Insolvenzabhängige Lösungsklauseln – endlich Klarheit?

Schließen zwei Parteien einen Vertrag miteinander und liegt im Laufe der Vertragsbeziehung ein Insolvenzgrund vor oder wird ein Insolvenzantrag gestellt, bzw. ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer der Vertragsparteien eröffnet, so könnte sich die andere Partei mittels einer „insolvenzabhängigen Lösungsklausel“ von dem Vertrag lösen. Aufgrund einer fehlenden konkreten rechtlichen Grundlage für diese Klauseln ist deren Vereinbarung häufig problematisch. Mit einer solchen Lösungsklausel befasste sich der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom 27. Oktober 2022 (Az. IX ZR 213/21). Konkret ging es hierbei um die Frage, ob diese wirksam vereinbart wurde und welche Wirksamkeitsanforderungen an die insolvenzabhängige Lösungsklausel zu stellen sind.

I. Sachverhalt

Der spätere Insolvenzschuldner betrieb ein Busunternehmen und hatte mit der Beklagten einen Beförderungsvertrag geschlossen, welcher die Beförderung von Schülern beinhaltete. In diesem Beförderungsvertrag wurde der Beklagten das Recht zur fristlosen Kündigung beim Vorliegen eines wichtigen Grundes eingeräumt. Hierunter fassten die Parteien auch einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Nachdem der Kläger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragte, kündigte die Beklagte den Vertrag mit Hinweis auf die zuvor festgelegte Klausel fristlos. Der Insolvenzverwalter des Schuldners hingegen hielt die Kündigung des Beförderungsvertrags für unwirksam und erhob Klage auf Zahlung der Vergütung bis zum vereinbarten Vertragsende.
 
II. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Problematisch bei den insolvenzabhängigen Lösungsklauseln ist deren umstrittene Wirksamkeit. Denn hierbei stehen sich die Privatautonomie und die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens gegenüber. Verstärkt wird dieses Problem durch die bisher fehlende abschließende höchstrichterliche Rechtsprechung und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit. Von Seiten des Unternehmens als Insolvenzschuldner spricht besonders der Schutz der Insolvenzmasse sowie der Erhalt der Sanierungschancen des Unternehmens für die Unwirksamkeit einer solchen Klausel. Denn die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Sanierung sinkt, wenn mehreren Geschäftspartnern des Insolvenzschuldners erlaubt würde, ihre Verträge mit dem Unternehmen zu kündigen. Zudem wird argumentiert, dass die Unwirksamkeit der insolvenzabhängigen Lösungsklauseln aus dem Wortlaut des § 119 Insolvenzordnung (InsO) folgen würde. Denn bei einem zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von beiden Parteien noch nicht/nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag, hat der Insolvenzverwalter gem. § 103 InsO ein Wahlrecht. Dieser kann entscheiden, ob der Vertrag noch erfüllt werden soll, oder eben nicht. Und gem. § 119 InsO sind Vereinbarungen, welche die Anwendung des § 103 InsO im Voraus ausschließen oder beschränken, grundsätzlich unwirksam. Die Konsequenz wäre, dass die Lösungsklausel, welche das Wahlrecht des Insolvenzverwalters im Voraus ausschließt und den Vertragspartnern des Insolvenzschuldners überlassen würde, unwirksam wäre. Die Gegenauffassung hingegen vertritt die Ansicht, dass die Wirksamkeit der Klauseln bereits aus der Vertragsfreiheit, bzw. der Privatautonomie folge, mindestens jedoch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. 
 
Schließlich könnten die Vertragsparteien frei darüber entscheiden, welche Regelungen für den Fall der Insolvenz einer der Parteien getroffen werden sollen. Unabhängig von der Frage der generellen Wirksamkeit der Lösungsklauseln kann das Recht des Insolvenzverwalters unter Umständen jedoch zugunsten eines Insolvenzgläubigers eingeschränkt sein. Beispielsweise, wenn die besonderen Interessen des Vertragspartners deutlich gegenüber den Interessen anderer Insolvenzgläubiger überwiegen.

Das Landgericht wies die Klage ab, das Oberlandesgericht hingegen gab der Klage aufgrund der Berufung des Klägers statt. Daraufhin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zurück an das Oberlandesgericht. Grund hierfür sei laut BGH, dass die Entstehungsgeschichte des Gesetzes kein hinreichendes Argument für die generelle Unwirksamkeit der Klauseln darstelle. Die InsO hingegen stelle aber auch keinen generellen Grundsatz für die Zulässigkeit eben dieser insolvenzrechtlichen Lösungsklauseln dar. Folglich fehle es hierbei an einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage, weshalb die Beschränkung der Vertragsfreiheit nicht ohne eine besondere Rechtfertigung erfolgen könne. Doch wann liegt ein zulässiger Grund zur Beschränkung der Vertragsfreiheit vor? Dieser ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn die Klausel lediglich zur Vereitelung der Ausübung des Verwalterwahlrechts nach § 103 InsO dient. Ob dies der Fall ist, soll anhand des berechtigten Interesses der Vertragsparteien beurteilt werden. Das Gericht stellt bei der Frage, ob ein berechtigtes Interesse an der sofortigen Auflösung des Vertrages im Falle der Insolvenz einer Vertragspartei vorliegt, auf die objektiven Umstände ab. Subjektive Umstände oder Vorstellungen der Vertragsparteien bleiben unberücksichtigt.

III. Konkrete Maßstäbe

Es liegen noch immer keine konkreten Maßstäbe für die Wirksamkeit der insolvenzabhängigen Lösungsklauseln vor. Ob ein berechtigtes Interesse zur Wirksamkeit der Klauseln vorliegt, bleibt weiterhin eine Einzelfallentscheidung und kann nicht pauschal beurteilt werden. Vollkommene Rechtssicherheit schafft das Urteil somit nicht. Jedoch können dem Urteil des BGH Indizien entnommen werden, welche auf die Wirksamkeit der Klauseln schließen lassen. Die Klauseln wären unter anderem dann wirksam vereinbart worden, wenn für die Erbringung der Gegenleistung die Zuverlässigkeit des Schuldners eine wichtige Rolle spielt. Bei Bauaufträgen beispielsweise ist eine insolvenzabhängige Lösungsklausel in der Regel wirksam. Dies wird damit begründet, dass die persönlichen Eigenschaften (wie etwa die Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit) des Bauunternehmers oder Handwerkers als Auftragnehmer von erheblicher Bedeutung für den Auftraggeber sind. Bei einer Insolvenz ist die Leistungserbringung schließlich nicht mehr hinreichend gewährleistet, weshalb der Auftraggeber nach einem (Eigen)-Insolvenzantrag des Auftragnehmers ein starkes Interesse daran hat, sich frühzeitig von dem Vertrag zu lösen. Hierdurch kann der Auftraggeber den ihm entstandenen Schaden – wie die Mehrkosten, welche durch die anderweitige Vergabe der Restarbeiten entstehen – geltend machen. Das Interesse des Auftraggebers an der frühzeitigen Lösung von dem Vertrag ist überwiegender als das Interesse anderer Insolvenzgläubiger, weshalb die Lösungsklausel bei Bauverträgen rechtmäßig ist. Zudem ist weitestgehend anerkannt, dass Lösungsklauseln zugunsten von Geldleistungsgläubigern unzulässig sind. Grund hierfür ist das mangelnde überwiegende Interesse dieser Gläubiger gegenüber den anderen Gläubigern des Insolvenzschuldners. Wird ein Vertrag zur Beförderung von Schülern geschlossen, so kommt es dem Auftraggeber hauptsächlich auf eine zuverlässige und sichere Beförderung der Schüler an. Laut BGH fehlt die Beurteilung der Tatsacheninstanzen hinsichtlich der Frage, ob dies für ein berechtigtes Interesse der Beklagten ausreicht. Für ein berechtigtes Interesse der Beklagten spricht besonders die Notwendigkeit der Zuverlässigkeit des Vertragspartners für die Sicherstellung einer reibungslosen Beförderung der Schüler. Aber auch die insolvenzbedingte fehlende Absicherung im Falle eines Unfalls sowie die Vermeidung von Leistungsausfällen, welche nach der Stellung eines Insolvenzantrags befürchtet werden können, spielen eine Rolle bei der Beurteilung. Ob sich das Gericht anhand dieser objektiven Umstände für ein berechtigtes Interesse der Beklagten entscheidet, bleibt jedoch abzuwarten.

