem Grad der Beschränkung halbiert sich sein Anteil bzw. entfällt dieser vollständig (§ 9 Abs. 1 und 2 CO2KostAufG). Der Vermieter hat dem Mieter diese Privilegierung jedoch spätestens bis zur gegenständlichen Heizkostenabrechnung, auf die er die Privilegierung beziehen will, nachzuweisen. Findet eine Heizkostenabrechnung wegen der Selbstversorgung des Mieters nicht statt, dürfte wohl auf die zwölf monatige Zahlungsfrist abzustellen sein, binnen derer der Vermieter die Privilegierung nachweisen muss. 6. Heizfremder Verbrauch Wie eingangs bereits dargestellt, ist das CO2KostAufG in Bezug auf Brennstoffverbräuche zu heizfremden Zwecken nicht anwendbar. Dieser Ausschluss dient dazu, sicherzustellen, dass nur die CO2-Kosten für Raumwärme und Warmwasseraufbereitung in die Verteilung zwischen Mieter und Vermieter einfließen. Heizfremde Anwendungen, die etwa in der Produktion oder in Großküchen vorkommen, dürfen den Erstattungsanspruch des Mieters nicht erhöhen. Insoweit ist insbesondere bei produzierenden Gewerben und gastronomischen Mietern zu beachten, dass der Mieter den heizfremden Anteil der CO2-Kosten ausweisen und seinen Erstattungsanspruch auf echte CO2-Kosten für Heizung und Warmwasser beschränken muss. Andernfalls wird man die dem Erstattungsanspruch zugrundliegende Abrechnung als nicht ordnungsgemäß ansehen müssen, was den Vermieter zu deren Zurückweisung berechtigt (§ 6 Abs. 3 i.V.m. § 8 Abs. 2 CO2KostAufG). VII. Fazit Die Umlage der CO2-Kosten im Mietverhältnis stellt sowohl aus Vermieter- als auch aus Mietersicht eine zusätzliche bürokratische Hürde im Rahmen der Durchführung der Mietbeziehung dar, die dieses nicht nur unerheblich belasten kann. Zwar verfolgt das CO2KostAufG das hehre Ziel des Klimaschutzes, die damit verbundene zusätzliche Verwaltungsarbeit dürfte aber keinesfalls zur Vereinfachung der Vertragsbeziehung beitragen. Die neuerliche finanzielle Belastung der Vermieter durch den Gesetzgeber dürfte zwar momentan noch keinen zwingenden Anreiz zu energetischen Sanierung von Gebäuden bieten. Mittelfristig dürfte sich dies jedoch durch das Auslaufen der Preisbindung für CO2-Zertifikate im Jahr 2026 ändern, in dessen Folge erhebliche Preissteigerungen und damit auch stark erhöhte CO2-Kosten zu erwarten sind. Dies dürfte die vermieterseitige Abwägung zwischen den erheblichen Kosten einer energetischen Sanierung und den steigenden, aber nicht mit einer Wertsteigerung der Immobilie verbundenen, CO2-Kosten maßgeblich beeinflussen. Welche Investitionen sich hier tatsächlich rechnen, kann und sollte im Einzelfall bestimmt werden. Die betroffenen Mieter müssen energetische Modernisierungsmaßnahmen grundsätzlich dulden, wenn sie ihnen mit einer Frist von drei Monaten vor Beginn ordnungsgemäß angekündigt werden. Für die Dauer der Modernisierungsarbeiten von drei Monaten ist zudem die Minderung der Miete bei Mängeln ausgeschlossen. Darüber hinaus hat der Vermieter das Recht, jedenfalls bei der Sanierung von Wohnraum, die jährliche Miete um bis zu acht Prozent der für die Wohnung aufgewendeten Kosten (abzüglich gewährter öffentlicher Fördermittel) zu erhöhen. Bei Nichtwohngebäuden besteht ein einseitiges Mieterhöhungsrecht wegen Modernisierungsmaßnahmen dagegen nur, wenn dies vertraglich vorgesehen ist oder die Parteien hierüber eine gesonderte Vereinbarung treffen. Letztlich sind im Rahmen der gegenseitigen Geltendmachung der Erstattungsansprüche insbesondere die Geltendmachungsfrist, die hinausgeschobene Fälligkeit und die möglichst transparente Abrechnung zu meistern. Zur Bewältigung sind hier weitestgehend die bekannten Grundsätze zum Betriebskostenrecht anzuwenden, wobei das Gesetz jedoch in Teilen Fragen offenlässt. So ist beispielsweise fraglich, wie der im Lagerbestand befindliche Brennstoff, der zukünftig zu heizfremden Zwecken verwendet werden wird, anzusetzen ist. Aktuell ist hier faktisch eine fristgerechte Geltendmachung nicht möglich, da die Angabe bloßer Schätzwerte durch den Mieter keine ordnungsgemäße Abrechnungsgrundlage darstellt. Hier besteht deutlicher Nachbesserungsbedarf seitens des Gesetzgebers. Darüber hinaus bestehen auch verfassungsrechtliche Bedenken vor dem Hintergrund der mit der Umlage der CO₂-Kosten auf den Vermieter bezweckten Lenkung des Vermieters in Richtung einer energetischen Sanierung der Immobilie. Die absolute Höhe der vom Vermieter zu tragenden CO₂-Kosten wird maßgeblich durch den Verbrauch des Mieters bestimmt, den der Vermieter nicht steuern kann. Ob insoweit überhaupt eine wirksame Verhaltenssteuerung erreicht werden kann, ist daher mehr als fraglich und bedarf der Klärung durch das Bundesverfassungsgericht. Die Lenkungswirkung geht jedenfalls dann vollständig verloren, wenn der Vermieter ein energetisch hocheffizientes Gebäude an einen energieverschwenderischen Mieter vermietet. In diesem Fall trägt der Vermieter unabhängig von seinem "erwünschten" Verhalten die Hälfte der CO₂-Kosten und kann sich auf Grund des zwingenden Charakters der Kostenumlage hiervon auch individualvertraglich nicht befreien. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Dr. Marc von Kopp 12. Februar 2025
In einer aktuellen Entscheidung vom 09.02.2024 (Az: II ZR 220/22) hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit drei Rechtsfragen auseinandergesetzt, die für die Unternehmenspraxis – insbesondere in der Immobilienwirtschaft – von großer Bedeutung sind. Im Fokus standen erstens das Selbsthilferecht eines Gesellschafters einer GmbH hinsichtlich der Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund bei Mängeln der Gesellschafterversammlung, zweitens die Frage der Kenntnis und des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit der positiven und negativen Publizität des Handelsregisters (§ 15 HGB) und drittens die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht, insbesondere in Bezug auf deren parallele Anwendung zu den Regelungen der negativen Publizität des Handelsregisters. Diese Fragestellungen, die zunächst eher förmliche Aspekte betreffen und dem Praktiker auf den ersten Blick vielleicht nicht ins Auge fallen, entscheiden letztlich aber über die Wirksamkeit wesentlicher Rechtsgeschäfte und können schwerwiegende Folgen nach sich ziehen, so dass sich ein näherer Blick lohnt. Der erste Beitrag des Specials beschäftigt sich mit dem Selbsthilferecht und der negativen Publizität des Handelsregisters. Ein Folgebeitrag soll sich mit den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht befassen und abschließend eine Übersicht noch offener Fragen sowie der Auswirkungen auf die Praxis geben. I. Ausgangslage Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist eine GmbH, die Bau- und Immobilienleistungen erbringt und deren Vermögen im Wesentlichen aus einem mit 30 Gewerbe- und Wohneinheiten bebauten Grundstück bestand. Der Mehrheitsgesellschafterin, eine GmbH, war daran gelegen, dass das Grundstück ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung weder veräußert noch belastet werden kann und ließ sich dies vom Geschäftsführer der Klägerin schriftlich zusichern. Die Mehrheitsgesellschafterin betrieb die Abberufung des Geschäftsführers der Klägerin gegen die Stimmen der Minderheitsgesellschafterin für dessen Abberufung aus wichtigem Grund. Zwischen den beiden Gesellschaftern war jedoch die Wirksamkeit des Beschlusses streitig, da die Minderheitsgesellschafterin, eine GmbH & Co. KG, insofern Einberufungsmängel aufgrund fehlender Unterzeichnung der Einberufung durch den Geschäftsführer geltend machte. Gleichwohl unterzeichnete die Klägerin zwei Tage nach der Beschlussfassung, vertreten durch den abberufenen Geschäftsführer, einen beurkundeten Kaufvertrag über das Grundstück mit der Käuferin, der Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt war der Geschäftsführer noch als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen. Ob die Beklagte den Abberufungsbeschluss bei Vertragsschluss kannte, war nicht abschließend festzustellen. Die Klägerin begehrte die Löschung der zugunsten der Beklagten für das Grundstück eingetragene Auflassungsvormerkung im Grundbuch. Die Klägerin unterlag in beiden Instanzen. Bezüglich der hier relevanten Rechtsfragen hatte sie jedoch mit der Revision Erfolg. II. Das Selbsthilferecht eines Gesellschafters einer GmbH bzgl. der Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund Die Einberufung der vom Geschäftsführer veranlassten Gesellschafterversammlung war zwar insoweit fehlerhaft, da dieser die Einberufung nicht unterschrieben hatte. Die spätere von der Mehrheitsgesellschafterin selbst vorgenommene Einberufung