Grunderwerbsteuerreform: Verschärfung der Besteuerung bei share deals ab 01.07.2021

 I. Einleitung
 
Obwohl das Grunderwerbsteueraufkommen in Deutschland sich in den vergangenen 10 Jahren mehr als verdreifacht hat[!] – 2010 waren es noch € 5,3 Mrd. gegenüber € 16,1 Mrd. in 2020 – hielt es der Gesetzgeber für erforderlich, die Besteuerung von gesellschaftsrechtlichen Erwerbsstrukturen im Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) massiv zu verschärfen. Zielsetzung ist es, insbesondere vermeintlich missbräuchliche Gestaltungen zurückzudrängen und aus Sicht der Finanzverwaltung bestehende Besteuerungslücken bei der Grunderwerbsteuer zu schließen. Man hatte insbesondere Gestaltungen der Immobilienbranche im Auge, bei denen es zahlreiche Modelle gab und gibt, um Immobilientransaktionen im Kleide des Gesellschaftsrechts ohne oder mit nur marginaler Auslösung von Grunderwerbsteuer zu realisieren, wenn man nur über einen Zeitraum von fünf Jahren gestreckt die Immobiliengesellschaft übertragen bzw. erworben hat. 

Bei Kapitalgesellschaften mit Grundbesitz war zur Vermeidung von Grunderwerbsteuer sogar schon ausreichend, wenn man die Anteile der Immobiliengesellschaft so auf zwei nicht konzernrechtlich miteinander verbundene Erwerber übertragen hat, dass keiner von beiden 95 % der Anteile alleine erworben hat.

Derartige Gestaltungen mit (unmittelbar oder mittelbar) Grundbesitz haltenden Gesellschaften (share deals) waren der Finanzverwaltung schon seit Jahren ein Dorn im Auge und bereits 2016 gab es einen ersten Anlauf, die Bestimmungen des GrEStG in dieser Hinsicht zu ändern. Ein erster Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 31.07.2019 war trotz bereits erfolgter erster Lesung im Bundestag und erstmaliger Befassung des Bundesrats im Herbst 2019 „auf Eis gelegt worden“, nachdem man sich nicht auf eine finale Fassung hatte verständigen können. Die Koalitionsfraktionen wollten daraufhin die geplante Reform der Grunderwerbsteuer auf das erste Halbjahr 2020 verschieben und das Reformgesetz sollte im ersten Halbjahr 2020 verabschiedet werden, welches Vorhaben dann aber der COVID-19-Pandemie „zum Opfer fiel“.

Zur Überraschung der Praxis wurde das Reformvorhaben aber von der Bundesregierung im Frühjahr 2021 wieder aufgegriffen, um es doch noch in der laufenden Legislaturperiode umzusetzen. Am 21.04.2021 wurde das Reformgesetz in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag und am 07.05.2021 auch vom Bundesrat verabschiedet. Herausgekommen ist das Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 12.05.2021, das am 01.07.2021 in Kraft tritt (BGBl. I 2021, 986 - im Weiteren auch nur „Reformgesetz“ genannt) und das nachfolgend kritisch gewürdigt werden soll. Daraus ergab sich ggf. dringender Handlungsbedarf – siehe unseren PNHR-Rechtstipp Nr. 223 aus der Juni-Ausgabe.
Betroffen von der Reform sind in erster Linie die grunderwerbsteuerlichen Ersatztatbestände für gesellschaftsrechtliche Transaktionen mit (unmittelbar oder mittelbar) Grundbesitz haltenden Gesellschaften. Der Grunderwerbsteuer unterliegen zwar dem Grunde nach primär Vorgänge, die einen Rechtsträgerwechsel an einem inländischen Grundstück zur Folge haben. Indessen führen auch zahlreiche gesellschaftsrechtliche Transaktionen zur Auslösung von Grunderwerbsteuer, wenn zwar nicht das inländische Grundstück selbst, sondern lediglich Anteile an einer (unmittelbar oder mittelbar) Grundbesitz haltenden Gesellschaft auf einen (neuen) Erwerber übertragen werden; insoweit spricht man gemeinhin von sog. „share deals“. Speziell diese hat die aktuelle Reform im Auge.

II. Bestandsaufnahme der erfassten gesellschaftsrechtlichen Transaktionen nach altem und neuem Recht

Das Grunderwerbsteuergesetz a.F. kennt bisher drei „Ersatzerwerbstatbestände“ für gesellschaftsrechtliche Transaktionen, die bei (unmittelbar oder mittelbar) Immobilien haltenden Gesellschaften ggf. Grunderwerbsteuer auslösen können:
  1. § 1 Abs. 2a GrEStG a.F.: Die Übertragung von mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Personengesellschaft innerhalb von fünf Jahren auf neue Gesellschafter.
  2. § 1 Abs. 3 GrEStG a.F. (subsidiär gegenüber § 1 Abs. 2a GrEStG a.F.): Unmittelbare oder mittelbare Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft (egal ob Personen- oder Kapitalgesellschaft) in der Hand eines Gesellschafters (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG a.F.), oder unmittelbare oder mittelbare Übertragung von mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft an einen (bisherigen oder neuen) Gesellschafter (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 GrEStG a.F.).
  3. § 1 Abs. 3a GrEStG a.F. (subsidiär gegenüber § 1 Abs. 2a und Abs. 3 GrEStG a.F.): Unmittelbare oder mittelbare Erlangung einer wirtschaftlich 95 % oder mehr betragenden Beteiligung an einer grundbesitzenden Gesellschaft, wobei die Beteiligungsquoten durch Multiplikation durchgerechnet werden.
Betrachtet man die Neuregelungen des GrEStG durch das jüngste Reformgesetz unter Einbeziehung der komplexen Übergangsregelungen (§ 23 Abs. 18 bis Abs. 24 GrEStG n.F.), so wird es ab dem Inkrafttreten des Gesetzes am 01.07.2021 sage und schreibe sieben „Ersatzerwerbstatbestände“ für gesellschaftsrechtliche Transaktionen geben, die bei (unmittelbar oder mittelbar) Immobilien haltenden Gesellschaften ggf. Grunderwerbsteuer auslösen können. 

Dieser Befund folgt daraus, dass die vorstehend genannten alten Fassungen der Erwerbstatbestände von § 1 Abs. 2a, 3 und 3a GrEStG a.F. unter bestimmten Voraussetzungen auch nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts am 01.07.2021 weitergelten (vgl. im Einzelnen § 23 Abs. 20 bis 22 GrEStG n.F.), ein gänzlich neuer Erwerbstatbestand, nämlich § 1 Abs. 2b GrEStG n.F. für den Anteilseignerwechsel bei Kapitalgesellschaften hinzugekommen ist und die geänderten Erwerbstatbestände von § 1 Abs. 2a, 3 und 3a GrEStG n.F. als eigenständige zu betrachten sind.

Ab dem 01.07.2021 gelten für § 1 Abs. 2a, 3 und 3a GrEStG n.F. die folgenden Eckwerte:
  1. § 1 Abs. 2a GrEStG n.F.: Die Übertragung von mindestens 90 % der Anteile an einer grundbesitzenden Personengesellschaft innerhalb von zehn Jahren auf neue Gesellschafter.
  2. § 1 Abs. 3 GrEStG n.F. (subsidiär gegenüber § 1 Abs. 2a GrEStG n.F.): Unmittelbare oder mittelbare Vereinigung von mindestens 90 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft (egal ob Personen- oder Kapitalgesellschaft) in der Hand eines Gesellschafters (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG n.F.), oder unmittelbare oder mittelbare Übertragung von mindestens 90 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft an einen (bisherigen oder neuen) Gesellschafter (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 GrEStG n.F.).
  3. § 1 Abs. 3a GrEStG n.F. (subsidiär gegenüber § 1 Abs. 2a und Abs. 3 GrEStG a.F.): Unmittelbare oder mittelbare Erlangung einer wirtschaftlich 95 % oder mehr betragenden Beteiligung an einer grundbesitzenden Gesellschaft, wobei die Beteiligungsquoten durch Multiplikation durchgerechnet werden.
Die Prüfung, ob eine gesellschaftsrechtliche Transaktion mit grundbesitzenden Gesellschaften womöglich Grunderwerbsteuer auslöst, wird also in der Zukunft ganz erheblich aufwändiger und schwieriger werden als bisher. Nicht nur, dass eine Subsidiaritäts-Hierarchie zwischen den Tatbeständen besteht, es ist stets auch zu prüfen, ob die alte oder die neue Fassung der jeweiligen Vorschrift zur Anwendung gelangt:
Primär sind stets die Tatbestände von § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG n.F. zu prüfen (Anteilseignerwechsel auf neue Gesellschafter im Umfang von mindestens 90 % innerhalb von zehn Jahren), die untereinander ohnehin nur alternativ zur Anwendung gelangen können, je nachdem ob es sich um eine Personengesellschaft (§ 1 Abs. 2a GrEStG) oder eine Kapitalgesellschaft (§ 1 Abs. 2b GrEStG) handelt. Die Tatbestände von § 1 Abs. 3 GrEStG n.F. und § 1 Abs. 3a GrEStG n.F. kommen nur zur Anwendung, wenn eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG nicht in Betracht kommt; der Tatbestand von § 1 Abs. 3a GrEStG n.F. kommt nur zur Anwendung, wenn eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a, 2b und 3 GrEStG n.F. nicht in Betracht kommt. 