IV. Treu und Glauben

Wurde die insolvenzabhängige Lösungsklausel wirksam vereinbart, so unterliegt diese laut BGH zusätzlich einer Ausübungskontrolle im Hinblick auf die Einhaltung der Grund-sätze nach Treu und Glauben. Hierdurch würden die schutzwürdigen Belange des Insolvenzschuldners geschützt, falls diese gegenüber der Ausübung des Rechts des Gläubigers überwiegen. Und dadurch könnte verhindert werden, dass Gläubiger, die überhaupt kein schutzwürdiges Interesse an der Lösung des Vertrages haben, von der Klausel Gebrauch machen. Möchte sich beispielsweise ein Gläubiger aufgrund des Eigeninsolvenzantrags des Vertragspartners mittels einer wirksamen Lösungsklausel von dem Vertrag lösen, obwohl die Insolvenz keinerlei Einfluss auf die Durchführung des Vertrages hat und diese auch nicht erschwert würde, so läge hierbei ein Verstoß gegen Treu und Glauben vor. Hieraus folgt, dass selbst die Wirksamkeit der insolvenzabhängigen Lösungsklausel nicht unbedingt Rechtssicherheit für den Insolvenzgläubiger bedeutet. Dieser muss sich vielmehr über die Gegebenheiten des Vertrages und die Interessen der Parteien informieren, um bei der Lösung von dem Vertrag einen möglichen Verstoß gegen die zuvor erläuterten Grundsätze zu vermeiden. 
 
V. Bedeutung für die Praxis 

Das Urteil des BGH setzt leider keine eindeutigen Maßstäbe zur Beurteilung der Wirksamkeit von Lösungsklauseln. Vielmehr verdeutlicht es, dass die Interessenlage im Einzelfall entscheidend und eine tiefergehende Prüfung erforderlich ist. Besondere Vorsicht ist hierbei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geboten, da die objektiven Kriterien zu eben diesem Zeitpunkt den Prüfungsmaßstab für die spätere Beurteilung zur Wirksamkeit der vereinbarten Klausel darstellen. Spätere Interessenlagen sowie subjektive Kriterien werden dabei nicht berücksichtigt. Um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden und Klarheit über die Wirksamkeit bereits geschlossener Klauseln zu erhalten, sollten die insolvenzabhängigen Lösungsklauseln in jedem Fall geprüft werden. Es ist besonders ratsam, eine solche Prüfung noch vor Vertragsschluss vorzunehmen, da es sich bei diesem Zeitpunkt um den entscheidungserheblichen handelt und besonders hier Fehler gemacht werden, die Jahre später bei Kündigung des Vertrages mit Berufung auf die Lösungsklausel nicht mehr korrigiert werden können. 

Wir danken unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Jana Hötel für die tatkräftige Unterstützung zu diesem Beitrag.
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von Anika Brunk und Dr. Leon Reichert 20. November 2024
Seit Anfang November 2024 vergibt das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) an alle wirtschaftlich Tätigen eine sog. Wirtschafts-Identifikationsnummer (W-IdNr.), welche gleichzeitig auch die bundeseinheitliche Wirtschaftsnummer nach dem Unternehmensbasisdatenregistergesetz darstellt. Dies erfolgt automatisiert und ohne Antragstellung, so dass grundsätzlich kein Handlungsbedarf besteht. Jedoch ist es wichtig die W-IdNr. aufzubewahren und ggf. an die steuerliche Vertretung weiterzuleiten. Sofern bereits eine USt-IdNr. vorhanden ist, entspricht die W-IdNr. im Grunde dieser, wird jedoch noch um ein fünfstelliges Unterscheidungsmerkmal für unterschiedliche wirtschaftliche Tätigkeiten erweitert. Eine zusätzliche Mitteilung über die W-IdNr. durch das BZSt bleibt dann aus. I. Wer erhält wann eine Wirtschaftsidentifikationsnummer Welche Steuerpflichtigen eine W-IdNr. erhalten, regeln die §§ 139a und 139c AO. Demnach erhalten alle juristischen Personen sowie Personenvereinigungen automatisch eine W-IdNr. durch das BZSt. Darüber hinaus bekommen auch natürliche Personen, die wirtschaftlich tätig sind, eine Nummer zugeteilt. Dabei ist eine natürliche Person als wirtschaftlich Tätige anzusehen, wenn sie bspw. Unternehmerin i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG ist oder gemäß § 28a SGB IV meldepflichtig ist. Wichtig ist, dass die Nummer automatisiert vergeben wird. Das bedeutet, dass wirtschaftlich Tätige keinen Antrag stellen müssen, sondern die Nummer durch das BZSt ohne Aufforderung zugeteilt wird. Wirtschaftlich Tätige bekommen daher seit November 2024 automatisiert ihre Nummer zugeteilt. Dabei geht das BZSt stufenweise vor. Zunächst bekommen lediglich Kleinunternehmer nach § 19 UStG und zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung verpflichtete ihre Nummer zugeteilt. Alle weiteren wirtschaftlich Tätigen erhalten ihre Nummer voraussichtlich erst ab Mitte 2025 zugeteilt. Nachteile durch einen späteren Erhalt der Nummer entstehen keine. Sofern Steuerpflichtige bereits zum 30..11.2024 über eine USt-IdNr. verfügen, erfolgt keine zusätzliche Mitteilung der W-IdNr. durch das BZSt, da beide im Aufbau identisch sind. Somit werden die meisten Steuerpflichtigen keine zusätzliche Mitteilung durch das BZSt über ihre W-IdNr. erhalten. Sofern jedoch keine USt-IdNr. vorhanden ist oder die wirtschaftliche Tätigkeit nach November neu aufgenommen wird, erfolgt die automatisierte Bekanntgabe der W-IdNr. über ELSTER. Ab dem 3.12.2024 kann zudem über ELSTER auch die W-IdNr. erneut abgerufen werden. II. Aufbau der Wirtschaftsidentifikationsnummer Die Nummer besteht aus dem Länderkürzel „DE“ und einer folgenden 9-stelligen Ziffernfolge (bspw. DE987654321). Diese wird aktuell bei den meisten Steuerpflichten mit der USt-IdNr. übereinstimmen. Für jede wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen wird die Nummer dann aber um eine 5-stellige Ziffernfolge (sog. Unterscheidungsmerkmal) fortlaufend erweitert, beginnend bei 00001 (bspw. DE987654321-00001). Anhand des ersten Teils der Nummer kann so der Steuerpflichte eindeutig identifiziert werden und anhand der Folgenummer die entsprechende wirtschaftliche Tätigkeit. Dabei ist zu beachten, dass zunächst für jeden Steuerpflichtigen lediglich eine wirtschaftliche Tätigkeit („-00001“) vergeben wird. Sofern Steuerpflichtige mehrere wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, erfolgt die Zuteilung (bspw. „-00002“ für eine zweite wirtschaftliche Tätigkeiten oder „-00003“ für eine dritte) erst ab 2026. Beispiel: Eine GmbH verfügt über einen Hauptsitz in Köln und vier Betriebstätten verteilt in Deutschland. Die GmbH ist zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung verpflichtet und hat bereits die USt-IdNr. „DE123456789“. Die GmbH bekommt daher bereits im November 2024 die W-IdNr. zugeteilt: „DE123456789-00001“. Voraussichtlich ab 2026 bekommen die einzelnen Betriebstätten dann zusätzlich einzelne Unterscheidungsmerkmale zugeteilt, also „DE123456789-00002“ bis „DE123456789-00005“. III. Bedeutung der Wirtschaftsidentifikationsnummer Sinn und Zweck der neuen Identifikationsnummer ist die Schaffung einer einheitlichen und eindeutigen IdNr. für alle wirtschaftlich Tätigen in Deutschland. Im Gegensatz zu der Steuernummer bleibt die W-IdNr., solange die wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, bestehen (sog. „Once-Only-Prinzip“). Sie ist das Pendant zur Steuer-Identifikationsnummer bei natürlichen Personen. Laut Angaben des BZSt erleichtert die W-IdNr. die Identifizierung eines Unternehmens und soll so zukünftig die steuerlichen Prozesse, insbesondere die Kommunikation innerhalb der Behörden vereinfachen und ggf. auch automatisieren. Dabei müssen künftig Steuerpflichtige bei der Kommunikation mit den Finanzbehörden auch ihre W-IdNr. angeben (bspw. bei Anträgen, Erklärungen und Mitteilungen). Die Verpflichtung greift aber erst mit Abschluss der Einführung in 2026. Bis dahin kann auch die Kommunikation wie gewohnt unter der Angabe der Steuernummer erfolgen, eine Angabe der W-IdNr. ist bis dahin optional. Neben dem Steuerpflichtigen selbst müssen künftig auch Dritte, die Daten eines wirtschaftlich Tätigen an die Finanzbehörden übermitteln, die W-IdNr. angeben. Dies betrifft bspw. Kapitalerträge auszahlende Stellen. Zu beachten ist auch, dass die W-IdNr. keine Identifikationsnummer ersetzt, insbesondere nicht die USt-IdNr. und die Steuernummer. Diese bleiben neben der W-IdNr. bestehen. Die USt-IdNr. muss ggf. auch weiter gesondert beantragt werden. Sofern bereits eine W-IdNr. besteht und erst zu einem späteren Zeitpunkt eine USt-IdNr. beantragt wird, werden beide Nummern bis auf die Unterscheidungsmerkmale (bspw. „-00001“) identisch sein. IV. Handlungsempfehlungen Die W-IdNr. wird in der Zukunft die Identifikationsnummer bei der Kommunikation mit den Finanzbehörden sein. Daher ist es als Steuerpflichtiger wichtig, diese aufzubewahren und an die steuerliche Vertretung weiterzugeben, insbesondere, wenn diese durch das BZSt gesondert mittgeteilt wurde. Bei den meisten Steuerpflichtigen wird aktuell aber die W-IdNr. mit der USt-IdNr. übereinstimmen. Sofern bereits eine W-IdNr. vorhanden ist, kann diese bereits für die Kommunikation mit den Finanzbehörden freiwillig verwendet werden, bevor diese voraussichtlich ab 2026 verpflichtend anzugeben ist. Sollten Sie jedoch auf ihre bereits vergebene W-IdNr. nicht mehr zugreifen können, so ist ab Dezember 2024 ein erneuter Abruf der W-IdNr. über ELSTER bzw. über das BZSt möglich. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Tobias Kromm und Lukas Kröger 6. November 2024