der Gesellschafterversammlung wurde vom BGH als wirksam angesehen, da die Mehrheitsgesellschafterin zur Einberufung der Versammlung befugt gewesen war, weil die Voraussetzungen des Selbsthilferechts nach § 50 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 GmbHG vorgelegen hätten. Nach § 50 Abs. 3 GmbHG könne ein Gesellschafter, der, wie die Mehrheitsgesellschafterin, mindestens 10 % des Stammkapitals der GmbH hält, die Einberufung einer Gesellschafterversammlung selbst bewirken, wenn seinem Verlangen auf Einberufung nach § 50 Abs. 1 GmbHG zuvor nicht entsprochen wurde. Dies sei anzunehmen, wenn dem Verlangen überhaupt nicht, nicht rechtzeitig, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen werde. Die Mehrheitsgesellschafterin müsse nach der fehlerhaften Einberufung kein zweites Verlangen an den Geschäftsführer richten. Vielmehr dürfe die Mehrheitsgesellschafterin ihr Selbsthilferecht sofort ausüben, ohne dass sie den Geschäftsführer zuvor um Nachbesserung der Einberufung ersuchen müsse, sofern der Geschäftsführer die Versammlung nicht ordnungsgemäß einberufe. Der Mehrheitsgesellschafterin sei die mit einem zweiten Verlangen verbundene Verzögerung nicht zuzumuten. Dies gelte umso mehr, da der Geschäftsführer auf diese Weise die Einberufung durch fehlerhafte Ladungen verzögern könnte. Dieses Selbsthilferecht sei erst verbraucht, wenn die Gesellschafterversammlung sich mit den in der Einberufung mitgeteilten Beschlussgegenständen befasst habe. Bis dahin bestehe das Selbsthilferecht. III. Kenntnis im Rahmen des § 15 Abs. 1 HGB – negative Publizität Zwar war die Beschlussfassung bzgl. der Abberufung des Geschäftsführers wirksam, der Geschäftsführer mithin nicht mehr ordnungsgemäßer Vertreter der Gesellschaft, die Beklagte (=die Käuferin) könne sich aber auf § 15 Abs. 1 HGB berufen, so dass sich die Klägerin (= die Gesellschaft) so behandeln lassen müsse, als bestehe die Vertretungsmacht des Geschäftsführers fort, solange die Abberufung des Geschäftsführers im Handelsregister nicht eingetragen sei. Denn so lange werde der Rechtsverkehr durch § 15 Abs. 1 HGB geschützt. Diesen Vertrauensschutz auf die Eintragung im Handelsregister hatte die Beklagte nach Ansicht des BGH auch im Fall ihrer Kenntnis des Abberufungsbeschlusses nicht verloren. Der Umstand, dass sie das Wissen von Meinungsverschiedenheiten über die Wirksamkeit der Abberufung hatte, sei keine positive Kenntnis von der Tatsache der Abberufung im Sinne von § 15 Abs. 1 HGB. Der Vertrauensschutz auf das Handelsregister sei ihr nur dann verwehrt, wenn die Beklagte positive Kenntnis von der wirksamen Abberufung gehabt hätte. Ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügten demgegenüber nicht. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob eine Beschlussmängelklage bereits anhängig ist, oder zukünftig überhaupt erhoben wird, zumal der fragliche Verkauf des Grundstücks bereits zwei Tage nach dem Abberufungsbeschluss getätigt wurde und eine Klage so schnell kaum anhängig gemacht werden kann. Entscheidend sei vielmehr, dass die Information über den gefassten Abberufungsbeschluss durch die Information über die bestehenden Meinungsverschiedenheiten bzgl. des Abberufungsbeschlusses bereits entscheidend entwertet werde, so dass insgesamt keine Bösgläubigkeit im Hinblick auf den fortwährenden Handelsregistereintrag vorliege. Auch das allgemeine Wissen, dass ein Mehrheitsgesellschafter eine Abberufung im Zweifel gegen den Willen des Minderheitsgesellschafters durchsetzen könne, genüge nicht um den Vertrauensschutz auf die Eintragung im Handelsregister zu versagen, da die Satzung andere Quoren als 50% zur Abberufung ohne wichtigen Grund vorsehen könne. Das Stimmverhalten der Mehrheitsgesellschafterin zieht im konkreten Fall nicht zwingend die Erkenntnis nach sich, der Beschluss sei mit der erforderlichen Stimmenmehrheit gefasst worden. Vielmehr gelte weiterhin der allgemeine Grundsatz, dass § 15 Abs. 1 HGB für den Vertrauenden keine Nachforschungen erfordert. Die Beklagte sei vorliegend selbst bei Kenntnis des Abberufungsbeschlusses nicht zu weiteren Nachforschungen angehalten und könne weiter auf die Eintragung im Handelsregister vertrauen. IV. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass ein Gesellschafter mit mindestens 10% des Stammkapitals die Einberufung einer Gesellschafterversammlung aufgrund seines Selbsthilferechts selbst einberufen kann, ohne sein Verlangen erneut an die Geschäftsführung richten zu müssen, wenn zuvor eine Gesellschafterversammlung vom Geschäftsführer nicht wirksam einberufen werden konnte. § 15 Abs. 1 HGB sichert dem Käufer auch dann das Vertrauen in die Vertretungsmacht eines Geschäftsführers, der weiterhin im Handelsregister eingetragen ist, wenn er Kenntnis von bestrittenen Abberufungsbeschluss hat. Eine Einschränkung der Publizitätswirkung muss im Interesse der Rechtssicherheit jedenfalls streng begrenzt sein. Lediglich positive und nicht durch weitere Umstände erschütterte Kenntnis im Hinblick auf die Unrichtigkeit der Eintragung wäre schädlich. Das Special wird mit einem weiteren Beitrag fortgesetzt. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Lennart Kolkmann 16. Januar 2025
I. Einführung Die Sicherheit bei Fußballspielen, insbesondere bei sogenannten Hochrisikospielen, erfordert regelmäßig erhöhten Polizeieinsatz. Die Frage, wer die dadurch entstehenden Mehrkosten tragen soll, führte zu einem langjährigen Rechtsstreit zwischen der DFL Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL) und dem Bundesland Bremen. Mit seinem Urteil vom 14.01.2025 schuf das Bundesverfassungsgericht nun Klarheit in dieser Angelegenheit. II. Hintergrund Im Jahr 2014 beschloss das Land Bremen, die Veranstalter von gewinnorientierten Großveranstaltungen mit über 5.000 Teilnehmern, bei denen es erfahrungsgemäß zu Gewalt kommen kann, an den zusätzlichen Polizeikosten zu beteiligen. Dies betraf insbesondere Hochrisikospiele im Profifußball. Erstmals 2015 stellte das Land Bremen der DFL einen Kostenbescheid über rund 425.000 Euro für das Spiel zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV zu. Dagegen wehrte sich die DFL und zog bis vor das Bundesverwaltungsgericht. Dieses erklärte die Kostenbeteiligung letztlich für rechtmäßig - die DFL erhob Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. III. Problem Die zentrale Streitfrage bestand darin, ob die Beteiligung an den Kosten der Polizeieinsätze mit dem Grundgesetz, insbesondere mit der in Artikel 12 des Grundgesetzes (GG) verbrieften Berufsfreiheit, vereinbar ist. Die Gebührenerhebung basiert auf dem im November 2014 in Kraft getretenen § 4 Abs. 4 des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetz (BremGebBeitrG). Dort ist vorgesehen, dass von den Veranstaltern einer gewinnorientierten Veranstaltung mit mehr als voraussichtlich 5.000 Teilnehmern eine Gebühr erhoben wird, wenn wegen erfahrungsgemäß zu erwartenden Gewalthandlungen der Einsatz von zusätzlichen Polizeikräften erforderlich wird. Die zu erhebende Gebühr ist nach dem Mehraufwand zu berechnen, der aufgrund der Bereitstellung zusätzlicher Polizeikräfte entsteht. Die DFL argumentierte dagegen, dass die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit eine staatliche Aufgabe sei, die aus Steuermitteln finanziert werden müsse. Zudem befürchtete sie Wettbewerbsverzerrungen, falls nur in einzelnen Bundesländern solche Gebühren erhoben würden. IV. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Mit Urteil vom 14.01.2025 (Urt. v. 14.01.2025, Az. 1 BvR 548/22) wies der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde der DFL ab und erklärte die Norm für verfassungsgemäß. Im Wesentlichen stellte der Senat fest, dass § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG zwar in die durch Artikel 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Veranstalter eingreife, dieser Eingriff aber seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung in der Verhältnismäßigkeit der Norm finde. Die Verfassung kenne keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem die polizeiliche Sicherheitsvorsorge durchgängig kostenfrei zur Verfügung gestellt werden muss. Die Gefahrenvorsorge sei keine allgemeine staatliche Tätigkeit, die zwingend ausschließlich aus dem Steueraufkommen zu finanzieren ist. Zudem beeinträchtige das Bremer Gebührengesetz die Berufsfreiheit der Veranstalter nicht unangemessen: Das Ziel der Gebührenerhebung, nicht die Allgemeinheit mit dem Mehraufwand zu belasten, sondern die Veranstalter als dessen Veranlasser, stehe nicht außer Verhältnis zur sich aus der Gebührenpflicht ergebenden Beeinträchtigung der Berufsfreiheit. Schließlich entfalte das Bremer Gebührengesetz auch nicht eine verfassungsrechtlich unzulässige „erdrosselnde Wirkung“ zulasten der DFL, so der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzende des Ersten Senats, Prof. Dr. Stephan Harbarth. V. Folgen des Urteils Die Reichweite des Ur teils ist erheblicher, als man zunächst annehmen mag. Da das Bremer Gebührengesetz offen formuliert ist, beschränkt sich die Kostentragungspflicht der Veranstalter nicht ausschließlich auf Fußballvereine, selbst wenn dies den Anreiz zur Verabschiedung des Gesetzes gegeben haben mag. Ob andere Bundesländer sich ein Beispiel am Land Bremen nehmen, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Denkbar ist insoweit auch, dass private Veranstalter sowohl von bereits kleineren Veranstaltungen wie Konzerten als auch größeren überregionalen Veranstaltungen sowie Brauchtumsveranstaltungen zur Kasse gebeten werden. VI. Ausblick Noch haben das Land Nordrhein-Westfalen und die übrigen Bundesländer kein entsprechendes Gesetz erlassen. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung das Tor für entsprechende Gesetzesvorhaben weit aufgestoßen. Es bleibt daher zu beobachten, wie andere Bundesländer auf das Urteil reagieren werden und wie eine Kostenverteilung zwischen der DFL und den Vereinen in Zukunft aussehen könnte. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
27. Dezember 2024
P elka ernennt zwei neue Partner. So treten mit Wirkung zum 1. Januar 2025 Alexander Krämer und Felix Heeg in die Partnerschaft ein. Alexander Krämer beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Beurteilung steuer- und bewertungsrechtlicher Sachverhalte im Zusammenhang mit Erb- und Schenkungsfällen. Daneben berät Herr Krämer zum Immobiliensteuerrecht und betreut vermögende Privatpersonen in steuerlichen Fragen. Die Aufnahme von Herrn Krämer in die Partnerschaft verdeutlicht das Wachstum der Kanzlei im Bereich Private Clients. Felix Heeg leitet als Steuerberater u.a. den internen Bereich der Praxis. Die Aufnahme in die Partnerschaft ist ein weiterer Schritt, die Strukturen an die Wachstumsstrategie der Kanzlei anzupassen. „Ich gratuliere den Kollegen herzlichst zu ihrem Karriereschritt. Mit Herrn Krämer und Herrn Heeg gewinnen wir zwei Partner, die sich seit vielen Jahren für die Sozietät einsetzen und mit ihrer ausgesprochen hohen fachlichen Expertise maßgeblich zur Weiterentwicklung der Praxis und zur bestmöglichen Betreuung unserer Mandantinnen und Mandanten beitragen werden. Wir freuen uns auf die nun noch engere Zusammenarbeit.“ Dr. Jürgen Pelka, Vorsitzender des Partnerschaftsrats. Dr. Barbara Anzellotti wird zum 01. Januar 2025 die Partnerschaft verlassen. Sie eröffnet eine eigene Praxis und wird darin ihren bisherigen Schwerpunkt, das Immobilienrecht, fortführen. Wir danken ihr für die Zusammenarbeit und wünschen ihr viel Erfolg. Pelka verzeichnet 17 Partnerinnen und Partner sowie rund 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Standorten Köln, Berlin und Essen. Zu den Mandantinnen und Mandanten gehören vornehmlich national und international agierende Unternehmen, die dahinterstehenden Familien sowie freiberuflich Tätige.
von Tobias Kromm 17. Dezember 2024
Am 05.12.2024 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG): Eine tarifvertragliche Regelung, die unabhängig von der individuellen Arbeitszeit für Überstundenzuschläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzt, behandelt teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer wegen der Teilzeit schlechter als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte. Kann diese Ungleichbehandlung nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden, liegt ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot Teilzeitbeschäftigter gem. § 4 Abs. 1 Teilzeit-und Befristungsgesetz (TzBfG) vor. Regelmäßig liege zugleich auch eine mittelbare Benachteiligung aufgrund des (weiblichen) Geschlechts vor, wenn erheblich mehr Frauen als Männer von einer entsprechenden Zuschlagsregelung betroffen sind. I. Sachverhalt Die Klägerin war als Pflegekraft in Teilzeit im Umfang von 40 % eines Vollzeitbeschäftigten tätig. Nach dem geltenden Tarifvertrag waren Überstunden mit einem Zuschlag von 30 % zuschlagspflichtig, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet wurden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden konnten. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags war eine entsprechende Zeitgutschrift im Arbeitszeitkonto vorgesehen. Das Arbeitszeitkonto der Klägerin wies Ende März 2018 ein Arbeitszeitguthaben von 129 Stunden und 24 Minuten aus. Der Arbeitgeber hatte ihr für diese Zeiten weder Überstundenzuschläge gezahlt, noch im Arbeitszeitkonto eine Zeitgutschrift vorgenommen. Die Klägerin verlangte, dass ihrem Arbeitszeitkonto als Überstundenzuschlag weitere 38 Stunden und 39 Minuten (30% von 129 Stunden und 24 Minuten) gutgeschrieben werden. Darüber hinaus begehrte sie die Zahlung einer Entschädigung in Höhe eines Vierteljahresverdienstes nach § 15 Abs. 2 AGG. Sie werde aufgrund der tarifvertraglichen Regelung als Teilzeitkraft gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Zudem werde sie wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligt, denn der Arbeitgeber beschäftige überwiegend Frauen in Teilzeit. II. Verfahrensgang Nachdem das Arbeitsgericht Fulda die Klage noch abwies und am Landesarbeitsgericht Hessen nur die Zeitgutschrift zuerkannt wurde, hatte das BAG das Revisionsverfahren zunächst ausgesetzt und den Gerichthof der Europäischen Union (EuGH) um die Beantwortung von Rechtsfragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts ersucht, welcher das Vorabentscheidungsersuchen am 29.07.2024 beantwortete. In Umsetzung der Entscheidung des EuGH hatte die Revision der Klägerin vor dem BAG teilweise Erfolg. III. Lösung des BAG Das BAG sprach der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift zu. Darüber hinaus erkannte es auch eine Entschädigung an, allerdings nicht in Höhe des geforderten Vierteljahresverdienstes, sondern in Höhe von 250,00 Euro. Auf der Grundlage der Vorgaben des EuGH musste das BAG davon ausgehen, dass ein Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten (§ 4 Abs. 1 TzBfG) vorlag, da die tarifliche Regelung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vorsah. Der Senat konnte für diese Ungleichbehandlung keinen sachlichen Grund erkennen. Die tarifliche Überstundenzuschlagsregelung war aufgrund des Verstoßes unwirksam, sodass die Klägerin einen Anspruch auf die weitere Zeitgutschrift hatte. Die Zuerkennung der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 250,00 Euro ergab sich daraus, dass die Klägerin durch die Anwendung der unwirksamen tariflichen Regelung auch eine mittelbare Benachteiligung wegen ihres Geschlechts erfahren hatte, denn mehr als 90 % der Teilzeitbeschäftigten des Arbeitgebers waren Frauen. Der Betrag von 250,00 Euro sei dabei erforderlich, aber auch ausreichend, um einerseits den durch die mittelbare Benachteiligung entstandenen immateriellen Schaden auszugleichen und andererseits gegenüber dem Arbeitgeber die gebotene abschreckende Wirkung zu entfalten. IV. Folge: Schlechterstellung von Vollzeitkräften? Während die Entscheidungen des EuGH und darauf aufbauend auch des BAG für Teilzeitkräfte begrüßenswert sind, stellt sich nun die Frage, ob dadurch Vollzeitkräfte diskriminiert werden. Denn im Hinblick auf Überstundenpauschalen ergeben sich zwei gegensätzliche Positionen: Eine Überstundenpauschale, die erst greift, wenn die monatliche Arbeitszeit eines in Vollzeit arbeitenden Arbeitnehmers erreicht wird, ist nachteilig für Teilzeitarbeitende, denn für diese ist es wesentlich schwieriger auf diese Anzahl an Arbeitsstunden zu kommen. Wird dagegen eine Überstundenpauschale immer schon dann ausgezahlt, wenn die individuelle Arbeitszeit überschritten wird, erscheint es ungerecht, weil Teilzeitbeschäftigte dann bei Überstunden für dieselbe Arbeitszeit einen höheren Stundenlohn erhielten als Vollzeitkräfte. Maßgebliche Bedeutung kommt daher der Frage zu, welcher Zweck mit der Zahlung von Überstundenzuschlägen verfolgt wird: Geht es um die Vergütung der (zu viel) geleisteten Arbeit oder soll ein Ausgleich für Mehrbelastungen im Vergleich zur vertraglichen Regelarbeitszeit geschaffen werden? Für den EuGH war in dessen Entscheidung vom 29.07.2024 wohl ausschlaggebend, dass eine Teilzeitkraft die gleiche Anzahl an Stunden arbeiten müsste wie eine Vollzeitkraft, um überhaupt