Zusätzlich ist jeweils anhand der Übergangsvorschriften von § 23 Abs. 18 bis 24 GrEStG n.F. zu prüfen, ob ggf. die bisherige, bis zum 30. Juni 2021 geltende Fassung der jeweiligen Vorschrift zur Anwendung gelangt. Hierbei ist für § 1 Abs. 2a GrEStG die Bestimmung von § 23 Abs. 20 GrEStG n.F. maßgeblich, für § 1 Abs. 3 GrEStG die Bestimmung von § 23 Abs. 21 GrEStG n.F. und für § 1 Abs. 3a GrEStG die Bestimmung von § 23 Abs. 22 GrEStG n.F. In allen drei vorgenannten Abs. 20 bis 22 von § 23 GrEStG n.F. findet sich jeweils die Anordnung, dass die Übergangsregelung und damit die alte Fassung des jeweiligen Ersatzerwerbstatbestands nur dann gilt, wenn der betreffende Rechtsvorgang nicht nach § 1 Abs. 1, 2, 2a, 3 oder Abs. 3a GrEStG n.F. steuerbar ist. Auf die Einzelheiten der Übergangsbestimmungen einzugehen würde den Rahmen dieses Beitrages bei weitem sprengen, zumal diese z.T. sehr kompliziert formuliert sind und zahlreiche Rück- und Querverweise enthalten.

Wesentliche Verschärfungen stellen die Senkung der maßgeblichen Anteilsquoten von 95 % auf 90 % dar sowie die Verlängerung der Beobachtungszeiträume von 5 auf 10 Jahre. Zur Veranschaulichung der Komplexität der neuen Bestimmungen mag der folgende Beispielsfall nach neuem (und altem) Recht zu einer GmbH & Co. KG mit Grundbesitz dienen:

III. Beispielsfall

Der Kommanditist K war bis zum Verkauf eines Anteils von 94,9 % an den Erwerber E alleiniger Kommanditist der K-GmbH & Co. KG (grundbesitzend) und alleiniger Gesellschafter deren Komplementär-GmbH, die jedoch am Vermögen der GmbH & Co. KG nicht beteiligt war. Die Veräußerung des 94,9 % Anteils an der KG und des 100 % Anteils an der Komplementär-GmbH sei

a) am 30.04.2016 oder 
b) am 30.04.2017 

erfolgt. E plant den restlichen 5,1 % Kommanditanteil des K an der K-GmbH & Co. KG nach Ablauf von fünf Jahren zu übernehmen und verfügt zur Absicherung dieses Anteilserwerbs über eine Call-Option auf den Anteil, die im Fall a) erstmals am 01.07.2021 und im Fall b) erstmals am 01.07.2022 ausübbar ist. Erwirbt E (etwa durch Ausübung der Option) nach dem 01.07.2021 (Inkrafttreten des neuen Rechts), z.B. in Fall a) am 15.07.2021 bzw. in Fall b) am 15.07.2022, den verbliebenen Anteil des K und erlangt er so 100 % der Kommanditanteile an der K GmbH & Co. KG, so ist dieser Vorgang grunderwerbsteuerlich wie folgt zu würdigen:

1. Fall a) 

Der Erwerb der 5,1 % durch E könnte zur Auslösung von Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. führen, da E innerhalb des nunmehr relevanten Zeitraums von zehn Jahren (rückblickende Betrachtung) unter Einbezug des Erwerbs vom 30.04.2016 insgesamt 100 % der Anteile an der K GmbH & Co. KG erworben hat. Das neue Recht ist nur auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem 30.06.2021 verwirklicht wurden, § 23 Abs. 18 GrEStG n.F. Es stellt sich also die Frage, ob der Erwerb des E vom 30.04.2016 in die Betrachtung zu § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. einzubeziehen ist. Ist dies der Fall, sind die Voraussetzungen von § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. erfüllt und der Vorgang löst GrESt aus. 

Ob der Erwerb vom 30.04.2016 mit in die Betrachtung einzubeziehen ist, ergibt sich aus § 23 Abs. 19 Satz 1 GrEStG. Dort heißt es, dass bei der Anwendung des § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. Übergänge von Anteilen am Gesellschaftsvermögen auf Gesellschafter unberücksichtigt bleiben, die mit Ablauf des 30. Juni 2021 keine neuen Gesellschafter im Sinne des § 1 Abs. 2a GrEStG a.F. mehr sind. M.a.W.: Da E mit Ablauf des 30.04.2021 seit mehr als fünf Jahren Gesellschafter der K-GmbH & Co. KG war, ist er im Sinne der genannten Vorschrift kein neuer Gesellschafter mehr, sondern Altgesellschafter. 

Der Erwerbsvorgang vom 30.04.2016 bleibt also bei der Anwendung von § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. außer Betracht und wird nicht mehr als Zählerwerb berücksichtigt. E ist mithin auch im Hinblick auf die Anwendung von § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. als Altgesellschafter anzusehen und die Transaktion vom 30.04.2016 bleibt für die Anwendung von § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. außer Betracht, so dass aufgrund dieser Bestimmung keine Grunderwerbsteuer ausgelöst wird.

Obwohl die Bestimmung von § 1 Abs. 2a GrEStG a.F. gemäß § 23 Abs. 20 GrEStG n.F. noch bis zum 30.06.2026 weitergilt, führt der Erwerb des E am 15.07.2021 (z.B. durch Ausübung der Call-Option) dennoch nicht zur Erfüllung der Voraussetzungen von § 1 Abs. 2a GrEStG a.F., da er außerhalb des – nach altem Recht fünf Jahre betragenden – Beobachtungszeitraums stattfindet.

Der Erwerb des E am 15.07.2021 führt allerdings zu einem neuen Zählerwerb i.H.v. 5,1 %, der für einen (neuen) Beobachtungszeitraum von 10 Jahren künftig berücksichtigt wird, obwohl E eigentlich schon als Altgesellschafter i.S.v. § 1 Abs. 2a GrEStG a.F. qualifiziert war. Dieser nicht unumstrittene Ansatz ergibt sich aus dem Wortlaut von § 23 Abs. 19 Satz 1 GrEStG, der gerade nicht die Qualität als Altgesellschafter i.S.v. § 1 Abs. 2a GrEStG a.F. ins neue Recht perpetuiert, sondern lediglich anordnet, dass der am 30.06.2021 schon länger als fünf Jahre zurückliegende Erwerb von Anteilen nicht als Zählerwerb für die Anwendung von § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. heranzuziehen ist. Nach dem 30.06.2021 erfolgende Anteilserwerbe sind daher wie dargelegt als Erwerbe innerhalb eines neuen Beobachtungszeitraums gemäß § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. (zehn Jahre) zu berücksichtigen.

Damit ist der Fall a) aber grunderwerbsteuerlich noch nicht zu Ende, denn der Erwerb der restlichen 5,1 % der Anteile an der K GmbH & Co. KG durch E könnte, nachdem die vorrangige Bestimmung von § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. nicht erfüllt ist und damit im Rechtsinne „nicht in Betracht kommt“, zu einer Anteilsvereinigung von 100 % der Anteile an der K-GmbH & Co. KG in seiner Hand gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG n.F. führen (da E auch 100 % der Anteile an der Komplementär-GmbH hält insoweit unstreitig). 
Mit dem Erwerb der weiteren 5,1 % am 15.07.2021 sind erstmals die Voraussetzungen von § 1 Abs. 3 GrEStG n.F. erfüllt, was bis dahin noch nicht der Fall war, da bis zum 30.06.2021 bekanntlich noch die Grenze von 95 % gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG a.F. galt, die erst jetzt durch den Erwerb aufgrund der Optionsausübung gerissen würde. Die Anteilsvereinigung in der Hand des E führt nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 13 Nr. 7 GrEStG zum (fiktiven) Erwerb des Grundstücks der K-GmbH & Co. KG durch den E. Fraglich ist jedoch, ob dieser fiktive Erwerb in voller Höhe zur Auslösung von GrESt führt oder ggf. nur quotal in Höhe des zuletzt von E erworbenen Anteils zu besteuern ist. 