Am 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Mit diesem Gesetz wird die EU-Richtlinie über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (European Accessibility Act, EAA) umgesetzt. Ziel ist es, Barrieren vor allem im digitalen Bereich abzubauen, um eine gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen und auch älteren Menschen zu gewährleisten. Nachdem derartige Standards für öffentliche Einrichtungen bereits seit mehreren Jahren vorgeschrieben sind, werden nun auch viele private Unternehmen zur Barrierefreiheit verpflichtet. I. Erfasste Produkte und Dienstleistungen Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden, müssen für Verbraucherinnen und Verbraucher barrierefrei bereitgestellt werden. Produkte sind etwa Hardwaresysteme für Computer für Endverbraucher und Endverbraucherinnen, bestimmte Selbstbedienungsterminals wie Geld- oder Fahrausweisautomaten, Verbraucherendgeräte, die für Telekommunikationsdienste genutzt werden (z.B. Mobiltelefone), Verbraucherendgerät mit interaktivem Leistungsumfang (z.B. interaktive Fernseher) und E-Book-Lesegeräte. Unter Dienstleistungen fallen Bankdienstleistungen für Verbraucherinnen und Verbraucher, Telekommunikationsdienste (z.B. Messenger), Elemente der Personenbeförderungsdienste (z.B. elektronische Ticketdienste) sowie E-Books und deren Software. Insbesondere sind auch Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr (z.B. E-Commerce) erfasst, sodass Webshops und Apps in jedem Fall betroffen sind. II. Verpflichtete Unternehmen Verpflichtet werden vor allem Unternehmen in den Bereichen E-Commerce, Finanzdienstleistungen, Verkehr und Telekommunikation sowie Hersteller und Anbieter von Computerhardware und -software, betroffen sind aber alle Unternehmen, die eines der oben genannten Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Den Anforderungen des BFSG müssen alle privaten Marktakteure gleichermaßen gerecht werden. Abhängig davon, in welcher Rolle das Unternehmen am Markt auftritt (Hersteller, Händler, Importeure oder Dienstleistungsanbieter), sind zusätzlich verschiedene Prüf-, Nachweis- und Mitteilungspflichten einzuhalten. Grob kann man hier unterscheiden zwischen solchen Unternehmen, die Produkte in den Verkehr bringen (Hersteller, Händler und Importeure) und solchen, die Dienstleistungen erbringen. Da die Vorgaben variieren, sollten Unternehmen sich eingehend darüber informieren, welche Anforderungen sie im Einzelnen einzuhalten haben und welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Von den Regelungen ausgenommen sind lediglich Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz von unter zwei Millionen Euro. III. Begriff der Barrierefreiheit Barrierefreiheit meint, dass Produkte und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Zielgruppen sind vor allem Menschen mit Sehbehinderung, gehörlose Menschen und Menschen mit Hörbeeinträchtigungen, Personen mit kognitiven Einschränkungen, etwa mit Lernschwierigkeiten oder Aufmerksamkeitsstörungen sowie Menschen mit motorischen Einschränkungen. Aber auch für ältere Menschen und Personen, die wenig Erfahrung im Umgang mit digitalen Medien haben, soll die Handhabung erleichtert werden. IV. Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen Um Barrierefreiheit sicherzustellen, müssen Produkte und Dienstleistungen die Nutzung für Menschen mit sensorischen, motorischen und kognitiven Einschränkungen sicherstellen. Genauere Vorgaben finden sich in der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. 1. Produkte Produkte müssen zunächst auch in physischer Hinsicht erreichbar und nutzbar sein, beispielsweise, indem sie in einer Höhe angebracht werden, die auch für Rollstuhlfahrer zugänglich ist (z.B. bei Geld- oder Fahrscheinautomaten). Weiterhin ist erforderlich, dass die Bedienelemente klar erkennbar und einfach zu handhaben sind. Tasten und Bedienelemente müssen groß genug, gut erkennbar und klar strukturiert sein, um Menschen mit motorischen Einschränkungen oder Sehbehinderungen eine einfache Bedienung zu ermöglichen. Hilfreich kann auch der Einsatz von Braille-Schrift oder audiovisuellen Beschreibungen von Bedienvorgängen sein, um die Nutzung für Menschen mit Sehbehinderung zu erleichtern. Wichtig ist auch, dass Displays und Bildschirme ausreichend Helligkeit und Kontrast aufweisen, um eine gute Erkennbarkeit zu gewährleisten. Anweisungen zur Nutzung von Produkten sowie wichtige Hinweise müssen leicht verständlich und in einfacher Sprache verfasst sein. Um die Verständlichkeit zu verbessern, kann auch zusätzlich auf grafische Symbole wie Piktogramme oder Icons zurückgegriffen werden. Technische Geräte wie Smartphones oder Tablets müssen mit Hilfsmitteln wie Screenreadern oder Vergrößerungssoftware kompatibel sein. 2. Dienstleistungen Damit Dienstleistungen als barrierefrei gelten, müssen die Informationen über die Funktionsweise der Dienstleistung (z.B. Online-Shops) in mehr als einem sensorischen Kanal zur Verfügung stehen, leicht auffindbar und gut lesbar sein. Auch hier gilt: Texte müssen in angemessener Größe und mit hinreichendem Kontrast, ggf. unter Hinzuziehung von nicht-textlichen Darstellungen bereitgestellt werden. Im Hinblick auf Webseiten gilt, dass die angebotenen Dienstleistungen auf konsistente und angemessene Weise bereitgestellt werden müssen, indem sie wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden. Dies gilt auch für die zugehörigen Online-Anwendungen und die Darstellung auf Mobilgeräten einschließlich Apps. Im Einzelnen bedeutet dies Folgendes: Wahrnehmbarkeit : Für Bilder müssen Textalternativen bereitgestellt werden, die von Screenreadern erfasst werden können. Webseiten müssen ausreichend Kontrast zwischen Schriftfarbe und Hintergrundfarbe aufweisen und Videos müssen Untertitel oder Audiodeskriptionen enthalten. Bedienbarkeit : Alle Funktionen und Inhalte müssen ohne Maus allein mit der Tastatur zugänglich sein. Die Struktur und Navigation der Webseite muss einheitlich und logisch sein, um eine leichte Orientierung zu ermöglichen. Zeitgesteuerte Inhalte wie automatisch startende Videos oder Animationen sollten vermieden werden oder zumindest leicht zu pausieren oder stoppen sein. Verständlichkeit : Texte müssen in einfacher und verständlicher Sprache geschrieben sein. Formulare müssen klare und hilfreiche Fehlermeldungen und Eingabeanweisungen bieten, um Missverständnisse zu reduzieren. Robustheit : Die Webseite muss mit verschiedenen Browsern, Geräten, Betriebssystemen und Hilfstechnologien wie Screenreadern oder Vergrößerungssoftware kompatibel sein. Es muss regelmäßig überprüft werden, dass die Webseite kontinuierlich den Ansprüchen entspricht Zusätzlich zu den oben genannten Anforderungen gibt es noch spezifische Vorgaben für bestimmte Produkte und Dienstleistungen, etwa für Selbstbedienungsterminals, Telekommunikations- oder Personenbeförderungsdienste. Insgesamt ist vor allem relevant, dass die erforderlichen Informationen über mehrere Sinneskanäle zur Verfügung gestellt werden. V. Folgen bei Verstößen Die Einhaltung der Vorschriften des BFSG ist zwingend erforderlich, ansonsten dürfen die Produkte und Dienstleistungen nicht in den Verkehr gebracht werden. Bei Verstößen drohen Vertriebsverbote, Abmahnungen und sogar empfindliche Bußgelder. VI. Fazit Die jüngsten Entwicklungen rund um das BFSG stellen erhebliche Anforderungen an Unternehmen: Unzureichende Vorbereitung kann zu schwerwiegenden rechtlichen Konsequenzen und Bußgeldern führen. Unternehmen, die jetzt nicht handeln, riskieren, den neuen Anforderungen nicht gerecht zu werden. Bereiten Sie sich daher frühzeitig vor und vermeiden Sie böse Überraschungen – unser Expertenteam steht Ihnen zur Seite, um Sie rechtssicher durch die Anforderungen des BFSG zu führen. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Dr. Barbara Anzellotti 4. November 2024
Am 17.10.2024 trafen sich Unternehmerinnen zum Netzwerken bei der WNL mit einem interessanten Fachimpuls durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Anzellotti von Pelka und Sozien über „Nachhaltigkeit beim Mieten und Vermieten“: Das gemeinsame europäische Ziel, innerhalb der EU bis 2050 klimaneutral zu sein, bringt Nachhaltigkeitsanforderungen zur Errichtung, Sanierung und Nutzung von Immobilien mit sich. Regulierungen auf europäischer Ebene wie die EU Taxonomie, die Corporate Sustainability Reporting Directive CSRD und die EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden EPBD 2024/1275 stellen den äußeren Rahmen. Ergänzend gab es noch einen Ausflug in die aktuelle Gesetzesreform zur geplanten Textform bei langfristigen Mietverträgen und zu den damit verbundenen Risiken. Zugleich haben die Gastgeber Kunstauktionshaus VAN HAM einen spannenden Einblick in die Welt der Auktionen mit Kunstwerken aus allen Epochen gegeben. Ein großes Dankeschön geht insbesondere auch an WNL und an ETL Advisa mit Marika Florack für die Organisation und charmante Führung durchs Programm!