Überstundenzuschläge zu verdienen. Teilzeitbeschäftigte könnten die Anzahl an Arbeitsstunden, die einen Anspruch auf einen Zuschlag begründen, daher gar nicht oder nur mit einer deutlich geringeren Wahrscheinlichkeit erreichen als eine vollzeitbeschäftigte Arbeitskraft. Somit stelle die Festsetzung einer einheitlichen Untergrenze für Überstundenzuschläge für teilzeitbeschäftigte Pflegekräfte eine ungleich größere Belastung dar. Damit liege eine „schlechtere“ Behandlung vor, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei. Insbesondere das Ziel, eine Anordnung von Überstunden für Arbeitnehmer einzuschränken, ließ der EuGH nicht gelten. Die Regelung schaffe vielmehr einen Anreiz für Arbeitgeber, Überstunden eher bei Teilzeitbeschäftigten anzuordnen. Das Argument, eine Schlechterbehandlung von Vollzeitbeschäftigten gegenüber Teilzeitbeschäftigten solle verhindert werden, überzeugte daher im Ergebnis ebenfalls nicht. V. Fazit Bei der Gewährung von Zuschlägen sind die Entscheidungen des EuGH sowie des BAG für Arbeitgeber und Personalverantwortliche von großer Bedeutung. Zwar sind Zuschläge nicht ohne weiteres zwingend zu gewähren, gibt es hierzu aber verbindliche Regelungen, bspw. in Arbeits- oder Tarifverträgen, sollten die konkreten Vorgaben der Rechtsprechung dringend beachtet werden. Sofern eine unterschiedliche Behandlung von Voll- und Teilzeitkräften vorgesehen ist, empfiehlt es sich, diese auf eine sachliche Unterscheidungsmöglichkeit hin zu untersuchen. Das unterschiedliche Arbeitspensum genügt für sich genommen als Begründung gerade nicht. Es gilt hier also sorgfältig und genau vorzugehen. Darüber hinaus droht Unternehmen aufgrund des potentiell diskriminierenden Charakters solcher Regelungen zusätzlich die Geltendmachung von Entschädigungszahlungen durch betroffene Beschäftigte. Aus unserer Sicht sind dies allemal gute Gründe, die einschlägigen Zuschlagsregelungen im Unternehmen zu prüfen. Wir danken unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Hannah Kramer für die tatkräftige Unterstützung zu diesem Beitrag. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Fabian Riegler und Di Wu 11. Dezember 2024
Die deutsche Wegzugsteuer nach § 6 AStG ist einem laufenden Wandel unterzogen. Der Gesetzgeber und die Finanzverwaltung haben diesbezüglich in der jüngeren Vergangenheit Verschärfungen vorgenommen. Insbesondere internationale Unternehmerfamilien und gerade mittelständische Familienunternehmen sind von den Verschärfungen betroffen und dadurch in ihrer Mobilität eingeschränkt. Auch die Rechtsprechung muss sich stetig mit der Wegzugsbesteuerung beschäftigen. Der folgende Beitrag zeigt nicht nur die aktuellen Rechtsentwicklungen auf, sondern gibt Hinweise auf mögliche Vermeidungsstrategien. I. Einleitung Die Wegzugsteuer nach § 6 AStG wurde ursprünglich als Missbrauchsvermeidungsvorschrift eingeführt, um das deutsche Besteuerungsrecht an Anteilen an Kapitalgesellschaften zu sichern. Im Laufe der Jahre hat sie sich durch zahlreiche Gesetzesänderungen und die Internationalisierung des Steuerrechts zu einem wichtigen Thema in der Steuerberatung entwickelt. Mit der Neufassung des § 6 AStG, die am 01.01.2022 in Kraft trat, wurden erhebliche Verschärfungen eingeführt (unseren Beitrag aus 2021 zu den Gesetzesänderungen finden Sie hier). Ende 2023 trat eine neue Gesetzesänderung in Kraft, welche die Dauer der EU/EWR-Stundung für Wegzüge bis zum 31.12.2021 einschränkte. Zudem wurde Ende 2023 ein Anwendungserlass der Finanzverwaltung zum neuen AStG veröffentlicht. Im Januar 2024 folgte sodann das mit Spannung erwartete BFH-Urteil in der Rechtssache Wächtler, welches einige der jüngsten Gesetzesänderungen in Frage stellt. II. Funktionsweise der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG Nach § 6 AStG unterliegen stille Reserven in Anteilen an Kapitalgesellschaften, z.B. an einer GmbH, die im Privatvermögen gehalten werden, einer Art „Schlussbesteuerung“, wenn das Besteuerungs-recht Deutschlands an diesen Anteilen eingeschränkt wird oder endet. Das ist typischerweise beim Wegzug des Anteilsinhabers aus Deutschland der Fall. Eine Voraussetzung für die Wegzugsteuer ist, dass der Steuerpflichtige in den letzten zwölf Jahren mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland war. Der § 6 AStG gilt für alle Anteile gemäß § 17 Abs. 1 EStG, einschließlich Beteiligungen an optierenden Personengesellschaften. Erfasst werden sowohl Anteile an inländischen als auch an ausländischen Kapitalgesellschaften, sofern der Steuerpflichtige in den letzten fünf Jahren vor dem steuerrelevanten Ereignis mindestens zu 1 % an diesen beteiligt war. Bei ausländischen Gesellschaften ist entscheidend, ob diese aus deutscher Sicht als Kapital- oder Personengesellschaft eingestuft werden. Ein abkommensrechtlicher Konflikt kann entstehen, wenn Deutschland die Gesellschaft als Kapitalgesellschaft betrachtet, während der Sitzstaat sie als steuerlich transparente Personengesellschaft einstuft. Solche Situationen können nicht selten insbesondere bei US-Gesellschaften entstehen. Das steuerauslösende Ereignis ist in der Regel die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Wohnsitzaufgabe oder unentgeltliche Übertragung der Anteile auf Personen, die in Deutschland nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen. Die Folge ist die Besteuerung eines fiktiven Veräußerungsgewinns, der sich aus dem gemeinen Wert der Anteile zum Zeitpunkt des Ereignisses abzüglich der Anschaffungskosten und eventueller Veräußerungskosten ergibt. III. Gesetzgeberische Verschärfung für EU-/EWR Altfälle War es in der Vergangenheit noch möglich bei einem Wegzug aus Deutschland in einen Mitgliedstaat der EU oder des EWR eine Stundung der Steuer in Gänze zu erhalten, wurden mit dem Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2022/2523 vom 21.12.2023 die Anforderungen an die dauerhafte Stundung der Wegzugsteuer nach § 6 AStG verschärft, insbesondere für EU-/EWR-Altfälle. Die Änderungen betreffen alle Wegzüge vor dem 01.01.2022 und zielen darauf ab, die Stundungsregeln für diese Fälle an die neuen Regelungen des ATAD-Umsetzungsgesetzes anzupassen. Laut der neuen Regelung in § 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AStG kann die Stundung der Wegzugsteuer für Altfälle (d.h. für Wegzüge vor dem 01.01.2022) widerrufen werden, wenn aus der betroffenen Gesellschaft, deren Anteile mit der Wegzugsteuer belastet wurden, Gewinnausschüttungen oder Einlagenrückgewähr erfolgen, deren gemeiner Wert mehr als ein Viertel des gemeinen Werts der Anteile zum Zeitpunkt des Wegzugs beträgt. Dieser Widerruf gilt gar rückwirkend für alle entsprechenden Zahlungen nach dem 16.08.2023. Es bleibt jedoch unklar, ob für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts der Beschluss zur Gewinnverwendung oder die tatsächliche Auszahlung entscheidend ist. Es sprechen aber gute Argumente dafür, dass der Zeitpunkt des Gesellschafterbeschlusses der maßgebliche ist. Überschreitet der Wert der Ausschüttungen diesen Grenzwert, wird die Stundung teilweise widerrufen, sodass die Steuer sofort teilweise fällig wird. Bei mehreren Ausschüttungen erfolgt ein sukzessiver Widerruf der Stundung. Die Berechnung des Widerrufs erfolgt in zwei Schritten: Zuerst wird die Summe aller relevanten Gewinnausschüttungen und Einlagenrückgewähr nach dem 16.08.2023 ermittelt. Danach wird von dieser Summe ein Viertel der ungekürzten Bemessungsgrundlage der festgesetzten Wegzugsteuer abgezogen. Soweit sich daraus ein positiver Saldo ergibt, ist die Wegzugsteuer im Verhältnis dieses positiven Saldos zum gemeinen Wert der betreffenden Gesellschaftsanteile im Wegzugszeitpunkt sofort fällig. Beispiel: Der Stpfl. ist im Jahr 2018 in das EU-Ausland weggezogen und hat die nach damaligem Recht geltende EU/EWR-Stundung gem. § 6 Abs. 5 AStG a.F. gewährt bekommen. Der gemeine Wert der betroffenen Gesellschaftsanteile im Wegzugszeitpunkt beträgt 100. Seit dem 17.08.2023 wurden in Bezug auf diese Gesellschaftsanteile Gewinnausschüttungen i.H.v. 40 vorgenommen. Der zu ermittelnde positive Saldo aus den Gewinnausschüttungen abzüglich eines Viertels des gemeinen Werts der Gesellschaftsanteile beträgt 15 (40 ./. ¼ × 100). Folglich ist die Wegzugsteuer nach der neuen verschärften Gesetzeslage i.H.v. 15 % (15/100) sofort zur Zahlung fällig. Es besteht eine Pflicht für den Steuerpflichtigen, dem zuständigen Finanzamt die erstmalige Überschreitung dieses Grenzwerts sowie jede darauf folgende Überschreitung jeweils innerhalb eines Monats mitzuteilen. Für alle künftigen Gewinnausschüttungen und die Einlagenrückgewähr betroffener Steuerpflichtige ist daher stets eine Proberechnung durchzuführen, ob der Grenzwert von 25 % des gemeinen Werts der betreffenden Gesellschaftsanteile im Wegzugszeitpunkt überschritten wird. IV. Konkretisierungen der Finanzverwaltung Der neue Anwendungserlass der Finanzverwaltung zum AStG vom 22.12.2023 ersetzt den alten Außensteuererlass des BMF vom 14.05.2004 und bringt umfassende neue Ausführungen zur Wegzugsteuer mit sich. Insbesondere sind die Ausführungen zur sog. Rückkehrerreglung gem. § 6 Abs. 3 AStG hervorzuheben. Nach dieser Regelung entfällt die ausgelöste Wegzugsteuer bei Rückkehr innerhalb von sieben Jahren, sofern auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind (u.a. keine Veräußerung oder gleichgestellte Vorgänge). Die Anwendung der Rückkehrerregelung setzt eine „vorübergehende Abwesenheit“ des Steuerpflichtigen voraus. Es gab zuvor einen Meinungsstreit zwischen der Finanzverwaltung und der Literatur darüber, wann eine Rückkehrabsicht des Steuerpflichtigen dargelegt werden muss und wie die Rückkehrabsicht glaubhaft gemacht werden kann. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat jedoch klargestellt, dass es ausreichend ist, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist tatsächlich nach Deutschland zurückkehrt. Nur wenn die vorübergehende Abwesenheit über sieben Jahre (bzw. fünf Jahre nach alter Regelung) hinaus um bis zu weitere fünf Jahre verlängert wird, muss die Rückkehrabsicht nachgewiesen werden. So heißt es im AEAStG 2023 unter Rn. 128: „Wenn keine Anhaltspunkte bestehen, die eine gegenteilige Wertung nahelegen, reicht die Erklärung des Stpfl. für die Annahme der Rückkehrabsicht aus.“ V. Das BFH-Urteil vom 06.09.2023 in der Rs. Wächtler Im sogenannten „Wächtler-Verfahren“ (Az. I R 35/20) hat der BFH entschieden, dass die Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) bei einem Wegzug in die Schweiz dauerhaft und zinslos gestundet werden kann, wobei diese Stundung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden kann. Diese Entscheidung bezieht sich zwar auf das frühere Recht, ist jedoch auf die ab dem 1.1.2022 geltenden Regelungen übertragbar und gilt besonders für Wegzüge in EU- und EWR-Staaten, bei denen keine Sicherheitsleistung erforderlich ist. Für Wegzüge vor dem 01.01.2022 in einen EU- oder EWR-Staat wurde die Wegzugsteuer unter bestimmten Bedingungen dauerhaft und zinslos gestundet (sog. Ewigkeitsstundung). Für die Schweiz galt dies gesetzlich nicht, und es war lediglich eine Ratenzahlung möglich. Im Fall des Klägers Wächtler, der 2011 in die Schweiz verzog, legte das Finanzgericht Baden-Württemberg dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Auslegung des Freizügigkeitsabkommens (FZA) vor, welches ähnliche Rechte wie die EU-Grundfreiheiten bietet. Der EuGH stellte fest, dass auch bei Wegzügen in die Schweiz eine dauerhafte, zinslose Stundung der Wegzugsteuer zu gewähren sei, jedoch unter der Bedingung einer Sicherheitsleistung aufgrund fehlender Vollstreckungshilfe. In seiner Entscheidung wies der BFH die Klage gegen die Steuerfestsetzung ab, betonte jedoch, dass für Wächtlers Wegzug eine dauerhafte und zinslose Stundung bis zur tatsächlichen Veräußerung der Anteile angemessen ist. Dies steht im Widerspruch zu einer früheren Stellungnahme der Finanzverwaltung. BFH-Entscheidungen haben in der Regel nur unmittelbare rechtliche Bedeutung für den Einzelfall, doch ihre rechtlichen Erwägungen im Wächtler-Urteil könnten auf ähnliche Fälle angewendet werden. Folgende Auswirkungen ergeben sich aus dem Urteil: Für Wegzüge vor dem 01.01.2022 in die Schweiz muss die Wegzugssteuer bis zur Veräußerung der Anteile zinslos gestundet werden. Die Stundung könnte jedoch von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden, was in praktischer Hinsicht problematisch sein kann. Bereits gezahlte Steuern sind rückwirkend zu erstatten. Für Wegzüge vor dem 01.01.2022 in einen EU-/EWR-Staat wird nach dem Gesetz eigentlich aus-nahmsweise dann keine dauerhafte Stundung gewährt, wenn z.B. der Wegzügler im Ausland nicht einer der deutschen Einkommensteuer vergleichbaren Steuer unterliegt. Insoweit kann bzw. muss die EuGH- wie BFH-Entscheidung nur so verstanden werden, dass auch in diesen Fällen eine dauerhafte, zinslose Stundung europarechtlich geboten ist. Ab dem 01.01.2022 sieht die reformierte Regelung lediglich eine Ratenzahlung über sieben Jahre vor, die in der Regel eine Sicherheitsleistung erfordert. Eine Ungleichbehandlung von ins (EU-)Ausland ziehenden Steuerpflichtigen im Vergleich zu Umzügen innerhalb Deutschlands bleibt bestehen. Im Sinne einer unionsrechtskonformen Regelung müsste der Gesetzgeber die dauerhafte, zinslose Stundung für Wegzüge in EU-/EWR-Staaten wiedereinführen und diese auch auf die Schweiz erstrecken. Bis zu einer (nicht absehbaren) Gesetzesänderung müssen Steuerpflichtige möglicherweise ihre Ansprüche auf dem Rechtsweg durchsetzen. VI. Gestaltungsmöglichkeit Um die oben beschriebenen Problematiken der Wegzugsbesteuerung zu vermeiden, bieten sich verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten an. Eine davon ist die Einlage einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung in das Betriebsvermögen einer Personengesellschaft. Bei dieser Gestaltungsvariante ist darauf zu achten, dass es sich um eine originär gewerblich tätige Personengesellschaft handelt, bei der die Anteile an der Kapitalgesellschaft dem Geschäftszweck der Personengesellschaft funktional zuzurechnen sein müssen. Die Personengesellschaft vermittelt dem nunmehr nach dem Wegzug ausländischen Mitunternehmer eine inländische Betriebsstätte, sodass eine Entstrickungsbesteue-rung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG vermieden wird. Eine gewerblich geprägte Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) reicht für die Begründung einer inländischen Betriebsstätte nicht aus. Es käme in einem solchen Fall bei Wegzug zu einer Entstrickungsbesteuerung. Bei der Ausgestaltung der gewerblich tätigen, inländischen Personengesellschaft ist zudem auf die ausreichende Ausstattung mit „Substanz“ zu achten. In der Regel sollte für die Substanz einer Betriebsstätte die Anmietung von Büroräumlichkeiten mitsamt technischer Infrastruktur im Inland durch die Personengesellschaft und die Anstellung von Mitarbeitern, welche für die Personengesellschaft in diesen tätig werden, ausreichend sein. VII. Zusammenfassung Die deutsche Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG ist infolge mehrerer Gesetzesänderungen in den vergangenen Jahren erheblich verschärft worden. In vielen Fällen kommt es zu einer Übermaßbesteuerung, die unseres Erachtens nicht mit dem Unionsrecht zu vereinbaren ist. Die Entscheidung des BFH vom 06.09.2023 in der Rechtssache Wächtler geht daher in die richtige Richtung, da sie den offenkundig rein fiskalisch motivierten Ausweitungen der deutschen Wegzugsteuer in jüngster Zeit Grenzen setzt. Betroffene Wegzügler sollten darüber nachdenken, ob und in welchen Fällen der Rechtsweg bestritten werden soll. Mandantinnen und Mandanten, die beabsichtigen in nächster Zeit aus Deutschland wegzuziehen, sollten vorab überlegen, inwieweit sie von der Wegzugsbesteuerung betroffen sind und welche geeignete Vermeidungsstrategien bestehen. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Anika Brunk und Dr. Leon Reichert 20. November 2024