Es könnte ein Fall von § 6 Abs. 2 GrEStG gegeben sein (Erwerb eines Grundstücks von einer Gesamthand durch einen Gesamthänder), so dass nur in Höhe des nunmehr erworbenen Anteils GrESt ausgelöst wird. Auch die Bestimmung von § 6 GrEStG wurde allerdings durch das Reformgesetz geändert und die in § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG n.F. (Anwendungsvoraussetzung für § 6 Abs. 1 bis 3 GrEStG) vorgesehene Vorbehaltensfrist von bisher 5 auf nunmehr 10 Jahre verlängert. In den Fällen von § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 und § 1 Abs. 3a GrEStG n.F. wurde die Vorbehaltensfrist sogar auf 15 Jahre[!] neu festgeschrieben. 
Diese Vorbehaltensfrist sie ist rückblickend vom Zeitpunkt des letzten Erwerbs anzuwenden wäre in der Person des E vorliegend erkennbar nicht erfüllt, da er seine 94,9 % Beteiligung erst am 30.04.2016 erworben hatte. Die nach neuem Rechte vorausgesetzte Vorbehaltensfrist von 15 Jahren wäre also gerissen und § 6 Abs. 2 GrEStG damit nicht anwendbar. Allerdings helfen auch an dieser Stelle die Übergangsbestimmungen. § 23 Abs. 24 GrEStG n.F. ordnet insoweit ausdrücklich an:

„§ 5 Absatz 3, § 6 Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 und § 7 Absatz 3 GrEStG n.F. sind nicht anzuwenden, wenn die in § 5 Absatz 3, § 6 Absatz 3 Satz 2 oder Absatz 4 oder § 7 Absatz 3 GrEStG a.F. geregelte Frist (fünf Jahre, Ergänzung des Verfassers) vor dem 1. Juli 2021 abgelaufen war.“

Dies bedeutet, dass E, der seine Beteiligung von 94,9 % bereits am 30.04.2016 erworben hatte, diese am 1. Juli 2021 schon seit mehr als fünf Jahren hielt, so dass die bisherige Vorbehaltensfrist von § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG a.F. bereits abgelaufen war und E in den Genuss der Übergangsbestimmung von § 23 Abs. 24 GrEStG n.F. kommt. Die Anteilsvereinigung durch den weiteren Erwerb am 15.07.2021 ist also nur zu 5,1 % des Grundstückswerts grunderwerbsteuerpflichtig – ein Ergebnis mit dem E auch nach altem Recht hätte rechnen müssen.

2. Fall b) 

Gemäß der Übergangsregelung von § 23 Abs. 19 Satz 1 GrEStG n.F. qualifiziert sich der E durch den erstmaligen Erwerb der 94,9% Beteiligung am 30.04.2017 bei erstmaliger Anwendung des neuen Rechts im Jahre 2021 nicht als Altgesellschafter i.S.v. § 1 Abs. 2a GrEStG a.F., da die Fünfjahresfrist des § 1 Abs. 2a GrEStG a.F. zum 30. Juni 2021 noch nicht abgelaufen ist. Damit ist die 94,9%ige Anteilsübertragung bei Anwendung des § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. als Zählerwerb zu berücksichtigen. Das neue Recht ist jedoch nur auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem 30.06.2021 verwirklicht wurden, § 23 Abs. 18 GrEStG n.F., so dass ohne eine weitere Transaktion nach dem 01.07.2021 zunächst keine Grunderwerbsteuer ausgelöst wird, da eine solche Gesetzesanwendung (Grunderwerbsteuerauslösung allein aufgrund der Erwerbstransaktion vom 30.04.2017) als echte Rückwirkung verfassungsrechtlich nicht haltbar wäre.

Durch den Erwerb der weiteren 5,1 % Anteile an der K-GmbH & Co. KG (etwa durch Ausübung der eingeräumten Option) am 15.07.2022 ist jedoch die Anwendbarkeit von § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. eröffnet, wobei hier – anders als in Fall a) – der Vorerwerb der 94,9 % am 30.04.2017 als Zählerwerb mit in die Betrachtung einzubeziehen ist.

Als Folge wird in Fall b) bereits gemäß § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. Grunderwerbsteuer ausgelöst durch den Erwerb am 15.07.2022. Ohne das Reformgesetz käme es im Fall b) zum selben Ergebnis wie in Fall a), nämlich einer Besteuerung lediglich in Höhe der Quote des zuletzt erworbenen Anteils von 5,1 %. Da das Reformgesetz aber am 01.07.2021 in Kraft getreten ist, führt der Erwerb (z.B. durch Ausübung der Call-Option durch E) am 15.07.2022 gemäß § 1 Abs. 2a GrEStG n.F. zum fiktiven Erwerb des Grundstücks der K-GmbH & Co. KG durch eine „neue Personengesellschaft“, die auch Schuldner der solchermaßen ausgelösten Grunderwerbsteuer ist (§ 13 Nr. 6 GrEStG).

Zwar findet auch in Fall b) durch den weiteren Erwerb des E am 15.07.2022 eine Anteilsvereinigung in der Hand des E statt, indessen ist die Anwendung von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG n.F. gegenüber der Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG subsidiär, so dass kein zweites Mal eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG n.F. in Frage kommt. Dieses Ergebnis kann allerdings in Frage gestellt werden, wendet man konsequent die (Übergangs-)Bestimmungen des Reformgesetzes an:

Der Tatbestand einer Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG a.F. ist unzweifelhaft in der Person des E ausgelöst. Da E am 30. Juni 2021 unmittelbar zu weniger als 95 % und zu mehr als 90 % an der K-GmbH & Co. KG beteiligt war, findet die Übergangsbestimmung von § 23 Abs. 21 GrEStG n.F. Anwendung, wonach in einem solchen Fall grundsätzlich die Bestimmung von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG a.F. weiter anzuwenden ist.

Eine (anteilige) Nichterhebung der Steuer nach § 6 Abs. 2 GrEStG kommt in diesem Fall nicht in Betracht, weil die nun einschlägige 15-jährige Vorbehaltensfrist nach § 6 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 GrEStG n.F. nicht erfüllt ist – E kommt in Fall b) gerade nicht in den Genuss der Übergangsbestimmung von § 23 Abs. 24 GrEStG. Im Ergebnis würde also Grunderwerbsteuer auf den vollen Grundbesitzwert (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG) wegen Anteilsvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG a.F. erhoben. 

Fraglich ist allerdings, ob die Übergangsregelung von § 23 Abs. 21 Satz 3 GrEStG n.F. diesem Befund entgegensteht, da es dort heißt, § 23 Abs. 21 Sätze 1 und 2 GrEStG n.F. gelten nicht, wenn der Rechtsvorgang nach § 1 Abs. 1, 2, 2a, 2b, 3 oder Abs. 3a GrEStG n.F. steuerbar ist. Diese Bestimmung würde vorliegend also zur Subsidiarität von § 23 Abs. 21 Satz 1 GrEStG und damit zur Unanwendbarkeit von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG a.F. führen, so dass, entgegen einer insbesondere von der Finanzverwaltung vertretenen Gegenansicht, doch keine (doppelte) GrESt für diesen Vorgang ausgelöst würde. Von einer Rechtssicherheit kann demzufolge keine Rede sein.

3. Fazit zum Beispielsfall 

Das Fallbeispiel zeigt deutlich, dass die Prüfung einer vergleichsweise einfachen Transaktion über Personengesellschaftsanteile künftig außerordentlich aufwändig werden wird und an Kompliziertheit kaum zu übertreffen ist.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass in Fällen, in denen die bisher geltenden Fünfjahresfristen (bei § 1 Abs. 2a sowie §§ 5 Abs. 3, 6 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 sowie § 7 Abs. 3 GrEStG a.F.) bei Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung bereits abgelaufen sind, das Reformgesetz in den Übergangsregelungen Vertrauensschutz für den Steuerpflichtigen gewährt. Dies gilt sowohl für die Eigenschaft als Altgesellschafter im Sinne von § 1 Abs. 2a GrEStG als auch für die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Steuerbegünstigungen nach §§ 5 ff. GrEStG.