von Fabian Lünsmann 23. Oktober 2024
Der Bundesrat hat am Freitag, den 18.10.2024 dem Bürokratieentlastungsgesetz IV zugestimmt. Bereits am 26.09.2024 hatte der Bundestag dem Entwurf der Bundesregierung zugestimmt. Damit tritt das Bürokratieentlastungsgesetz IV zum 01.01.2025 in Kraft. Es enthält unter anderem die Abschaffung des gesetzlichen Schriftformerfordernisses nach §§ 550, 578 Abs. 1, 2 BGB für gewerbliche Mietverhältnisse. Für die Immobilienwirtschaft bedeutet dies eine gravierende Änderung der bisherigen Praxis. Nach der Neufassung des § 578 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. ist der Abschluss von Gewerberaummietverträgen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr und die nachträgliche Änderung solcher Mietverträge künftig in Textform (§ 126b BGB) und damit in Form von PDFs, E-Mails und sogar Messenger-Nachrichten möglich. Bislang gilt hier ein strenges, teilweise als überzogen empfundenes Schriftformerfordernis, das durch eine umfangreiche und komplexe Rechtsprechung geprägt ist. I. Bestandsaufnahme Beim Abschluss langfristiger Mietverträge ist bisher zu beachten, dass der Vertrag der Schriftform (§§ 550, 578, 126 BGB) bedarf, wenn er für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr gelten soll. Dies bedeutet bisher in der Regel, dass die Parteien eine einheitliche Vertragsurkunde erstellen müssen, die durch eigenhändige Unterschrift beider Parteien auf ein und derselben Urkunde oder auf zwei gleichlautenden Urkunden geschlossen wird. Dieses Formerfordernis gilt nicht nur für den ursprünglichen Mietvertrag, sondern auch für alle späteren Änderungen und Ergänzungen. Von dieser Regelung kann bislang nur durch die qualifizierte elektronische Signatur der Parteien nach § 126a BGB abgewichen werden, wovon jedoch in der Praxis kaum Gebrauch gemacht wird. Verstöße gegen die Schriftform, auch bei einfachen Vertragsänderungen, haben bislang weitreichende Folgen. Änderungen wesentlicher Vertragsbestandteile, wie z. B. des Vertragsgegenstandes, der Vertragsparteien, des Mietzinses und der Vertragsdauer, sind unter Beachtung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien der Bezugnahme auf den ursprünglichen Mietvertrag vorzunehmen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer schriftformbedürftiger Regelungsbereiche, die Potenzial für Verstöße gegen die gesetzliche Schriftform in der von der Rechtsprechung entwickelten Form bieten. Verstößt der Vertrag gegen die gesetzliche Schriftform – in der Regel durch eine nicht schriftformgerechte nachträgliche Änderung oder durch einen vertragsimmanenten Widerspruch – so gilt er als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Damit entfällt der Ausschluss der ordentlichen Kündigung ebenso wie die zum Teil sehr langen Laufzeiten von Gewerbemietverträgen. In diesem Fall kann das Mietverhältnis unabhängig von der ursprünglich vereinbarten Laufzeit von beiden Parteien unter Einhaltung der jeweiligen gesetzlichen Fristen gemäß § 580a BGB vorzeitig gekündigt werden, frühestens jedoch ein Jahr nach Mietbeginn. Diese Strenge beruht auf dem Schutz des neuen Vermieters, der nach § 566 BGB durch den Eigentumswechsel in das Mietverhältnis eintritt. Der Erwerber tritt anstelle des bisherigen Eigentümers und Vermieters in das bestehende Mietverhältnis mit allen Vereinbarungen der bisherigen Vertragsparteien ein. Grund für die Schriftform ist also der Gedanke, dass der neue Vermieter in die Lage versetzt werden soll, alle wesentlichen Rechte und Pflichten unmittelbar aus dem Mietvertrag zu erkennen. Sind wesentliche Vereinbarungen des Mietvertrages nicht schriftlich niedergelegt, soll er das Mietverhältnis vorzeitig kündigen können, um sich vor ungewollten langfristigen Bindungen zu schützen. Es ist jedoch anerkannt, dass die Kündigungsmöglichkeit nicht nur dem Erwerber, sondern auch den ursprünglichen Vertragsparteien zusteht, was den Anwendungsbereich der sogenannten Schriftformkündigung erheblich erweitert. Vor dem Hintergrund, dass die Mietvertragsparteien gerade im Hinblick auf die lange Laufzeit eines Mietvertrages zum Teil erhebliche Investitionen in das Mietobjekt und die damit verbundene Nutzung tätigen (z. B. umfangreicher Ausbau im Einzelhandel zu einem „Flagship-Store“) und gerade der Bestand eines langfristigen Mietvertrages entscheidend für die Finanzierung des Erwerbs sein kann, stellt die vorzeitige Kündigungsmöglichkeit ein erhebliches Risiko dar. II. Neufassung Diese Nachweisfunktion der gesetzlichen Schriftform soll nun durch die einfache Textform gewährleistet werden. Hiernach muss lediglich eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden. Ein dauerhafter Datenträger ist dabei jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben. Es ist damit also nicht mehr notwendig, dass die Parteien dieselbe Vertragsurkunde eigenhändig unterschreiben. Vielmehr kann der Mietvertrag in Textform auch aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzt werden. Damit wird die Nutzung von rein elektronischen Vertragsmedien wie PDF und E-Mail möglich. Die Lösungsmöglichkeit bei Verstoß gegen die dann geltende Textform bleibt jedoch grundsätzlich erhalten, da ein nicht der Textform entsprechender Gewerberaummietvertrag wie bisher als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt und mit gesetzlicher Frist gekündigt werden kann. III. Kritik Hintergrund der beschlossenen Änderung ist, dass das Schriftformerfordernis für Mietverträge seit geraumer Zeit in der Kritik steht. Kritisiert werden zum einen die hohen formalistischen Anforderungen an den Abschluss und die Änderung von Verträgen sowie die damit verbundenen Kosten für Berater. Zum anderen hat die vorzeitige Kündigungsmöglichkeit bei Schriftformverstößen, die nicht auf den Erwerbsfall beschränkt ist, in der Beratungspraxis teilweise dazu geführt, dass Schriftformmängel von einer Partei geradezu "gesucht" und zu Verhandlungszwecken eingesetzt werden. Dies kann zu erheblichen Störungen des Mietverhältnisses führen. IV. Rezeption Die Lockerung der Formvorschriften bei der Geschäftsraummiete soll mehrere Vorteile bringen. So sollen die formalen Hürden für den Abschluss und die Änderung langfristiger Mietverträge gesenkt und das Verfahren insgesamt vereinfacht und beschleunigt werden. Die eigenhändige Unterschrift beider Parteien auf derselben Vertragsurkunde ist nicht mehr erforderlich. Elektronische Vertragsabschlüsse über E-Mail oder Messenger-Dienste werden problemlos möglich. Bisher bestehende Kündigungsrisiken aufgrund von Schriftformmängeln im Mietvertrag entfallen nach Ablauf der einjährigen Übergangsfrist, was die Verhandlungsmacht in so manchem Mietvertrag neu verteilen dürfte. Das neue Textformerfordernis hat aber auch nicht unerhebliche Nachteile. Wie dargestellt, besteht auch unter der neuen Form eine über den Erwerbsfall hinaus anwendbare Lösungsmöglichkeit bei Verletzung der gesetzlichen Form. Die Kündigung wegen Formverstoßes wird daher das Mittel der Wahl bleiben, um während der Laufzeit des Mietvertrages die eigene Verhandlungsposition durchzusetzen und sich von einem lästig gewordenen Mietverhältnis zu lösen. Die bisherige Schriftform gibt den Käufern von Gewerbeimmobilien Sicherheit über alle bestehenden Vereinbarungen zum Kaufobjekt. Werden künftig Änderungen per E-Mail oder Messenger wirksam, besteht für den Erwerber das Risiko, an unbekannte Vertragsinhalte gebunden zu sein. Die mit der bloßen Textform verbundene Gefahr der Unklarheit über den Vertragsinhalt, insbesondere nach Vertragsänderungen durch die Parteien, besteht umso mehr, als nach längerer E-Mail-Korrespondenz mühsam ausgehandelte Details verloren gehen können, wenn sie nicht mehr in einer Urkunde zusammengefasst werden oder zumindest hinreichend deutlich auf diese Bezug genommen wird. Zudem schwächt die Formerleichterung die neben der Nachweisfunktion gegenüber dem Erwerber bestehende Beweisfunktion der Schriftform. Denn einer lediglich in Textform abgefassten Vertragsurkunde dürfte nicht derselbe Beweiswert zukommen wie einer einheitlichen, der strengen Schriftform genügenden und von beiden Vertragsparteien unterzeichneten Vertragsurkunde. Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Vertragsurkunde gilt gerade nicht für einen Mietvertrag, der aus einer Vielzahl von Dokumenten bestehen kann. Nachteilig dürfte sich das Textformerfordernis auch auf den Umfang einer im Erwerbsfall durchzuführenden Due Diligence auswirken. Es dürfte nunmehr stets die gesamte Kommunikation der Vertragsparteien zum Mietvertrag zu prüfen sein, um das Risiko zu minimieren, dass durch übereinstimmende Willenserklärungen in aufeinander bezogenen E-Mails ein unbekannter Nachtrag zustande gekommen ist. Es bleibt daher abzuwarten, ob die wenigen Vorteile der Einführung der Textform in der Praxis tatsächlich überwiegen oder ob sich eine vertraglich vereinbarte qualifizierte Schriftform in Anknüpfung an die bisherige Praxis durchsetzen wird. Das aus den vorgenannten Unsicherheiten resultierende Bestreben der Parteien, diese insbesondere bei Großprojekten durch vertragliche Vereinbarung der Schriftform zu vermeiden, dürfte die mit der Gesetzesänderung verfolgten Reformbestrebungen jedoch insgesamt konterkarieren. V. Handlungsempfehlungen Die Parteien eines gewerblichen Bestandsmietvertrages sollten unter Berücksichtigung der vorgenannten Vor- und Nachteile zunächst für sich abwägen, ob sie an der strengen Schriftform festhalten oder die neue Textform wählen wollen. Für den Fall, dass sich die Parteien für die Beibehaltung der Schriftform entscheiden, ist der Mietvertrag sodann durch einen schriftformgerechten Nachtrag entsprechend zu modifizieren, indem die Anwendbarkeit des § 578 Abs. 1 n.F. individualvertraglich ausgeschlossen und die Beibehaltung der gesetzlichen Schriftform vereinbart wird. Wählen die Parteien die Textform, so sind zwingend Vertragsmanagementprozesse einzurichten und vertraglich zu verankern, die sicherstellen, dass der Vertragsinhalt auch nach Änderungen durch textformkonforme Nachträge jederzeit eindeutig bestimmbar ist. In diesem Zusammenhang sollten die Parteien zwingend vertraglich regeln, dass der Abschluss von Nachträgen nur in einem einheitlichen, der Textform genügenden und von beiden Parteien elektronisch signierten Dokument erfolgt. Der Austausch von Nachtragsentwürfen sollte dabei stets unter dem Vorbehalt des Abschlusses einer solchen Urkunde erfolgen, um den Vertrag nicht bereits durch erste Entwürfe zu ändern. Hinsichtlich bereits bestehender Schriftformverstöße gilt für bestehende Mietverträge eine Übergangsfrist von zwölf Monaten bis zum Ablauf des 31.12.2025. Bis dahin können Mietverträge wegen Schriftformverstößen nach §§ 550 i.V.m. 578 Abs. 1, 2 BGB a.F. noch mit gesetzlicher Frist gekündigt werden (§ 580a BGB). Wann ein zur Kündigung berechtigender Schriftformverstoß vorliegt, ist aber angesichts der hierzu ergangenen umfangreichen Rechtsprechung nicht immer einfach zu bestimmen und kann im Einzelfall erheblichen Beratungsbedarf auslösen. Gerade bei bestehenden Mietverhältnissen sollte daher die Übergangszeit bis zum Jahreswechsel 2025/2026 dringend zur „Neugestaltung“ des eigenen Mietverhältnisses genutzt und hierzu anwaltlicher Rat eingeholt werden. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Dr. Barbara Anzellotti 22. Oktober 2024
in Köln, Dienstag, 12.11.2024 Beginn: 19:00 Uhr. LEPEL & LEPEL, Niehler Straße 104, Aufgang A, 50733 Köln. Ob als professioneller Immobilieninvestor oder als privater Vermögensanleger – das aktuelle Investitionsumfeld stellt alle Marktteilnehmer vor vergleichbare Herausforderungen. Wir laden Sie ein, gemeinsam mit uns wertvolle Erfahrungen auszutauschen, um Immobilien effizient weiterzuentwickeln und optimal auf die Herausforderungen der Branche vorbereitet zu sein. Unsere Themen: GbR GmbH Familien KG Stiftung Genossenschaft Es erwarten Sie Einblicke aus der Praxis mit unterschiedlichen Perspektiven, präsentiert von: Annette Leidenfrost, Geschäftsführerin LP Investment Partners Annette Leidenfrost ist seit über 30 Jahren in der Immobilienbranche tätig. Ihre zentralen Themen sind Vermögensaufbau mit Immobilien und Beteiligungen, Investmentstrategien u.v.m. Im Anschluss freuen wir uns, mit Ihnen den Abend mit einem Glas Wein ausklingen zu lassen. Bitte teilen Sie uns bis zum 05.11.2024 mit, ob Sie an der Veranstaltung teilnehmen möchten. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung an folgende E-Mail-Adresse: immobilien@pelkapartner.de
von Anika Brunk, Sylke Meier & Di Wu 21. Oktober 2024
Die Einführung der elektronischen Rechnungen (im Folgenden auch „E-Rechnung“ genannt) für alle B2B-Umsätze wird ab dem kommenden Jahr von Relevanz sein. Ein im Inland ansässiger Unternehmer wird verpflichtet, für im Inland steuerbare Leistungen (die nicht nach § 4 Nr. 8 bis 29 UStG steuerbefreit sind) eine E-Rechnung auszustellen, wenn auch der Rechnungsempfänger im Inland ansässig ist (§ 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UStG-E). Aufbauend auf unserem Beitrag aus März dieses Jahres möchten wir Ihnen in diesem Artikel einen Überblick über die geplanten Änderungen geben. I. Gesetzlicher Zeitplan Ab 01.01.2025: Einführung der E-Rechnung als Standardformat bei inländischen B2B-Umsätzen. Jedes Unternehmen muss (vorbehaltlich der nachfolgenden Übergangsregelungen) B2B-E-Rechnungen versenden. Technische Voraussetzungen für den E-Rechnungsempfang müssen sichergestellt sein. Bis 01.01.2027: Papierrechnungen und, mit Zustimmung des Rechnungsempfängers, andere sonstige Rechnungen (z.B. PDF, EDI-Rechnungen) dürfen unabhängig vom Unternehmensumsatz noch versendet werden. Bis 01.01.2028: Papierrechnungen und, mit Zustimmung des Rechnungsempfängers, andere sonstige Rechnungen (z.B. PDF, EDI-Rechnungen) dürfen nur noch von Unternehmen mit einem Vorjahresumsatz von ≤ 800 T€ versendet werden. A b 01.01.2028: E-Rechnungspflicht für alle inländischen B2B-Umsätze. EDI-Systeme müssen an gesetzliche Bestimmungen angepasst sein. II. Empfang von E-Rechnungen (ab 01.01.2025) Einrichtung des E-Rechnungseingangs: Legen Sie eine zentrale E-Mail-Adresse an, über die Rechnungen empfangen werden sollen. Dies gilt bspw. auch für Kleinunternehmer und im Rahmen der Wohnungsvermietung. Informieren Sie Ihre Vertragspartner über diese neue Rechnungsadresse und die Umstellung auf den E-Rechnungsempfang. Erteilen Sie ggf. Ihre Einwilligung, sonstige Rechnungen bis zum Ablauf der Übergangsregelungen zu empfangen. Überprüfen Sie, dass keine Rechnungen im Spam-Ordner landen. Praxisempfehlung: Das automatisierte Einlesen der Rechnungsdaten von E-Rechnungen in das Buchführungssystem sollte eingerichtet werden. Bei der Verarbeitung der empfangenen E-Rechnungen in DATEV unterstützen wir Sie gern! III. Erstellen von E-Rechnungen (spätestens ab 01.01.2027/01.01.2028) Vorbereitung der E-Rechnungsstellung: Holen Sie bei allen Kunden die E-Mail-Rechnungsadressen ein und hinterlegen Sie diese in den Debitorenstammdaten. Holen Sie die Zustimmung Ihrer Kunden für den Versand von PDF-Rechnungen ein, sofern Sie diese im Rahmen der Übergangsregelung noch nutzen werden. Stellen Sie sicher, dass Ihr Fakturierungsprogramm E-Rechnungen generieren kann. Bei DATEV unterstützen wir Sie gern! Praxisempfehlung: Denken Sie auch bei Dauerrechnungen an die künftige E-Rechnungspflicht! Bei der Umsetzung des Themas begleiten wir Sie gerne. Füllen hierzu unser Kontaktformular aus oder rufen Sie uns an .