Seit Anfang November 2024 vergibt das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) an alle wirtschaftlich Tätigen eine sog. Wirtschafts-Identifikationsnummer (W-IdNr.), welche gleichzeitig auch die bundeseinheitliche Wirtschaftsnummer nach dem Unternehmensbasisdatenregistergesetz darstellt. Dies erfolgt automatisiert und ohne Antragstellung, so dass grundsätzlich kein Handlungsbedarf besteht. Jedoch ist es wichtig die W-IdNr. aufzubewahren und ggf. an die steuerliche Vertretung weiterzuleiten. Sofern bereits eine USt-IdNr. vorhanden ist, entspricht die W-IdNr. im Grunde dieser, wird jedoch noch um ein fünfstelliges Unterscheidungsmerkmal für unterschiedliche wirtschaftliche Tätigkeiten erweitert. Eine zusätzliche Mitteilung über die W-IdNr. durch das BZSt bleibt dann aus. I. Wer erhält wann eine Wirtschaftsidentifikationsnummer Welche Steuerpflichtigen eine W-IdNr. erhalten, regeln die §§ 139a und 139c AO. Demnach erhalten alle juristischen Personen sowie Personenvereinigungen automatisch eine W-IdNr. durch das BZSt. Darüber hinaus bekommen auch natürliche Personen, die wirtschaftlich tätig sind, eine Nummer zugeteilt. Dabei ist eine natürliche Person als wirtschaftlich Tätige anzusehen, wenn sie bspw. Unternehmerin i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG ist oder gemäß § 28a SGB IV meldepflichtig ist. Wichtig ist, dass die Nummer automatisiert vergeben wird. Das bedeutet, dass wirtschaftlich Tätige keinen Antrag stellen müssen, sondern die Nummer durch das BZSt ohne Aufforderung zugeteilt wird. Wirtschaftlich Tätige bekommen daher seit November 2024 automatisiert ihre Nummer zugeteilt. Dabei geht das BZSt stufenweise vor. Zunächst bekommen lediglich Kleinunternehmer nach § 19 UStG und zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung verpflichtete ihre Nummer zugeteilt. Alle weiteren wirtschaftlich Tätigen erhalten ihre Nummer voraussichtlich erst ab Mitte 2025 zugeteilt. Nachteile durch einen späteren Erhalt der Nummer entstehen keine. Sofern Steuerpflichtige bereits zum 30..11.2024 über eine USt-IdNr. verfügen, erfolgt keine zusätzliche Mitteilung der W-IdNr. durch das BZSt, da beide im Aufbau identisch sind. Somit werden die meisten Steuerpflichtigen keine zusätzliche Mitteilung durch das BZSt über ihre W-IdNr. erhalten. Sofern jedoch keine USt-IdNr. vorhanden ist oder die wirtschaftliche Tätigkeit nach November neu aufgenommen wird, erfolgt die automatisierte Bekanntgabe der W-IdNr. über ELSTER. Ab dem 3.12.2024 kann zudem über ELSTER auch die W-IdNr. erneut abgerufen werden. II. Aufbau der Wirtschaftsidentifikationsnummer Die Nummer besteht aus dem Länderkürzel „DE“ und einer folgenden 9-stelligen Ziffernfolge (bspw. DE987654321). Diese wird aktuell bei den meisten Steuerpflichten mit der USt-IdNr. übereinstimmen. Für jede wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen wird die Nummer dann aber um eine 5-stellige Ziffernfolge (sog. Unterscheidungsmerkmal) fortlaufend erweitert, beginnend bei 00001 (bspw. DE987654321-00001). Anhand des ersten Teils der Nummer kann so der Steuerpflichte eindeutig identifiziert werden und anhand der Folgenummer die entsprechende wirtschaftliche Tätigkeit. Dabei ist zu beachten, dass zunächst für jeden Steuerpflichtigen lediglich eine wirtschaftliche Tätigkeit („-00001“) vergeben wird. Sofern Steuerpflichtige mehrere wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, erfolgt die Zuteilung (bspw. „-00002“ für eine zweite wirtschaftliche Tätigkeiten oder „-00003“ für eine dritte) erst ab 2026. Beispiel: Eine GmbH verfügt über einen Hauptsitz in Köln und vier Betriebstätten verteilt in Deutschland. Die GmbH ist zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung verpflichtet und hat bereits die USt-IdNr. „DE123456789“. Die GmbH bekommt daher bereits im November 2024 die W-IdNr. zugeteilt: „DE123456789-00001“. Voraussichtlich ab 2026 bekommen die einzelnen Betriebstätten dann zusätzlich einzelne Unterscheidungsmerkmale zugeteilt, also „DE123456789-00002“ bis „DE123456789-00005“. III. Bedeutung der Wirtschaftsidentifikationsnummer Sinn und Zweck der neuen Identifikationsnummer ist die Schaffung einer einheitlichen und eindeutigen IdNr. für alle wirtschaftlich Tätigen in Deutschland. Im Gegensatz zu der Steuernummer bleibt die W-IdNr., solange die wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, bestehen (sog. „Once-Only-Prinzip“). Sie ist das Pendant zur Steuer-Identifikationsnummer bei natürlichen Personen. Laut Angaben des BZSt erleichtert die W-IdNr. die Identifizierung eines Unternehmens und soll so zukünftig die steuerlichen Prozesse, insbesondere die Kommunikation innerhalb der Behörden vereinfachen und ggf. auch automatisieren. Dabei müssen künftig Steuerpflichtige bei der Kommunikation mit den Finanzbehörden auch ihre W-IdNr. angeben (bspw. bei Anträgen, Erklärungen und Mitteilungen). Die Verpflichtung greift aber erst mit Abschluss der Einführung in 2026. Bis dahin kann auch die Kommunikation wie gewohnt unter der Angabe der Steuernummer erfolgen, eine Angabe der W-IdNr. ist bis dahin optional. Neben dem Steuerpflichtigen selbst müssen künftig auch Dritte, die Daten eines wirtschaftlich Tätigen an die Finanzbehörden übermitteln, die W-IdNr. angeben. Dies betrifft bspw. Kapitalerträge auszahlende Stellen. Zu beachten ist auch, dass die W-IdNr. keine Identifikationsnummer ersetzt, insbesondere nicht die USt-IdNr. und die Steuernummer. Diese bleiben neben der W-IdNr. bestehen. Die USt-IdNr. muss ggf. auch weiter gesondert beantragt werden. Sofern bereits eine W-IdNr. besteht und erst zu einem späteren Zeitpunkt eine USt-IdNr. beantragt wird, werden beide Nummern bis auf die Unterscheidungsmerkmale (bspw. „-00001“) identisch sein. IV. Handlungsempfehlungen Die W-IdNr. wird in der Zukunft die Identifikationsnummer bei der Kommunikation mit den Finanzbehörden sein. Daher ist es als Steuerpflichtiger wichtig, diese aufzubewahren und an die steuerliche Vertretung weiterzugeben, insbesondere, wenn diese durch das BZSt gesondert mittgeteilt wurde. Bei den meisten Steuerpflichtigen wird aktuell aber die W-IdNr. mit der USt-IdNr. übereinstimmen. Sofern bereits eine W-IdNr. vorhanden ist, kann diese bereits für die Kommunikation mit den Finanzbehörden freiwillig verwendet werden, bevor diese voraussichtlich ab 2026 verpflichtend anzugeben ist. Sollten Sie jedoch auf ihre bereits vergebene W-IdNr. nicht mehr zugreifen können, so ist ab Dezember 2024 ein erneuter Abruf der W-IdNr. über ELSTER bzw. über das BZSt möglich. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Tobias Kromm und Lukas Kröger 6. November 2024
Am 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Mit diesem Gesetz wird die EU-Richtlinie über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (European Accessibility Act, EAA) umgesetzt. Ziel ist es, Barrieren vor allem im digitalen Bereich abzubauen, um eine gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen und auch älteren Menschen zu gewährleisten. Nachdem derartige Standards für öffentliche Einrichtungen bereits seit mehreren Jahren vorgeschrieben sind, werden nun auch viele private Unternehmen zur Barrierefreiheit verpflichtet. I. Erfasste Produkte und Dienstleistungen Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden, müssen für Verbraucherinnen und Verbraucher barrierefrei bereitgestellt werden. Produkte sind etwa Hardwaresysteme für Computer für Endverbraucher und Endverbraucherinnen, bestimmte Selbstbedienungsterminals wie Geld- oder Fahrausweisautomaten, Verbraucherendgeräte, die für Telekommunikationsdienste genutzt werden (z.B. Mobiltelefone), Verbraucherendgerät mit interaktivem Leistungsumfang (z.B. interaktive Fernseher) und E-Book-Lesegeräte. Unter Dienstleistungen fallen Bankdienstleistungen für Verbraucherinnen und Verbraucher, Telekommunikationsdienste (z.B. Messenger), Elemente der Personenbeförderungsdienste (z.B. elektronische Ticketdienste) sowie E-Books und deren Software. Insbesondere sind auch Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr (z.B. E-Commerce) erfasst, sodass Webshops und Apps in jedem Fall betroffen sind. II. Verpflichtete Unternehmen Verpflichtet werden vor allem Unternehmen in den Bereichen E-Commerce, Finanzdienstleistungen, Verkehr und Telekommunikation sowie Hersteller und Anbieter von Computerhardware und -software, betroffen sind aber alle Unternehmen, die eines der oben genannten Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Den Anforderungen des BFSG müssen alle privaten Marktakteure gleichermaßen gerecht werden. Abhängig davon, in welcher Rolle das Unternehmen am Markt auftritt (Hersteller, Händler, Importeure oder Dienstleistungsanbieter), sind zusätzlich verschiedene Prüf-, Nachweis- und Mitteilungspflichten einzuhalten. Grob kann man hier unterscheiden zwischen solchen Unternehmen, die Produkte in den Verkehr bringen (Hersteller, Händler und Importeure) und solchen, die Dienstleistungen erbringen. Da die Vorgaben variieren, sollten Unternehmen sich eingehend darüber informieren, welche Anforderungen sie im Einzelnen einzuhalten haben und welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Von den Regelungen ausgenommen sind lediglich Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz von unter zwei Millionen Euro. III. Begriff der Barrierefreiheit Barrierefreiheit meint, dass Produkte und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Zielgruppen sind vor allem Menschen mit Sehbehinderung, gehörlose Menschen und Menschen mit Hörbeeinträchtigungen, Personen mit kognitiven Einschränkungen, etwa mit Lernschwierigkeiten oder Aufmerksamkeitsstörungen sowie Menschen mit motorischen Einschränkungen. Aber auch für ältere Menschen und Personen, die wenig Erfahrung im Umgang mit digitalen Medien haben, soll die Handhabung erleichtert werden. IV. Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen Um Barrierefreiheit sicherzustellen, müssen Produkte und Dienstleistungen die Nutzung für Menschen mit sensorischen, motorischen und kognitiven Einschränkungen sicherstellen. Genauere Vorgaben finden sich in der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. 1. Produkte Produkte müssen zunächst auch in physischer Hinsicht erreichbar und nutzbar sein, beispielsweise, indem sie in einer Höhe angebracht werden, die auch für Rollstuhlfahrer zugänglich ist (z.B. bei Geld- oder Fahrscheinautomaten). Weiterhin ist erforderlich, dass die Bedienelemente klar erkennbar und einfach zu handhaben sind. Tasten und Bedienelemente müssen groß genug, gut erkennbar und klar strukturiert sein, um Menschen mit motorischen Einschränkungen oder Sehbehinderungen eine einfache Bedienung zu ermöglichen. Hilfreich kann auch der Einsatz von Braille-Schrift oder audiovisuellen Beschreibungen von Bedienvorgängen sein, um die Nutzung für Menschen mit Sehbehinderung zu erleichtern. Wichtig ist auch, dass Displays und Bildschirme ausreichend Helligkeit und Kontrast aufweisen, um eine gute Erkennbarkeit zu gewährleisten. Anweisungen zur Nutzung von Produkten sowie wichtige Hinweise müssen leicht verständlich und in einfacher Sprache verfasst sein. Um die Verständlichkeit zu verbessern, kann auch zusätzlich auf grafische Symbole wie Piktogramme oder Icons zurückgegriffen werden. Technische Geräte wie Smartphones oder Tablets müssen mit Hilfsmitteln wie Screenreadern oder Vergrößerungssoftware kompatibel sein. 2. Dienstleistungen Damit Dienstleistungen als barrierefrei gelten, müssen die Informationen über die Funktionsweise der Dienstleistung (z.B. Online-Shops) in mehr als einem sensorischen Kanal zur Verfügung stehen, leicht auffindbar und gut lesbar sein. Auch hier gilt: Texte müssen in angemessener Größe und mit hinreichendem Kontrast, ggf. unter Hinzuziehung von nicht-textlichen Darstellungen bereitgestellt werden. Im Hinblick auf Webseiten gilt, dass die angebotenen Dienstleistungen auf konsistente und angemessene Weise bereitgestellt werden müssen, indem sie wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden. Dies gilt auch für die zugehörigen Online-Anwendungen und die Darstellung auf Mobilgeräten einschließlich Apps. Im Einzelnen bedeutet dies Folgendes: Wahrnehmbarkeit : Für Bilder müssen Textalternativen bereitgestellt werden, die von Screenreadern erfasst werden können. Webseiten müssen ausreichend Kontrast zwischen Schriftfarbe und Hintergrundfarbe aufweisen und Videos müssen Untertitel oder Audiodeskriptionen enthalten. Bedienbarkeit : Alle Funktionen und Inhalte müssen ohne Maus allein mit der Tastatur zugänglich sein. Die Struktur und Navigation der Webseite muss einheitlich und logisch sein, um eine leichte Orientierung zu ermöglichen. Zeitgesteuerte Inhalte wie automatisch startende Videos oder Animationen sollten vermieden werden oder zumindest leicht zu pausieren oder stoppen sein. Verständlichkeit : Texte müssen in einfacher und verständlicher Sprache geschrieben sein. Formulare müssen klare und hilfreiche Fehlermeldungen und Eingabeanweisungen bieten, um Missverständnisse zu reduzieren. Robustheit : Die Webseite muss mit verschiedenen Browsern, Geräten, Betriebssystemen und Hilfstechnologien wie Screenreadern oder Vergrößerungssoftware kompatibel sein. Es muss regelmäßig überprüft werden, dass die Webseite kontinuierlich den Ansprüchen entspricht Zusätzlich zu den oben genannten Anforderungen gibt es noch spezifische Vorgaben für bestimmte Produkte und Dienstleistungen, etwa für Selbstbedienungsterminals, Telekommunikations- oder Personenbeförderungsdienste. Insgesamt ist vor allem relevant, dass die erforderlichen Informationen über mehrere Sinneskanäle zur Verfügung gestellt werden. V. Folgen bei Verstößen Die Einhaltung der Vorschriften des BFSG ist zwingend erforderlich, ansonsten dürfen die Produkte und Dienstleistungen nicht in den Verkehr gebracht werden. Bei Verstößen drohen Vertriebsverbote, Abmahnungen und sogar empfindliche Bußgelder. VI. Fazit Die jüngsten Entwicklungen rund um das BFSG stellen erhebliche Anforderungen an Unternehmen: Unzureichende Vorbereitung kann zu schwerwiegenden rechtlichen Konsequenzen und Bußgeldern führen. Unternehmen, die jetzt nicht handeln, riskieren, den neuen Anforderungen nicht gerecht zu werden. Bereiten Sie sich daher frühzeitig vor und vermeiden Sie böse Überraschungen – unser Expertenteam steht Ihnen zur Seite, um Sie rechtssicher durch die Anforderungen des BFSG zu führen. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Dr. Barbara Anzellotti 4. November 2024
Am 17.10.2024 trafen sich Unternehmerinnen zum Netzwerken bei der WNL mit einem interessanten Fachimpuls durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Anzellotti von Pelka und Sozien über „Nachhaltigkeit beim Mieten und Vermieten“: Das gemeinsame europäische Ziel, innerhalb der EU bis 2050 klimaneutral zu sein, bringt Nachhaltigkeitsanforderungen zur Errichtung, Sanierung und Nutzung von Immobilien mit sich. Regulierungen auf europäischer Ebene wie die EU Taxonomie, die Corporate Sustainability Reporting Directive CSRD und die EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden EPBD 2024/1275 stellen den äußeren Rahmen. Ergänzend gab es noch einen Ausflug in die aktuelle Gesetzesreform zur geplanten Textform bei langfristigen Mietverträgen und zu den damit verbundenen Risiken. Zugleich haben die Gastgeber Kunstauktionshaus VAN HAM einen spannenden Einblick in die Welt der Auktionen mit Kunstwerken aus allen Epochen gegeben. Ein großes Dankeschön geht insbesondere auch an WNL und an ETL Advisa mit Marika Florack für die Organisation und charmante Führung durchs Programm!
von Fabian Lünsmann 23. Oktober 2024
Der Bundesrat hat am Freitag, den 18.10.2024 dem Bürokratieentlastungsgesetz IV zugestimmt. Bereits am 26.09.2024 hatte der Bundestag dem Entwurf der Bundesregierung zugestimmt. Damit tritt das Bürokratieentlastungsgesetz IV zum 01.01.2025 in Kraft. Es enthält unter anderem die Abschaffung des gesetzlichen Schriftformerfordernisses nach §§ 550, 578 Abs. 1, 2 BGB für gewerbliche Mietverhältnisse. Für die Immobilienwirtschaft bedeutet dies eine gravierende Änderung der bisherigen Praxis. Nach der Neufassung des § 578 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. ist der Abschluss von Gewerberaummietverträgen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr und die nachträgliche Änderung solcher Mietverträge künftig in Textform (§ 126b BGB) und damit in Form von PDFs, E-Mails und sogar Messenger-Nachrichten möglich. Bislang gilt hier ein strenges, teilweise als überzogen empfundenes Schriftformerfordernis, das durch eine umfangreiche und komplexe Rechtsprechung geprägt ist. I. Bestandsaufnahme Beim Abschluss langfristiger Mietverträge ist bisher zu beachten, dass der Vertrag der Schriftform (§§ 550, 578, 126 BGB) bedarf, wenn er für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr gelten soll. Dies bedeutet bisher in der Regel, dass die Parteien eine einheitliche Vertragsurkunde erstellen müssen, die durch eigenhändige Unterschrift beider Parteien auf ein und derselben Urkunde oder auf zwei gleichlautenden Urkunden geschlossen wird. Dieses Formerfordernis gilt nicht nur für den ursprünglichen Mietvertrag, sondern auch für alle späteren Änderungen und Ergänzungen. Von dieser Regelung kann bislang nur durch die qualifizierte elektronische Signatur der Parteien nach § 126a BGB abgewichen werden, wovon jedoch in der Praxis kaum Gebrauch gemacht wird. Verstöße gegen die Schriftform, auch bei einfachen Vertragsänderungen, haben bislang weitreichende Folgen. Änderungen wesentlicher Vertragsbestandteile, wie z. B. des Vertragsgegenstandes, der Vertragsparteien, des Mietzinses und der Vertragsdauer, sind unter Beachtung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien der Bezugnahme auf den ursprünglichen Mietvertrag vorzunehmen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer schriftformbedürftiger Regelungsbereiche, die Potenzial für Verstöße gegen die gesetzliche Schriftform in der von der Rechtsprechung entwickelten Form bieten. Verstößt der Vertrag gegen die gesetzliche Schriftform – in der Regel durch eine nicht schriftformgerechte nachträgliche Änderung oder durch einen vertragsimmanenten Widerspruch – so gilt er als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Damit entfällt der Ausschluss der ordentlichen Kündigung ebenso wie die zum Teil sehr