Ist die Fünfjahresfrist dagegen im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts noch nicht abgelaufen, ist eine anteilige Nichterhebung aufgrund der Steuerbegünstigungen der §§ 5 ff. GrEStG n.F. nur noch unter Einhaltung der neuen Fristen (10 Jahre bzw. 15 Jahre) möglich. Aus Sicht der Beratungspraxis empfiehlt es sich, etwa bestehende Optionsvereinbarungen zu überprüfen und ggf. hinsichtlich der Ausübbarkeit in zeitlicher Hinsicht an die neue Gesetzeslage anzupassen, um nicht ungewollt Grunderwerbsteuer auszulösen bzw. nicht in eine (teure) Steuerfalle zu tappen. 

IV. Der neue Tatbestand von § 1 Abs. 2b GrEStG n.F. – Anteilseignerwechsel bei Kapitalgesellschaften

Vollkommen neu ins GrEStG eingefügt wurde – ganz nach dem Vorbild des Ersatzerwerbstatbestandes für Personengesellschaften gemäß § 1 Abs. 2a GrEStG – der neue Erwerbstatbestand von § 1 Abs. 2b GrEStG n.F. für Kapitalgesellschaftsanteile: Ein Anteilseignerwechsel an grundbesitzenden Kapitalgesellschaften im Umfang von mindestens 90 % innerhalb von zehn Jahren führt nach dem neuen § 1 Abs. 2b GrEStG n.F. nach dem Vorbild der altbekannten Regelung für Personengesellschaften gemäß § 1 Abs. 2a GrEStG künftig zur Auslösung von Grunderwerbsteuer, wobei ausschließlich Anteilsübergänge ab dem 01.07.2021 berücksichtigt werden. 

Da es sich um einen vollkommen neuen Erwerbstatbestand handelt, bedurfte es für diesen auch keiner Übergangsregelung wie bei den bisherigen gesellschaftsrechtlichen Ersatzerwerbtatbeständen. Es findet sich lediglich eine Bestimmung zur generellen Anwendung der neuen Regelung in § 23 Abs. 23 GrEStG n.F., wo es heißt: „Bei der Anwendung des § 1 Absatz 2b bleiben Übergänge von Anteilen der Gesellschaft, die vor dem 1. Juli 2021 erfolgen, unberücksichtigt“.

Sah § 23 Abs. 23 GrEStG-E i.d.F des Regierungsentwurfs von 2019 für den neuen Tatbestand von § 1 Abs. 2b GrEStG noch eine ausführliche Vertrauensschutzreglung für Verpflichtungsgeschäfte vor, die ein Jahr vor Inkrafttreten der Reform (01.07.2021) abgeschlossen wurden und erst nach Inkrafttreten der Reform vollzogen werden, ordnet der nunmehr beschlossene § 23 Abs. 23 GrEStG n.F. schlicht an, dass nur Übergänge ab dem 1. Juli 2021 berücksichtigt werden, egal ob das dafür geschlossene Verpflichtungsgeschäft, also etwa der notarielle GmbH-Anteilskaufvertrag, bereits vor dem 01.07.2021 geschlossen worden ist. Ein Vertrauensschutz wird – nach Aussage des Gesetzgebers ganz bewusst nach dem Motto: Die Praxis wusste ja seit 2019 das die Neuregelung kommt – nicht gewährt.
Nach der Übergangsregelung von § 23 Abs. 23 GrEStG n.F. werden also bereits vor dem 01.07.2021 erfolgte unmittelbare wie mittelbare Anteilsübertragungen an Kapitalgesellschaften für § 1 Abs. 2b GrEStG nicht mitgerechnet; die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen oder Aktien einer grundbesitzenden Gesellschaft vor dem 1. Juli 2021 spielen für die Frage der Überschreitung der 90-%-Schwelle des § 1 Abs. 2b GrEStG also keine Rolle. 

Eine auf einen bestimmten Beobachtungszeitraum abzielende Regelung für grundbesitzende Kapitalgesellschaften sah das bisherige GrEStG nicht vor, weshalb bei diesen nach bisheriger Rechtslage nur die Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile in einer Hand (künftig reichen schon 90 %) oder die Übertragung von mindestens 95 % (künftig ebenfalls 90 %) auf einen bisherigen oder neuen Gesellschafter Grunderwerbsteuer ausgelöst haben. Wurden 95 % oder mehr Anteile auf zwei oder mehr Erwerber übertragen, ohne dass einer von ihnen auf 95 % oder mehr der Anteile der Kapitalgesellschaft kam, löste dies keine Grunderwerbsteuer aus, soweit keine gegenseitige Zurechnung der Beteiligungen etwa aufgrund eines Konzerntatbestandes o.ä. in Betracht kam. 

Betrifft eine Transaktion, bei der es vor dem Tag des Inkrafttretens des Reformgesetzes (also in der Zeit bis zum 30.06.2021), zum schuldrechtlichen Vertragsschluss („Signing“) gekommen ist, unmittelbar oder mittelbar mindestens 90 % der Anteile einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft und erfolgt der dingliche Vollzug der Transaktion („Closing“) erst am 01.07.2021 oder später, so löst dies Grunderwerbsteuer auf die Immobilien im Vermögen der Gesellschaft aus. Ein Vertrauensschutz bezogen auf das alte Recht wird (bewusst) nicht gewährt.

Der neue Tatbestand von § 1 Abs. 2b GrEStG n.F. wird auch deshalb von gravierender Tragweite sein, weil anders als bei § 1 Abs. 2a GrEStG die Begünstigungsbestimmungen von §§ 5 und 6 GrEStG nicht weiterhelfen, weil sie nur auf Personengesellschaften anwendbar sind, nicht aber auf Kapitalgesellschaften und damit auf den Fall von § 1 Abs. 2b GrEStG n.F. Die Begünstigungsbestimmungen von §§ 5 und 6 GrEStG schließen – vereinfacht umschrieben – eine Besteuerung in dem Umfang aus, wie ein Gesellschafter bei transparenter Betrachtung der (Personen-)Gesellschaft vor und nach der Transaktion an der betroffenen Gesellschaft beteiligt ist. Diese transparente Betrachtungsweise findet indessen bei Kapitalgesellschaften keine Anwendung, so dass es auf die Beteiligungsverhältnisse nur insoweit ankommt, als es sich bei dem/den Erwerber(n) um neue Gesellschafter handeln muss.
Ebenso wie bei § 1 Abs. 2a GrEStG wird in den Fällen von § 1 Abs. 2b GrEStG n.F., ist der Tatbestand tatsächlich ausgelöst, fingiert, dass das von der Kapitalgesellschaft gehaltene Grundstück von der „alten“ Kapitalgesellschaft (mit den bisherigen Gesellschaftern) auf die „neue“ Kapitalgesellschaft (mit den mindestens 90 % neuen Gesellschaftern) übertragen wurde. Bei einer Personengesellschaft kann es insoweit (in den Fällen von § 1 Abs. 2a GrEStG) zur Anwendung von § 5 oder § 6 GrEStG kommen und den Vorgang erheblich entschärfen; dies ist bei einer Kapitalgesellschaft als (fiktiver) Erwerberin hingegen nicht denkbar.