von Dr. Pia Voß 16. Oktober 2024
Die steuerlichen Anforderungen an inkongruente Gewinnausschüttungen bei GmbHs wurden lange Zeit in der Rechtsprechung und Finanzverwaltung kontrovers diskutiert. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs brachte in den Jahren 2021 (BFH v. 28.09.2021, VIII R 25/19, BFH/NV 2022, 267) und 2022 (BFH v. 28.09.2022, VIII R 20/20, BFH/NV 2023, 196) weitestgehend Licht ins Dunkel. Die Finanzverwaltung äußerte sich bisher nicht zu der geänderten Rechtsprechung. Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit wird nunmehr erfreulicherweise mit dem aktuellen BMF-Schreiben vom 04.09.2024 (DB 2024, 2320), in welchem sich die Finanzverwaltung dem BFH anschließt, weitestgehend beseitigt. I. Inkongruente Gewinnausschüttungen Inkongruente Gewinnausschüttungen erfolgen aufgrund einer Entscheidung über die Gewinnverwendung. Die diesbezüglichen Gestaltungsmöglichkeiten sind vielseitig und die hierzu erforderlichen Entscheidungen finden auf mehreren Ebenen statt: Nach der Ermittlung des Bilanzgewinns entscheiden die Gesellschafter über die Gewinnverwendung, also darüber, ob bzw. inwieweit das Ergebnis des vergangenen Geschäftsjahres im Unternehmen verbleiben (Thesaurierung) oder an die Gesellschafter ausgezahlt werden (Ausschüttung) soll (§ 29 Abs. 2 GmbHG). Hiervon abzugrenzen ist die Entscheidung über die Gewinnverteilung, also darüber, ob der auszuschüttende Gewinn den Gesellschaftern entsprechend ihrer Geschäftsanteile zusteht oder ob er anteilsabweichend verteilt wird (§ 29 Abs. 3 GmbHG). Gewinnverwendung und Gewinnverteilung sind jedoch bisweilen nicht klar voneinander trennbar, sondern greifen häufig ineinander. So kann beispielsweise beschlossen werden, dass der auf einen Gesellschafter entsprechend seines Geschäftsanteils entfallende Gewinnanteil ausgeschüttet wird und zeitgleich der auf den anderen Gesellschafter entfallende Gewinnanteil thesauriert wird. Bei der Gewinnverwendung kann dementsprechend auf der ersten Ebene der Gewinn in Thesaurierung und Ausschüttung aufgeteilt werden. Diese Aufteilung kann als inkongruente Gewinnverwendung bzw. -ausschüttung ausgestaltet werden. Diese dient regelmäßig der Innen- bzw. Selbstfinanzierung der Gesellschaft oder kann beispielsweise dazu verwendet werden Sondersituationen zwischen Minder- und Mehrheitsgesellschafter dergestalt abzubilden, dass an den Minderheitsgesellschafter überproportional ausgeschüttet wird während der Anteil des Mehrheitsgesellschafters überproportional thesauriert wird. Die diesbezügliche Ungleichbehandlung der Gesellschafter kann auch als lediglich zeitlich disquotale Gewinnverwendung bzw. -ausschüttung erfolgen. Gemeint ist hiermit, dass die zunächst nicht ausgeschütteten Gewinnanteile in eine personenbezogene Gewinnrücklage eingestellt werden und später an diesen Gesellschafter ausgeschüttet werden (können). Die inkongruente Gewinnverwendung ist gesellschaftsrechtlich zulässig (§ 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG). Einerseits kann die Möglichkeit der inkongruenten Gewinnausschüttung ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag geregelt werden (§ 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG). Andererseits kann eine sog. Öffnungsklausel im Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden: Danach kann die Gesellschafterversammlung dazu ermächtigt werden, jährlich durch Mehrheitsentscheidung eine abweichende Gewinnverteilung zu beschließen. Darüber hinaus kann bei der Gewinnverteilung auf der zweiten Ebene ebenfalls von dem Grundsatz der Verteilung nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile abgewichen werden, sog. inkongruente Gewinnverteilung (§ 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG). Danach kann einem einzelnen Gesellschafter ein höherer Gewinnanteil als ihm eigentlich zustehen würde, zugesprochen und ausgeschüttet werden. II. Bisherige Rechtsunsicherheit bei inkongruenten Gewinnausschüttungen Die Besteuerung der Gewinne einer GmbH erfolgt auf zwei Ebenen, und zwar auf der Ebene der GmbH (Ebene 1) und auf der Ebene der Gesellschafter (Ebene 2). Auf der ersten Ebene unterliegt der Gewinn bei der GmbH der Besteuerung mit Körperschaft- und Gewerbesteuer. Auf der zweiten Ebene erfolgt bei tatsächlicher Gewinnausschüttung eine Besteuerung als Kapitaleinkünfte (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) auf Ebene der Gesellschafter. Sofern die Auskehrung an die Gesellschafter im Rahmen einer inkongruenten Gewinnausschüttung erfolgt, wurde die ertragsteuerliche Behandlung dieser im Laufe der Jahre kontinuierlich präzisiert. Vor Veröffentlichung des aktuellen BMF-Schreibens vom 04.09.2024 (DB 2024, 2320), war der Meinungsstand wie folgt: 1. Auffassung der Finanzverwaltung Die Finanzverwaltung erkannte die inkongruente Gewinnausschüttung nach dem bisher geltenden BMF Schreiben vom 17.12.2013 (BStBl. I 2014, 63) immer dann steuerlich an, wenn die abweichende Gewinnverteilung zivilrechtlich wirksam vereinbart wurde. Dies war nach Auffassung der Finanzverwaltung der Fall, wenn der Gesellschaftsvertrag inkongruente Gewinnausschüttungen explizit regelt (§ 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG), die inkongruente Gewinnausschüttung mit nachträglicher Satzungsänderung unter Zustimmung aller Gesellschafter erfolgt (§ 53 Abs. 3 GmbHG) oder der Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Öffnungsklausel enthält, nach der mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter oder einstimmig eine inkongruente Gewinnausschüttung beschlossen werden kann. Hinzukommt, dass bisher Unklarheit herrschte inwieweit die Finanzverwaltung inkongruente Gewinnverwendungen steuerlich anerkennt. Zu diesem Thema schwieg das BMF-Schreiben aus 2013. Die Finanzverwaltung wies in dem bisherigen BMF-Schreiben aus 2013 hinsichtlich inkongruenter Gewinnausschüttungen zudem explizit auf die Regelungen zum Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO hin. Kein Missbrauch sollte immer dann vorliegen, wenn für die inkongruente Gewinnausschüttung „beachtliche wirtschaftlich vernünftige außersteuerliche Gründe nachgewiesen werden“. 