langen Laufzeiten von Gewerbemietverträgen. In diesem Fall kann das Mietverhältnis unabhängig von der ursprünglich vereinbarten Laufzeit von beiden Parteien unter Einhaltung der jeweiligen gesetzlichen Fristen gemäß § 580a BGB vorzeitig gekündigt werden, frühestens jedoch ein Jahr nach Mietbeginn. Diese Strenge beruht auf dem Schutz des neuen Vermieters, der nach § 566 BGB durch den Eigentumswechsel in das Mietverhältnis eintritt. Der Erwerber tritt anstelle des bisherigen Eigentümers und Vermieters in das bestehende Mietverhältnis mit allen Vereinbarungen der bisherigen Vertragsparteien ein. Grund für die Schriftform ist also der Gedanke, dass der neue Vermieter in die Lage versetzt werden soll, alle wesentlichen Rechte und Pflichten unmittelbar aus dem Mietvertrag zu erkennen. Sind wesentliche Vereinbarungen des Mietvertrages nicht schriftlich niedergelegt, soll er das Mietverhältnis vorzeitig kündigen können, um sich vor ungewollten langfristigen Bindungen zu schützen. Es ist jedoch anerkannt, dass die Kündigungsmöglichkeit nicht nur dem Erwerber, sondern auch den ursprünglichen Vertragsparteien zusteht, was den Anwendungsbereich der sogenannten Schriftformkündigung erheblich erweitert. Vor dem Hintergrund, dass die Mietvertragsparteien gerade im Hinblick auf die lange Laufzeit eines Mietvertrages zum Teil erhebliche Investitionen in das Mietobjekt und die damit verbundene Nutzung tätigen (z. B. umfangreicher Ausbau im Einzelhandel zu einem „Flagship-Store“) und gerade der Bestand eines langfristigen Mietvertrages entscheidend für die Finanzierung des Erwerbs sein kann, stellt die vorzeitige Kündigungsmöglichkeit ein erhebliches Risiko dar. II. Neufassung Diese Nachweisfunktion der gesetzlichen Schriftform soll nun durch die einfache Textform gewährleistet werden. Hiernach muss lediglich eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden. Ein dauerhafter Datenträger ist dabei jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben. Es ist damit also nicht mehr notwendig, dass die Parteien dieselbe Vertragsurkunde eigenhändig unterschreiben. Vielmehr kann der Mietvertrag in Textform auch aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzt werden. Damit wird die Nutzung von rein elektronischen Vertragsmedien wie PDF und E-Mail möglich. Die Lösungsmöglichkeit bei Verstoß gegen die dann geltende Textform bleibt jedoch grundsätzlich erhalten, da ein nicht der Textform entsprechender Gewerberaummietvertrag wie bisher als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt und mit gesetzlicher Frist gekündigt werden kann. III. Kritik Hintergrund der beschlossenen Änderung ist, dass das Schriftformerfordernis für Mietverträge seit geraumer Zeit in der Kritik steht. Kritisiert werden zum einen die hohen formalistischen Anforderungen an den Abschluss und die Änderung von Verträgen sowie die damit verbundenen Kosten für Berater. Zum anderen hat die vorzeitige Kündigungsmöglichkeit bei Schriftformverstößen, die nicht auf den Erwerbsfall beschränkt ist, in der Beratungspraxis teilweise dazu geführt, dass Schriftformmängel von einer Partei geradezu "gesucht" und zu Verhandlungszwecken eingesetzt werden. Dies kann zu erheblichen Störungen des Mietverhältnisses führen. IV. Rezeption Die Lockerung der Formvorschriften bei der Geschäftsraummiete soll mehrere Vorteile bringen. So sollen die formalen Hürden für den Abschluss und die Änderung langfristiger Mietverträge gesenkt und das Verfahren insgesamt vereinfacht und beschleunigt werden. Die eigenhändige Unterschrift beider Parteien auf derselben Vertragsurkunde ist nicht mehr erforderlich. Elektronische Vertragsabschlüsse über E-Mail oder Messenger-Dienste werden problemlos möglich. Bisher bestehende Kündigungsrisiken aufgrund von Schriftformmängeln im Mietvertrag entfallen nach Ablauf der einjährigen Übergangsfrist, was die Verhandlungsmacht in so manchem Mietvertrag neu verteilen dürfte. Das neue Textformerfordernis hat aber auch nicht unerhebliche Nachteile. Wie dargestellt, besteht auch unter der neuen Form eine über den Erwerbsfall hinaus anwendbare Lösungsmöglichkeit bei Verletzung der gesetzlichen Form. Die Kündigung wegen Formverstoßes wird daher das Mittel der Wahl bleiben, um während der Laufzeit des Mietvertrages die eigene Verhandlungsposition durchzusetzen und sich von einem lästig gewordenen Mietverhältnis zu lösen. Die bisherige Schriftform gibt den Käufern von Gewerbeimmobilien Sicherheit über alle bestehenden Vereinbarungen zum Kaufobjekt. Werden künftig Änderungen per E-Mail oder Messenger wirksam, besteht für den Erwerber das Risiko, an unbekannte Vertragsinhalte gebunden zu sein. Die mit der bloßen Textform verbundene Gefahr der Unklarheit über den Vertragsinhalt, insbesondere nach Vertragsänderungen durch die Parteien, besteht umso mehr, als nach längerer E-Mail-Korrespondenz mühsam ausgehandelte Details verloren gehen können, wenn sie nicht mehr in einer Urkunde zusammengefasst werden oder zumindest hinreichend deutlich auf diese Bezug genommen wird. Zudem schwächt die Formerleichterung die neben der Nachweisfunktion gegenüber dem Erwerber bestehende Beweisfunktion der Schriftform. Denn einer lediglich in Textform abgefassten Vertragsurkunde dürfte nicht derselbe Beweiswert zukommen wie einer einheitlichen, der strengen Schriftform genügenden und von beiden Vertragsparteien unterzeichneten Vertragsurkunde. Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Vertragsurkunde gilt gerade nicht für einen Mietvertrag, der aus einer Vielzahl von Dokumenten bestehen kann. Nachteilig dürfte sich das Textformerfordernis auch auf den Umfang einer im Erwerbsfall durchzuführenden Due Diligence auswirken. Es dürfte nunmehr stets die gesamte Kommunikation der Vertragsparteien zum Mietvertrag zu prüfen sein, um das Risiko zu minimieren, dass durch übereinstimmende Willenserklärungen in aufeinander bezogenen E-Mails ein unbekannter Nachtrag zustande gekommen ist. Es bleibt daher abzuwarten, ob die wenigen Vorteile der Einführung der Textform in der Praxis tatsächlich überwiegen oder ob sich eine vertraglich vereinbarte qualifizierte Schriftform in Anknüpfung an die bisherige Praxis durchsetzen wird. Das aus den vorgenannten Unsicherheiten resultierende Bestreben der Parteien, diese insbesondere bei Großprojekten durch vertragliche Vereinbarung der Schriftform zu vermeiden, dürfte die mit der Gesetzesänderung verfolgten Reformbestrebungen jedoch insgesamt konterkarieren. V. Handlungsempfehlungen Die Parteien eines gewerblichen Bestandsmietvertrages sollten unter Berücksichtigung der vorgenannten Vor- und Nachteile zunächst für sich abwägen, ob sie an der strengen Schriftform festhalten oder die neue Textform wählen wollen. Für den Fall, dass sich die Parteien für die Beibehaltung der Schriftform entscheiden, ist der Mietvertrag sodann durch einen schriftformgerechten Nachtrag entsprechend zu modifizieren, indem die Anwendbarkeit des § 578 Abs. 1 n.F. individualvertraglich ausgeschlossen und die Beibehaltung der gesetzlichen Schriftform vereinbart wird. Wählen die Parteien die Textform, so sind zwingend Vertragsmanagementprozesse einzurichten und vertraglich zu verankern, die sicherstellen, dass der Vertragsinhalt auch nach Änderungen durch textformkonforme Nachträge jederzeit eindeutig bestimmbar ist. In diesem Zusammenhang sollten die Parteien zwingend vertraglich regeln, dass der Abschluss von Nachträgen nur in einem einheitlichen, der Textform genügenden und von beiden Parteien elektronisch signierten Dokument erfolgt. Der Austausch von Nachtragsentwürfen sollte dabei stets unter dem Vorbehalt des Abschlusses einer solchen Urkunde erfolgen, um den Vertrag nicht bereits durch erste Entwürfe zu ändern. Hinsichtlich bereits bestehender Schriftformverstöße gilt für bestehende Mietverträge eine Übergangsfrist von zwölf Monaten bis zum Ablauf des 31.12.2025. Bis dahin können Mietverträge wegen Schriftformverstößen nach §§ 550 i.V.m. 578 Abs. 1, 2 BGB a.F. noch mit gesetzlicher Frist gekündigt werden (§ 580a BGB). Wann ein zur Kündigung berechtigender Schriftformverstoß vorliegt, ist aber angesichts der hierzu ergangenen umfangreichen Rechtsprechung nicht immer einfach zu bestimmen und kann im Einzelfall erheblichen Beratungsbedarf auslösen. Gerade bei bestehenden Mietverhältnissen sollte daher die Übergangszeit bis zum Jahreswechsel 2025/2026 dringend zur „Neugestaltung“ des eigenen Mietverhältnisses genutzt und hierzu anwaltlicher Rat eingeholt werden. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
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