V. Die neue Börsenklausel (§ 1 Abs. 2c GrEStG n.F.)

Neu ist auch die Rückausnahme zu § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG n.F. für börsennotierte Kapitalgesellschaften gemäß § 1 Abs. 2c GrEStG n.F. (sog. Börsenklausel). Danach werden Anteilsübergänge i.S.v. § 1 Abs. 2a Satz 1 und Abs. 2b Satz 1 GrEStG n.F. für die Erreichung der 90 %-Schwelle nicht berücksichtigt, wenn
  • die Anteile der Gesellschaft an einem organisierten Markt nach § 2 Abs. 11 WpHG zum Handel im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum betriebenen organisierten Markt nach § 2 Abs. 11 WpHG oder einem Drittlandhandelsplatz, der gemäß Artikel 25 Abs. 4 Buchstabe a der Richtlinie 2014/65/EU von der Europäischen Kommission als gleichwertig erklärt wurde, zugelassen sind, und
  • soweit der Anteilsübergang auf Grund eines Geschäfts an diesem Markt oder Drittlandhandelsplatz oder einem multilateralen Handelssystem im Sinne des Artikels 2 Abs. 1 Nummer 14 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 erfolgt.
Die Regelung erfasst, obgleich sie nur den jeweiligen Satz 1 von § 1 Abs. 2a und § 1 Abs. 2b GrEStG n.F. in Bezug nimmt, auch mittelbare Anteilsübergänge, da diese im jeweiligen Satz 1 ausdrücklich genannt sind. Die Anwendung auf Fälle von § 1 Abs. 2a GrEStG hätte ohne die Miterfassung von mittelbaren Anteilsübergängen schlechterdings keinen Anwendungsbereich und bzgl. § 1 Abs. 2b GrEStG n.F. griffe die Regelung bei weitem zu kurz, was der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung nicht beabsichtigt hat.
Nicht erfasst von der Rückausnahme der Börsenklausel werden allerdings außerbörsliche Geschäfte über börsennotierte Anteile entsprechender Gesellschaften sowie Geschäfte an nicht von der Regelung erfassten Börsen; dies betrifft etwa Aktiengeschäfte an der Londoner oder der Züricher Börse, die beide von der vorgenannten Bestimmung nicht erfasst werden. Als von der EU-Kommission für gleichwertig erklärte Dritthandelsplätze i.S.v. § 1 Abs. 2c GrEStG kommen derzeit lediglich die USA, Hong Kong und Australien in Betracht.

Als Rechtfertigung für die Börsenklausel gemäß § 1 Abs. 2c GrEStG n.F. wird die Unmöglichkeit der zuverlässigen Erfassung von Anteilsübertragungen über die Börse ins Feld geführt – es soll von vornherein ein sog. strukturelles Erfassungsdefizit vermieden werden, um das Gesetz nicht von Beginn an in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise auszugestalten. Eine andere Rechtfertigung als die nicht mögliche, zuverlässige Erfassung von Börsengeschäften im Hinblick auf § 1 Abs. 2b GrEStG n.F. ist nicht ersichtlich. Dies wird auch durch die ausdrückliche Ausklammerung von außerbörslichen Geschäften im Gesetzestext von § 1 Abs. 2c letzter Halbsatz GrEStG n.F. bestätigt, da außerbörsliche Geschäfte natürlich sehr wohl belastbar erfassbar sind. Konsequent ordnet das Reformgesetz auch eine entsprechende Anzeigepflicht für den Vorstand betroffener Aktiengesellschaften nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3b GrEStG n.F. an, jedenfalls bei Überschreiten der 90-%-Grenze innerhalb von 10 Jahren. Die Anzeigepflicht besteht auch dann, wenn etwa bei notariellen GmbH-Anteilsübertragungen bereits der beurkundende Notar entsprechende Anzeigen nach § 18 GrEStG vorzunehmen oder vorgenommen hat, vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 GrEStG.

Ob die Rückausnahme von § 1 Abs. 2c GrEStG n.F. sich unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz alleine mit der Rechtfertigung der nicht möglichen Erfassbarkeit börslicher Transaktionen wird halten lassen, wird dereinst gewiss vom BVerfG zu beurteilen sein – man darf gespannt sein, wie die Richter in Karlsruhe dazu stehen.

Die Praxis in Gestalt der Geschäftsführer und Vorstände grundbesitzender Kapitalgesellschaften, ist durch die Neuregelung vor eine große Herausforderung gestellt: Sollen die Anzeigepflichten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 GrEStG insbesondere in Konzernen mit ggf. zahlreichen grundbesitzhaltenden Tochter-, Enkel- oder Urenkelgesellschaften künftig gewahrt und Ordnungswidrigkeiten- oder gar Steuerstrafverfahren vermieden werden, so gewinnen die zu installierenden Risikofrüherkennungs- und Tax-Compliance-Systeme ganz massiv an Bedeutung. Ob die Anzeigepflichten insoweit – wohlgemerkt, die Anzeige hat binnen 14 Tagen nach Kenntniserlangung von dem anzeigepflichtigen Vorgang zu erfolgen, § 19 Abs. 3 Satz 1 GrEStG – überhaupt zuverlässig zu erfüllen sein werden, wird die Praxis zeigen. Kenntnis vom anzeigepflichtigen Vorgang ist nämlich schon gegeben, wenn das betreffende Organ um die Anteilsübertragung grundsätzlich weiß – ob es die richtigen Schlüsse i.S.v. § 19 Abs. 1 GrEStG aus dieser Kenntnis zieht, ist nicht von entscheidender Bedeutung.

VI. Fazit

Die Grunderwerbsteuerreform zur Verschärfung der Besteuerung bei share deals ist am 01.07.2021 in Kraft getreten und führt zu massiven Eingriffen in das bisherige Regelungsgefüge des GrEStG bei gesellschaftsrechtlichen Transaktionen mit grundbesitzhaltenden Gesellschaften. Wie vom Gesetzgeber ausdrücklich angestrebt wird es in der Zukunft ganz erheblich schwieriger und vor allem langwieriger, um einen Gestaltungsweg zu finden, bei dem die Entstehung von Grunderwerbsteuer vermieden werden kann. 

Besonders gravierend sind die Verschärfungen bei Kapitalgesellschaften, bei denen es erstmals einen zeitraumbezogenen Ersatzerwerbstatbestand gibt (§ 1 Abs. 2b GrEStG n.F.), aufgrund dessen die Übertragung von mindestens 90 % der Anteile einer GmbH oder AG auf neue Gesellschafter innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren künftig Grunderwerbsteuer auf die im Vermögen der Kapitalgesellschaft befindlichen Immobilien auslöst. Die Vorschrift fingiert einen Erwerb der Gesellschaftsgrundstücke durch eine „neue Kapitalgesellschaft“ aufgrund des entsprechend umfänglichen Anteilseignerwechsels, weshalb es nicht zur Anwendung der Erleichterungen von §§ 5 und 6 GrEStG kommen kann.

Da die Reform dazu führt, dass es – zumindest bis zum 30.06.2026 – bis zu sieben unterschiedliche Erwerbstatbestände bei gesellschaftsrechtlichen Transaktionen mit grundbesitzhaltenden Gesellschaften gibt, ist die Prüfung der Frage, ob eine Transaktion nach neuem oder altem Recht tatsächlich Grunderwerbsteuer auslöst, künftig ungemein schwieriger und aufwändiger.
 