2. Stand der BFH-Rechtsprechung Der BFH hatte über die vom Finanzamt bisher steuerlich anerkannten Fälle inkongruenter Gewinnausschüttungen in seiner Rechtsprechung vom 28.09.2021 (BFH, VIII R 25/19, BFH/NV 2022, 267; s. hierzu auch Rechtstipp Nr. 233 04/2022) und vom 28.09.2022 (BFH VIII R 20/20, BFH/NV 2023, 196) noch die folgenden Fälle steuerlich anerkannt: Die gesellschaftsrechtlich zulässige inkongruente Gewinnverwendung ist grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen (BFH v. 28.09.2021, VIII R 25/19, BFH/NV 2022, 267). Zudem sind inkongruente Vorabausschüttungen, welche durch punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse erfolgen, steuerlich anzuerkennen, sofern der zivilrechtlich wirksame Ausschüttungsbeschluss nur punktuell, nicht aber für die Zukunft satzungsdurchbrechend ist. Dahingegen sind satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung steuerlich nicht anzuerkennen, sofern nicht alle Voraussetzungen für eine Satzungsänderung erfüllt werden (BFH v. 28.09.2022, VIII R 20/20, BFH/NV 2023, 196). Einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO durch inkongruente Gewinnausschüttungen hält der BFH grundsätzlich nicht für ausgeschlossen. Aufgrund der Tatsache, dass verdeckte Gewinnausschüttungen regelmäßig wirtschaftlich betrachtet inkongruente Gewinnausschüttungen darstellen, sieht der BFH hier jedoch nur einen geringen Anwendungsbereich (BFH v. 28.09.2022, VIII R 20/20, BFH/NV 2023, 196). III. Das neue BMF-Schreiben vom 04.09.2024 Die Finanzverwaltung hatte sich bisher zu den vorgenannten Änderungen in der Rechtsprechung nicht geäußert. Im Ergebnis bestand daher seit der neuen BFH-Rechtsprechung aus den Jahren 2021 und 2022 hinsichtlich inkongruenter Gewinnausschüttungen Rechtsunsicherheit. Diese wird nunmehr durch das neue BMF-Schreiben vom 04.09.2024 (DB 2024, 2320) weitestgehend behoben: Mit dem neuen BMF-Schreiben folgt die Finanzverwaltung der neueren BFH-Rechtsprechung und weitet den Anwendungsbereich für steuerliche anerkannte inkongruente Gewinnausschüttungen aus. Nach neuer Auffassung der Finanzverwaltung liegt eine zivilrechtlich wirksame und somit steuerlich anzuerkennende inkongruente Gewinnausschüttung vor, wenn der Gesellschaftsvertrag inkongruente Gewinnausschüttungen explizit regelt (§ 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) oder eine solche Regelung mittels nachträglicher Satzungsänderung unter Zustimmung aller nachteilig betroffenen Gesellschafter erfolgt, der Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Öffnungsklausel enthält, nach der mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter und ggf. mit einer im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Mehrheit eine inkongruente Gewinnverteilung beschlossen werden kann, ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss gefasst wird, den kein Gesellschafter mehr anfechten kann, oder zivilrechtlich wirksam eine inkongruente Gewinnverwendung, bei welcher der nicht ausgeschüttete Gewinn in eine gesellschafterbezogene Rücklage eingestellt wird, beschlossen wird. Die Ausführungen zum Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO sind in dem neuen BMF-Schreiben nicht mehr enthalten. Es lässt sich somit vermuten, dass die Finanzverwaltung den Anwendungsbereich für § 42 AO bei inkongruenten Gewinnausschüttungen nunmehr als so gering ansieht, dass sie hierauf nicht mehr separat eingeht. Im Ergebnis führt das BMF-Schreiben für den Rechtsanwender zu dem erfreulichen Ergebnis, dass nunmehr aufgrund des weitestgehend Gleichklangs der Auffassungen von Finanzverwaltung und BFH bei der Vornahme inkongruenter Gewinnausschüttungen mehr Rechtssicherheit besteht. Einziger Wermutstropfen ist, dass das neue BMF-Schreiben primär auf inkongruente Vorabausschüttungen eingeht. Dies scheint aber daher zu rühren, dass dem BFH-Urteil vom 28.09.2022 (BFH, VIII R 20/20, BFH/NV 2023, 196) ein Sachverhalt mit einer inkongruenten Vorabausschütttung zugrunde liegt. Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, dass das neue BMF-Schreiben auf inkongruente Gewinnausschüttungen, die nicht vorab geschehen, keine Anwendung finden soll. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
10. Oktober 2024
Pelka hat erneut eine in Österreich ansässige Privatstiftung erfolgreich bei einem Kapitalertragsteuer-Freistellungsverfahren beim BZSt vertreten. Die Mandantin von Pelka hält wesentliche Anteile an einer deutschen Aktiengesellschaft und bezieht regelmäßig von ihr Dividenden. Aufgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie sind unter bestimmten Voraussetzungen Kapitalerträge einer inländischen Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen Mitgliedstaat der EU ansässige Muttergesellschaft von der Kapitalertragsteuer befreit. Verfahrensrechtlich wird die Entlastung entweder durch das Freistellungsverfahren – ein in die Zukunft gerichtetes Verfahren – oder durch das Erstattungsverfahren verwirklicht, bei dem die in der Vergangenheit zu viel gezahlte Kapitalertragsteuer erstattet wird. Die Mandantin von Pelka hat ein Freistellungsverfahren bei der zuständigen Behörde angestrengt, das seit dem 1.1.2023 grundsätzlich nur noch elektronisch über das BZSt-Online-Portal (BOP) durchgeführt wird. Inhaltlich standen im Zentrum des Verfahrens unter anderem die Fragen, ob eine ausländische Stiftung einen Entlastungsanspruch mit Blick auf die in Deutschland einbehaltene Kapitalertragsteuer hat und ob dieser durch § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG (a.F.) bzw. § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des AbzStEntModG (n.F.) eingeschränkt werden kann. Von der Antragstellung über das (Untätigkeits-)Einspruchsverfahren bis hin zum erfolgreichen Abschluss des Freistellungsverfahrens hat Pelka ihre Mandantin begleitet. Pelka konnte für ihre Mandantin erfolgreich den Entlastungsanspruch gegenüber dem BZSt durch die Erbringung des Gegenbeweises durchsetzen und begründen, dass keiner der Hauptzwecke der gewählten Struktur der Verschaffung eines Steuervorteils diente. Tätig in diesem Verfahren sind Dr. Sebastian Geringhoff, LL.M. (International Taxation, NYU) (Partner) sowie Di Wu (Associate).
von Tobias Kromm 10. Oktober 2024
Erkrankt ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig, ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, das Arbeitsentgelt weiterhin an den Arbeitnehmer zu zahlen. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall steht dem Arbeitnehmer jedoch nur zu, wenn er tatsächlich arbeitsunfähig ist. Gelingt es dem Arbeitnehmer nicht, seine Arbeitsunfähigkeit glaubhaft darzulegen, kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern. Bereits gezahlte Beträge können zurückverlangt werden. Der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) wird ein hoher Beweiswert beigemessen, der jedoch durch verschiedene Indizien erschüttert werden kann. Meldet sich ein Arbeitnehmer beispielsweise unmittelbar nach einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses passgenau bis zum Ende der Kündigungsfrist krank, kann der Arbeitgeber regelmäßig berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit anmelden. Unter welchen Voraussetzungen die Pflicht des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung trotz Vorlage einer AUB entfallen kann und welche Beweislastregeln dabei vor den Arbeitsgerichten gelten, zeigt ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (Sa 1266/23) vom 5. Juli 2024. I. Sachverhalt Der Kläger war bei der Beklagten als Produktionsleiter angestellt. Die Beklagte sprach dem Kläger am 26.Oktober mündlich –und somit zunächst formell unwirksam – die Kündigung aus. Am folgenden Tag meldete sich der Arbeitnehmer krank und legte eine AUB für die Zeit bis zum 10. November vor. Mit Schreiben vom 28.Oktober, welches dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Anstellungsverhältnis ordentlich zum 30. November. Am 9. November. reichte der Arbeitnehmer eine Folgebescheinigung über seine Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. November ein. In diesem Zeitraum nahm der Kläger am 12. November aktiv als Spieler an einem Handballspiel teil. Eine Woche später, am 19. November folgte eine weitere aktive Teilnahme an einem Handballspiel, dieses Mal als Schiedsrichter. Die Beklagte erlangte Kenntnis von diesen Aktivitäten. Gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses wehrte sich der Kläger im Wege der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Cottbus (Urteil vom 16. November 2023 – 1 Ca 1125/22). In dem Prozess machte die Beklagte widerklagend die Rückzahlung der für Oktober und November geleisteten Entgeltfortzahlung geltend. Das Arbeitsgericht hielt jedoch den Beweiswert der AUB für nicht erschüttert und die Arbeitsunfähigkeit des Klägers somit für erwiesen. Daher wies das Gericht die Widerklage ab. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht teilte die Auffassung der Beklagten (und Berufungsklägerin) und verurteilte den Kläger (und Berufungsbeklagten) zur Rückzahlung der Entgeltfortzahlung. Die 12. Kammer hielt den Beweiswert der Atteste durch den Vortrag der Beklagten für erschüttert. Der Kläger hätte das Gericht daher davon überzeugen müssen, dass er tatsächlich nicht arbeitsfähig war. Zu den Einzelheiten seiner Erkrankung trug der Kläger jedoch nicht vor, sodass die Behauptung der Beklagten, der Kläger sei unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben, für das Gericht als zugestanden galt. II. Regeln der Darlegungs- und Beweislast bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Nach dem allgemeinen Grundsatz der Darlegungs- und Beweislastregeln hat jede Partei die für sie günstigen Tatsachen zu beweisen. Abweichend davon kann auch die jeweils gegnerische Partei verpflichtet sein, zu bestimmten Tatsachen vorzutragen. Diese sekundäre Darlegungs- und Beweislast greift ein, wenn die beweisbelastete Partei auf für sie nur schwer zugängliche Informationen angewiesen ist, über die nur der Prozessgegner verfügt. Im Zusammenhang mit Streitigkeiten über die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers ist dies häufig der Fall. Denn es ist diesen Sachverhalten immanent, dass der Arbeitgeber in aller Regel selbst weder beurteilen noch beweisen kann, ob der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt ist oder nicht. Die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt in der Regel als Beleg für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, da ihr aufgrund von § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG ein hoher Beweiswert zugesprochen wird. Zweifelt der Arbeitgeber dennoch an der Arbeitsunfähigkeit, muss er konkrete Umstände darlegen, auf denen diese Zweifel beruhen, um den Beweiswert zu erschüttern. Der Arbeitnehmer ist dann verpflichtet genau zu erläutern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorlagen und wie diese seine Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt haben. Er muss für den gesamten Zeitraum der Entgeltfortzahlung konkret schildern, welche physischen oder psychischen Einschränkungen bestanden. Fehlen diese Angaben oder bleibt der Arbeitnehmer zu vage, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei nicht krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen, als zugestanden. Dann fehlt es am Rechtsgrund für die Entgeltfortzahlung, sodass der Arbeitgeber die Beträge zurückfordern kann. III. Indizien zur Erschütterung des Beweiswertes Unterschiedliche Indizien sind dazu geeignet, den Beweiswert einer AUB zu erschüttern. In dem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg wurden die passgenauen Krankschreibungen bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, die Missachtung der Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses sowie beobachtete Freizeit- oder Sportaktivitäten des Arbeitnehmers von der Beklagten vorgetragen. 1. Passgenaue Krankschreibung Ein häufiges Indiz für die Erschütterung des Beweiswertes ist eine Krankschreibung, die den genauen Zeitraum der Kündigungsfrist abdeckt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Kündigung vom Arbeitnehmer oder Arbeitgeber ausgesprochen wurde. Eine passgenaue AUB erweckt den Verdacht, dass die Bescheinigung strategisch zur Vermeidung von Arbeitspflichten ausgestellt wurde. Ein solches Muster stellt ein starkes Indiz gegen die tatsächliche Arbeitsunfähigkeit dar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Zeitraum von nur einer AUB oder durch mehrere Bescheinigungen abgedeckt wird. 2. Missachtung der AU-Richtlinie Auch die Missachtung der AU-Richtlinie kann Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen. Insbesondere soll die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden (vgl. § 5 Abs. 4 AU-RL). Wird eine AUB für einen längeren Zeitraum ausgestellt, obwohl die Richtlinie maximal 2 Wochen vorsieht, kann dies den Beweiswert des Attests erheblich mindern und Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Bescheinigung begründen. Diese Folge gilt auch für andere Vorgaben der AU-RL. So sieht § 5 Abs. 1 S. 4 der AU-RL vor, dass attestierte Symptome (z.B. Fieber, Übelkeit) nach spätestens sieben Tagen durch eine Diagnose oder Verdachtsdiagnose ersetzt werden müssen. 3. Freizeit- oder Sportaktivitäten Auch beobachtete Freizeit- oder Sportaktivitäten können den Beweiswert eines Attests in Frage stellen, wobei hier die Umstände des Einzelfalls besonders zu berücksichtigen sind. Grundsätzlich begründen solche Aktivitäten allein noch keine erschütternden Zweifel, insbesondere bei moderater Freizeitgestaltung. Anders ist dies jedoch, wenn der Arbeitnehmer wettkampfmäßig Sport betreibt, der eine robuste körperliche Verfassung voraussetzt, was mit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit nicht vereinbar scheint. In solchen Fällen muss der Arbeitnehmer darlegen, warum seine Aktivitäten trotz attestierter Arbeitsunfähigkeit gerechtfertigt sein sollen. IV. Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg Das LAG entschied bei seinem aktuellen Urteil, dass der Kläger seiner Darlegungspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist. Das Urteil fiel daher zugunsten der Beklagten aus. Das beklagte Unternehmen hatte verschiedene Tatsachen vorgetragen, die aus Sicht des LAG Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers begründeten. In der Gesamtbetrachtung hielt das Gericht daher den Beweiswert der vom Kläger vorgelegten AUBs für erschüttert. Dadurch lag die volle Beweislast beim Kläger, der sich zu den Umständen seiner Erkrankung nicht geäußert hat. Der Kläger legte zwei AUBs vor, die den Zeitraum zwischen seiner Kenntnis von der Kündigung am 26. Oktober und dem letzten Tag der Kündigungsfrist am 30. November exakt abdeckten („passgenau“). Zudem wurde die Folgebescheinigung für 20 Tage ausgestellt und überschritt somit den von der AU-RL vorgesehenen Zeitraum von 14 Tagen um sieben weitere Tage. Schließlich wurde der Kläger zweimal bei körperlich fordernden Freizeitaktivitäten gesehen, deren Vereinbarkeit mit seiner Erkrankung er hätte darlegen müssen. Insbesondere durch das kumulative Vorliegen mehrerer Indizien konnte die Beklagte das Gericht von den erheblichen Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers überzeugen und den Beweiswert der vorgelegten AUBs somit erschüttern. V. Fazit Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Juli 2024 verdeutlicht, dass die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall an strenge Darlegungs- und Beweislastregeln geknüpft ist. Allein die Vorlage einer AUB reicht bei begründeten und konkreten Zweifeln nicht aus, die Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. Arbeitnehmer müssen die Einzelheiten der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nicht gegenüber ihrem Arbeitgeber offenlegen. Der hohe Beweiswert der AUB führt jedoch nicht dazu, dass der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung in jedem Fall gewähren muss. Ergeben sich berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, muss der Arbeitnehmer unter Umständen detailliert seine psychische oder physische Erkrankung vor Gericht darlegen. Da der Arbeitgeber keine Möglichkeit hat, selbst die Arbeitsunfähigkeit festzustellen, ist es angemessen, den Arbeitnehmer dabei in die Pflicht zu nehmen. Denn durch den Anspruch auf Entgeltfortzahlung für einen Zeitraum von bis zu sechs Wochen wird dem Arbeitnehmer ermöglicht, im Krankheitsfall der Arbeit fernzubleiben, ohne in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Da durch die Entgeltfortzahlung und den Ausfall des Arbeitnehmers erhebliche Kosten entstehen können, muss der Arbeitgeber vor der unberechtigten Inanspruchnahme geschützt werden. Das Urteil zeigt erneut, dass die Geltendmachung von konkreten Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit auch dann nicht aussichtslos ist, wenn sie ärztlich bescheinigt wurde. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte empfiehlt es sich, dass alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber einen entsprechenden internen Prozess festlegen und nachhaltig verfolgen, damit sich „Blaumachen“ nicht als unternehmensinterner Volkssport etabliert. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
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