So manche Transaktion wird in den nächsten Jahren im Nachhinein für böse Überraschungen sorgen, weil man bei der Gestaltung und Festlegung der Transaktionsstruktur die neuen, z.T. sehr komplexen Regelungen, insbesondere die Übergangsregelungen von § 23 Abs. 18 bis 24 GrEStG n.F., nicht hinlänglich geprüft oder/und beachtet hat. 
Druckversion herunterladen
von Fabian Lünsmann 19. Februar 2025
I. Einleitung Mitten in der Heizperiode ist es an der Zeit, sich mit der auch im gewerblichen Mietrecht geltenden Umlage der CO2-Kosten zwischen Vermieter und Mieter zu beschäftigen. Mit dem Erhalt der Abrechnungen der Energieversorger und der Nebenkostenabrechnung für das Abrechnungsjahr 2023, für das die Kostenverteilung zwischen Vermieter und Mieter nach dem Kohlendioxid-Kosten-Aufteilungsgesetz (CO2KostAufG) erstmals gilt (Stichtag 01.01.2023), stellt sich in der Beratungspraxis vermehrt die Frage, welche Rechte und Pflichten die Mietvertragsparteien haben, wie diese durchgesetzt werden können und welche rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten damit verbunden sind. Im Rahmen des CO2KostAufG geht der Gesetzgeber nunmehr davon aus, dass sich sowohl der Mieter als auch der Vermieter an den Kosten des Energieversorgers aus dem CO2-Zertifikatehandel beteiligen müssen. Bis zur Einführung des CO2KostAufG trug der Mieter als Endverbraucher der Energie diese Kosten allein. Nach dem CO2KostAufG soll nun der Vermieter an diesen Kosten beteiligt werden, da er im Gegensatz zum Mieter den Verbrauch des Gebäudes durch Investitionen in klimaschonende Heizungssysteme und energetischen Sanierungen maßgeblich beeinflussen kann. Der Mieter bleibt als maßgeblicher Verbraucher an den Kosten beteiligt. Nach dem zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Beitrags maßgeblichen gesetzlichen Stand kann jede Partei im Regelfall die Tragung von 50% der entstandenen CO2-Kosten durch die jeweils andere Vertragspartei verlangen (§ 8 Abs. 1 und Abs. 2 CO2KostAufG). Diese pauschale Aufteilung ist durch das Fehlen einer detaillierten Datenlage begründet, die für eine differenzierte Aufteilung wie bei Wohngebäuden erforderlich wäre. Langfristig soll die Pauschale durch ein spezifisches Stufenmodell ersetzt werden, sobald eine ausreichende Datenbasis zur energetischen Qualität und Nutzung des Nichtwohngebäudebestandes vorliegt, was 2025 umgesetzt werden soll. Wie die CO2-Kostenüberwälzung im gewerblichen Mietverhältnis im Einzelnen aussehen kann, soll im Folgenden überblicksartig dargestellt werden. II. Anwendbarkeit auf Bestandsverträge Die neue Kostenbeteiligung des Vermieters gilt automatisch für alle Mietverträge über Gebäude, die mit Gas oder Öl beheizt werden, unabhängig davon, ob die Verträge bereits am 01.01.2023 bestehen oder erst danach abgeschlossen werden. Die Neuregelung gilt für alle Abrechnungszeiträume, die am oder nach dem 01.01.2023 beginnen. Ausgenommen sind lediglich Brennstofflieferungen, die bereits nach alter Rechtslage abgerechnet wurden. III. Anwendbarkeit auf Nichtwohngebäude Sachlich gilt das CO2KostAufG sowohl für die Erzeugung von Heizwärme und Warmwasser durch den Verbrauch von Brennstoffen (Gas oder Öl) im Gebäude als auch für die Lieferung von Wärme und Warmwasser unter Verbrauch dieser Brennstoffe in das Gebäude. Der sonstige Verbrauch von Brennstoffen im Gebäude (z.B. Gas zum Kochen, Kühlen oder Produzieren) ist nicht Gegenstand des Gesetzes. Neben der bereits an anderer Stelle erörterten Verteilung der CO2-Kosten auf die Vertragsparteien eines Wohnraummietvertrages findet das CO2KostAufG auch auf Nichtwohngebäude und damit auf gewerbliche Mietverträge Anwendung. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Wohn- und Nichtwohngebäuden ist jedoch nicht die rechtliche Einordnung des zugrundeliegenden Mietvertrages, sondern die Nutzung des Gebäudes im Sinne des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Im Gegensatz zu Wohngebäuden umfasst der Begriff Nichtwohngebäude alle Gebäude, deren überwiegender Nutzungszweck nicht das Wohnen ist. Hierzu zählen beispielsweise Bürogebäude, Produktionshallen, Einzelhandelsgeschäfte und andere gewerbliche oder öffentliche Nutzungen. Die Regelungen des § 8 CO2KostAufG gelten für alle Mietverhältnisse innerhalb eines solchen Nichtwohngebäudes, unabhängig davon, ob es sich um eine Wohnraummiete, eine Geschäftsraummiete oder eine andere Nutzungsart handelt. In vielen Fällen wird jedoch die Art des Gebäudes mit der Rechtsnatur des Mietverhältnisses übereinstimmen (z.B. Single-Tenant und rein gewerbliche genutzte Multi-Tenant-Gebäude). Bei gemischt genutzten Gebäuden erfolgt die Abgrenzung anhand der Flächennutzung. Werden mehr als 50 % der Nutzfläche nicht zum Wohnen genutzt, ist das Gebäude als Nichtwohngebäude zu qualifizieren. Diese Definition ist für die Anwendung des CO2KostAufG entscheidend, da sie festlegt, wann die hälftige Aufteilung der CO2-Kosten nach § 8 Abs. 1 CO2KostAufG greift und sich von den Regelungen für Wohngebäude unterscheidet, die ein abgestuftes Modell vorsehen, welches sich am energetischen Zustand des Gebäudes orientiert und damit im Zweifel zum Nachteil des Vermieters wirkt. IV. Erstattungsanspruch Vermieters Im Regelfall wird der Vermieter den Mieter im Rahmen des Mietverhältnisses auch mit Wärme und Warmwasser versorgen und diesem gegenüber Kosten hierfür abrechnen. Diese Kosten umfassen in Folge des CO2KostAufG auch die durch den Energielieferanten gegenüber dem Vermieter geltend gemachten CO2-Kosten in hälftiger Höhe (§ 8 Abs. 1 CO2KostAufG). Im Rahmen der ordnungsgemäßen Abrechnung hat der Vermieter dem Mieter zunächst die gesamten angefallenen CO2-Kosten für das Gebäude auszuweisen und den hälftigen Vermieteranteil abzuziehen. Handelt es sich um einem Objekt mit mehreren Mietern, hat der Vermieter sodann die verbleibenden CO2-Kosten auf Grundlage der im jeweiligen Mietverhältnis geltenden Vereinbarungen zur Umlage der Heiz- und Warmwasserkosten unter Berücksichtigung der Bestimmungen der Heizkostenverordnung auf die Mieter zu verteilen. Der Vermieter hat damit eine transparente Abrechnung vorzulegen, die dem Mieter ermöglicht, die Berechnung des auf ihn entfallenden CO2-Kostenanteils im Einzelnen nachzuvollziehen. Der Vermieter muss im Sinne dieser Transparenz bestimmte Kenngrößen aus den Brennstoffrechnungen in die Heizkostenabrechnung übernehmen, weshalb es sich anbietet die Brennstoffrechnungen der Heizkostenabrechnung beizufügen. Dem Mieter steht ein gesetzliches Kürzungsrecht zu, wenn der Vermieter die CO2-Kosten nicht oder fehlerhaft aufteilt oder die für die Berechnung erforderlichen Angaben nicht ordnungsgemäß macht (vgl. § 7 Abs. 4 iVm § 8 Abs. 3 Satz CO2KostAufG). Die Sanktion ermöglicht es dem Mieter, den auf ihn entfallenden Anteil an den Heizkosten um 3 % zu kürzen. Dieses Kürzungsrecht soll sicherstellen, dass der Vermieter seiner Pflicht zur vollständigen und transparenten CO2-Kostenabrechnung nachkommt. Einmal geltend gemacht, bleibt die Kürzung des Heizkostenanteils dauerhaft bestehen und entfällt nicht mehr, selbst wenn der Vermieter die Abrechnung im Nachhinein korrigiert oder ergänzt. Das Kürzungsrecht steht dem Mieter daher auch neben seinem Anspruch auf eine korrekte Abrechnung zu. Der Mieter muss sich also nicht zwischen der Kürzung und der Einforderung einer vollständigen und richtigen Abrechnung entscheiden. Vielmehr hat der Mieter das Recht, die Abrechnung zu kürzen und weiterhin auf einer ordnungsgemäßen Abrechnung zu bestehen. V. Erstattungsanspruch des Mieters Gemäß § 8 Abs. 2 CO2KostAufG hat auch der Mieter der sich selbst mit Wärme oder Warmwasser versorgt, einen Anspruch auf Erstattung von 50 % der Kohlendioxidkosten gegen seinen Vermieter. Dies ist jedenfalls der Fall, wenn der Mieter eine Gasetagenheizung betreibt und eigenständig Gas vom Anbieter bezieht oder eine individuelle Brennstoffversorgung besteht und die CO2-Kosten direkt an den Energielieferanten zahlt (zB bei selbstorganisierter Heizöllieferung für den jeweiligen Mietbereich). Die Höhe des Erstattungsanspruchs richtet sich nach dem hälftigen Anteil des Vermieters an den CO2-Kosten des Mieters. Der Mieter kann anhand der in seiner Rechnung ausgewiesenen CO2-Kosten den auf den Vermieter entfallenden Anteil von 50 % berechnen und diesen Betrag als Erstattung geltend machen. Dabei muss er die Gesamt-CO2-Kosten sowie den Erstattungsbetrag in Geld ausweisen. Dieser Erstattungsanspruch ist binnen zwölf Monaten nach Erhalt der Abrechnung seines Brennstoff- oder Wärmelieferanten geltend zu machen. Die Frist beginnt mit dem Zugang der Abrechnung des Lieferanten beim Mieter und umfasst sämtliche angefallenen CO2-Kosten, unabhängig davon, ob der Brennstoff im Fall der Einlagerung bereits vollständig verbraucht ist. Die Geltendmachung kann in Textform (§ 126b BGB), also unter anderem auch durch E-Mail, erfolgen. Im Rahmen der Geltendmachung sind die entstandenen CO2-Kosten nachvollziehbar darzulegen. Idealerweise erfolgt dies auch hier durch Vorlage einer Kopie der Rechnung des Energielieferanten. Der Vermieter kann den Erstattungsanspruch des Mieters im Rahmen der nächsten Nebenkostenabrechnung verrechnen, muss dies aber nicht. Einer Ankündigung hierüber bedarf es nicht. Die Regelung soll die Abwicklung der Erstattung erleichtern und eine separate Zahlung vermeiden. Die Frist zur Erstattung des Anspruchs beginnt erst mit dem Ablauf der Abrechnungsfrist für die Betriebskostenabrechnung. Falls keine Nebenkostenabrechnung erfolgt, weil eine Nebenkostenpauschale gem. § 556 Abs. 2 S. 1 BGB vereinbart oder keine Betriebskostenumlage vorgesehen ist oder für den Fall, dass keine verrechenbaren Gegenforderungen bestehen, muss der Vermieter den Betrag separat binnen zwölf Monaten ab dem Zugang der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch den Mieter erstatten. VI. Praxishinweise In der beratenden Praxis haben sich die folgenden Überlegungen als relevant erwiesen: 1. Unwirksamkeit überhöhter Umlagevereinbarungen Vertragliche Vereinbarungen, nach denen der Mieter bei Nichtwohngebäuden mehr als 50 % der CO2-Kosten zu tragen hat, sind unwirksam. Diese Einschränkung schützt den Mieter vor einer einseitigen Abwälzung der CO2-Kostenlast und stellt klar, dass der Vermieter maximal die Hälfte der Kosten auf den Mieter überwälzen darf. Der Vermieter hat jedoch wie bei Wohngebäuden die Möglichkeit, freiwillig einen höheren Anteil der CO2-Kosten oder die gesamten Kosten zu übernehmen, z.B. aus vertraglichen oder marktstrategischen Gründen (z.B. Green-Lease). 2. Heizkostenpauschale Ist eine Heizkostenpauschale vereinbart, stellt sich die Frage, wie die CO2-Kostenverteilung in diesem Fall zu erfolgen hat. Das CO2KostAufG geht von einer verbrauchsabhängigen Erfassung der Heizkosten aus. Bei einer Heizkostenpauschale, bei der keine separate Verbrauchserfassung erfolgt, muss geprüft werden, ob die Pauschale die gesamten CO2-Kosten umfasst oder ob der Mieteranteil separat gemäß der hälftigen Regelung umgelegt wird. Diese Frage bedarf einer genauen Auslegung der jeweiligen vertraglichen Vereinbarung und könnte, je nach Einzelfall, Einfluss auf die Höhe der vom Mieter zu tragenden CO2-Kosten haben. 3. Verrechnung des Erstattungsanspruchs des Mieters im laufenden Mietverhältnis Wegen der weit hinausgeschobenen Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs (zwölf Monate bzw. Ablauf der nächsten Abrechnungsfrist) scheidet eine Aufrechnung des Mieters mit der laufenden Miete oder den Nebenkostenvorauszahlungen in der Regel aus, auch wenn kein vertragliches Aufrechnungsverbot besteht, da dies die Fälligkeit des Anspruchs voraussetzt. Die gesetzliche Zahlungsfrist schiebt die Fälligkeit des Anspruchs hinaus (§ 271 Abs. 2 BGB). 4. Belegeinsicht und Zurückbehaltungsrecht Als atypischer Fall der Nebenkostenabrechnung durch den Mieter, ist der Vermieter berechtigt, Einsicht in die Originalbelege des Mieters zu nehmen, um diese nachzuvollziehen (§ 259 Abs. 1 BGB). Die Überlegungen zur Einsichtnahme des Mieters in Abrechnungsbelege der sonstigen Nebenkostenabrechnung des Vermieters sind entsprechend anzuwenden. Demnach kann auch der Vermieter die Leistung der Erstattung solange zurückhalten, wie ihm der Mieter die Originalbelege nicht zugänglich macht. Ein Anspruch auf Übersendung der Originalbelege besteht jedoch nicht. 5. Privilegierung des Vermieters Es sind auch Fälle denkbar, in denen der Vermieter durch öffentlich-rechtliche Vorschriften gehindert ist, das Gebäude energetisch zu modernisieren (z.B. Baudenkmal). In diesen Fällen allein wird der Vermieter gesetzlich hinsichtlich der quotalen Kostentragung privilegiert. Je nach dem Grad der Beschränkung halbiert sich sein Anteil bzw. entfällt dieser vollständig (§ 9 Abs. 1 und 2 CO2KostAufG). Der Vermieter hat dem Mieter diese Privilegierung jedoch spätestens bis zur gegenständlichen Heizkostenabrechnung, auf die er die Privilegierung beziehen will, nachzuweisen. Findet eine Heizkostenabrechnung wegen der Selbstversorgung des Mieters nicht statt, dürfte wohl auf die zwölf monatige Zahlungsfrist abzustellen sein, binnen derer der Vermieter die Privilegierung nachweisen muss. 6. Heizfremder Verbrauch Wie eingangs bereits dargestellt, ist das CO2KostAufG in Bezug auf Brennstoffverbräuche zu heizfremden Zwecken nicht anwendbar. Dieser Ausschluss dient dazu, sicherzustellen, dass nur die CO2-Kosten für Raumwärme und Warmwasseraufbereitung in die Verteilung zwischen Mieter und Vermieter einfließen. Heizfremde Anwendungen, die etwa in der Produktion oder in Großküchen vorkommen, dürfen den Erstattungsanspruch des Mieters nicht erhöhen. Insoweit ist insbesondere bei produzierenden Gewerben und gastronomischen Mietern zu beachten, dass der Mieter den heizfremden Anteil der CO2-Kosten ausweisen und seinen Erstattungsanspruch auf echte CO2-Kosten für Heizung und Warmwasser beschränken muss. Andernfalls wird man die dem Erstattungsanspruch zugrundliegende Abrechnung als nicht ordnungsgemäß ansehen müssen, was den Vermieter zu deren Zurückweisung berechtigt (§ 6 Abs. 3 i.V.m. § 8 Abs. 2 CO2KostAufG). VII. Fazit Die Umlage der CO2-Kosten im Mietverhältnis stellt sowohl aus Vermieter- als auch aus Mietersicht eine zusätzliche bürokratische Hürde im Rahmen der Durchführung der Mietbeziehung dar, die dieses nicht nur unerheblich belasten kann. Zwar verfolgt das CO2KostAufG das hehre Ziel des Klimaschutzes, die damit verbundene zusätzliche Verwaltungsarbeit dürfte aber keinesfalls zur Vereinfachung der Vertragsbeziehung beitragen. Die neuerliche finanzielle Belastung der Vermieter durch den Gesetzgeber dürfte zwar momentan noch keinen zwingenden Anreiz zu energetischen Sanierung von Gebäuden bieten. Mittelfristig dürfte sich dies jedoch durch das Auslaufen der Preisbindung für CO2-Zertifikate im Jahr 2026 ändern, in dessen Folge erhebliche Preissteigerungen und damit auch stark erhöhte CO2-Kosten zu erwarten sind. Dies dürfte die vermieterseitige Abwägung zwischen den erheblichen Kosten einer energetischen Sanierung und den steigenden, aber nicht mit einer Wertsteigerung der Immobilie verbundenen, CO2-Kosten maßgeblich beeinflussen. Welche Investitionen sich hier tatsächlich rechnen, kann und sollte im Einzelfall bestimmt werden. Die betroffenen Mieter müssen energetische Modernisierungsmaßnahmen grundsätzlich dulden, wenn sie ihnen mit einer Frist von drei Monaten vor Beginn ordnungsgemäß angekündigt werden. Für die Dauer der Modernisierungsarbeiten von drei Monaten ist zudem die Minderung der Miete bei Mängeln ausgeschlossen. Darüber hinaus hat der Vermieter das Recht, jedenfalls bei der Sanierung von Wohnraum, die jährliche Miete um bis zu acht Prozent der für die Wohnung aufgewendeten Kosten (abzüglich gewährter öffentlicher Fördermittel) zu erhöhen. Bei Nichtwohngebäuden besteht ein einseitiges Mieterhöhungsrecht wegen Modernisierungsmaßnahmen dagegen nur, wenn dies vertraglich vorgesehen ist oder die Parteien hierüber eine gesonderte Vereinbarung treffen. Letztlich sind im Rahmen der gegenseitigen Geltendmachung der Erstattungsansprüche insbesondere die Geltendmachungsfrist, die hinausgeschobene Fälligkeit und die möglichst transparente Abrechnung zu meistern. Zur Bewältigung sind hier weitestgehend die bekannten Grundsätze zum Betriebskostenrecht anzuwenden, wobei das Gesetz jedoch in Teilen Fragen offenlässt. So ist beispielsweise fraglich, wie der im Lagerbestand befindliche Brennstoff, der zukünftig zu heizfremden Zwecken verwendet werden wird, anzusetzen ist. Aktuell ist hier faktisch eine fristgerechte Geltendmachung nicht möglich, da die Angabe bloßer Schätzwerte durch den Mieter keine ordnungsgemäße Abrechnungsgrundlage darstellt. Hier besteht deutlicher Nachbesserungsbedarf seitens des Gesetzgebers. Darüber hinaus bestehen auch verfassungsrechtliche Bedenken vor dem Hintergrund der mit der Umlage der CO₂-Kosten auf den Vermieter bezweckten Lenkung des Vermieters in Richtung einer energetischen Sanierung der Immobilie. Die absolute Höhe der vom Vermieter zu tragenden CO₂-Kosten wird maßgeblich durch den Verbrauch des Mieters bestimmt, den der Vermieter nicht steuern kann. Ob insoweit überhaupt eine wirksame Verhaltenssteuerung erreicht werden kann, ist daher mehr als fraglich und bedarf der Klärung durch das Bundesverfassungsgericht. Die Lenkungswirkung geht jedenfalls dann vollständig verloren, wenn der Vermieter ein energetisch hocheffizientes Gebäude an einen energieverschwenderischen Mieter vermietet. In diesem Fall trägt der Vermieter unabhängig von seinem "erwünschten" Verhalten die Hälfte der CO₂-Kosten und kann sich auf Grund des zwingenden Charakters der Kostenumlage hiervon auch individualvertraglich nicht befreien. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Dr. Marc von Kopp 12. Februar 2025
In einer aktuellen Entscheidung vom 09.02.2024 (Az: II ZR 220/22) hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit drei Rechtsfragen auseinandergesetzt, die für die Unternehmenspraxis – insbesondere in der Immobilienwirtschaft – von großer Bedeutung sind. Im Fokus standen erstens das Selbsthilferecht eines Gesellschafters einer GmbH hinsichtlich der Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund bei Mängeln der Gesellschafterversammlung, zweitens die Frage der Kenntnis und des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit der positiven und negativen Publizität des Handelsregisters (§ 15 HGB) und drittens die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht, insbesondere in Bezug auf deren parallele Anwendung zu den Regelungen der negativen Publizität des Handelsregisters. Diese Fragestellungen, die zunächst eher förmliche Aspekte betreffen und dem Praktiker auf den ersten Blick vielleicht nicht ins Auge fallen, entscheiden letztlich aber über die Wirksamkeit wesentlicher Rechtsgeschäfte und können schwerwiegende Folgen nach sich ziehen, so dass sich ein näherer Blick lohnt. Der erste Beitrag des Specials beschäftigt sich mit dem Selbsthilferecht und der negativen Publizität des Handelsregisters. Ein Folgebeitrag soll sich mit den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht befassen und abschließend eine Übersicht noch offener Fragen sowie der Auswirkungen auf die Praxis geben. I. Ausgangslage Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist eine GmbH, die Bau- und Immobilienleistungen erbringt und deren Vermögen im Wesentlichen aus einem mit 30 Gewerbe- und Wohneinheiten bebauten Grundstück bestand. Der Mehrheitsgesellschafterin, eine GmbH, war daran gelegen, dass das Grundstück ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung weder veräußert noch belastet werden kann und ließ sich dies vom Geschäftsführer der Klägerin schriftlich zusichern. Die Mehrheitsgesellschafterin betrieb die Abberufung des Geschäftsführers der Klägerin gegen die Stimmen der Minderheitsgesellschafterin für dessen Abberufung aus wichtigem Grund. Zwischen den beiden Gesellschaftern war jedoch die Wirksamkeit des Beschlusses streitig, da die Minderheitsgesellschafterin, eine GmbH & Co. KG, insofern Einberufungsmängel aufgrund fehlender Unterzeichnung der Einberufung durch den Geschäftsführer geltend machte. Gleichwohl unterzeichnete die Klägerin zwei Tage nach der Beschlussfassung, vertreten durch den abberufenen Geschäftsführer, einen beurkundeten Kaufvertrag über das Grundstück mit der Käuferin, der Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt war der Geschäftsführer noch als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen. Ob die Beklagte den Abberufungsbeschluss bei Vertragsschluss kannte, war nicht abschließend festzustellen. Die Klägerin begehrte die Löschung der zugunsten der Beklagten für das Grundstück eingetragene Auflassungsvormerkung im Grundbuch. Die Klägerin unterlag in beiden Instanzen. Bezüglich der hier relevanten Rechtsfragen hatte sie jedoch mit der Revision Erfolg. II. Das Selbsthilferecht eines Gesellschafters einer GmbH bzgl. der Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund Die Einberufung der vom Geschäftsführer veranlassten Gesellschafterversammlung war zwar insoweit fehlerhaft, da dieser die Einberufung nicht unterschrieben hatte. Die spätere von der Mehrheitsgesellschafterin selbst vorgenommene Einberufung der Gesellschafterversammlung wurde vom BGH als wirksam angesehen, da die Mehrheitsgesellschafterin zur Einberufung der Versammlung befugt gewesen war, weil die Voraussetzungen des Selbsthilferechts nach § 50 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 GmbHG vorgelegen hätten. Nach § 50 Abs. 3 GmbHG könne ein Gesellschafter, der, wie die Mehrheitsgesellschafterin, mindestens 10 % des Stammkapitals der GmbH hält, die Einberufung einer Gesellschafterversammlung selbst bewirken, wenn seinem Verlangen auf Einberufung nach § 50 Abs. 1 GmbHG zuvor nicht entsprochen wurde. Dies sei anzunehmen, wenn dem Verlangen überhaupt nicht, nicht rechtzeitig, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen werde. Die Mehrheitsgesellschafterin müsse nach der fehlerhaften Einberufung kein zweites Verlangen an den Geschäftsführer richten. Vielmehr dürfe die Mehrheitsgesellschafterin ihr Selbsthilferecht sofort ausüben, ohne dass sie den Geschäftsführer zuvor um Nachbesserung der Einberufung ersuchen müsse, sofern der Geschäftsführer die Versammlung nicht ordnungsgemäß einberufe. Der Mehrheitsgesellschafterin sei die mit einem zweiten Verlangen verbundene Verzögerung nicht zuzumuten. Dies gelte umso mehr, da der Geschäftsführer auf diese Weise die Einberufung durch fehlerhafte Ladungen verzögern könnte. Dieses Selbsthilferecht sei erst verbraucht, wenn die Gesellschafterversammlung sich mit den in der Einberufung mitgeteilten Beschlussgegenständen befasst habe. Bis dahin bestehe das Selbsthilferecht. III. Kenntnis im Rahmen des § 15 Abs. 1 HGB – negative Publizität Zwar war die Beschlussfassung bzgl. der Abberufung des Geschäftsführers wirksam, der Geschäftsführer mithin nicht mehr ordnungsgemäßer Vertreter der Gesellschaft, die Beklagte (=die Käuferin) könne sich aber auf § 15 Abs. 1 HGB berufen, so dass sich die Klägerin (= die Gesellschaft) so behandeln lassen müsse, als bestehe die Vertretungsmacht des Geschäftsführers fort, solange die Abberufung des Geschäftsführers im Handelsregister nicht eingetragen sei. Denn so lange werde der Rechtsverkehr durch § 15 Abs. 1 HGB geschützt. Diesen Vertrauensschutz auf die Eintragung im Handelsregister hatte die Beklagte nach Ansicht des BGH auch im Fall ihrer Kenntnis des Abberufungsbeschlusses nicht verloren. Der Umstand, dass sie das Wissen von Meinungsverschiedenheiten über die Wirksamkeit der Abberufung hatte, sei keine positive Kenntnis von der Tatsache der Abberufung im Sinne von § 15 Abs. 1 HGB. Der Vertrauensschutz auf das Handelsregister sei ihr nur dann verwehrt, wenn die Beklagte positive Kenntnis von der wirksamen Abberufung gehabt hätte. Ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügten demgegenüber nicht. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob eine Beschlussmängelklage bereits anhängig ist, oder zukünftig überhaupt erhoben wird, zumal der fragliche Verkauf des Grundstücks bereits zwei Tage nach dem Abberufungsbeschluss getätigt wurde und eine Klage so schnell kaum anhängig gemacht werden kann. Entscheidend sei vielmehr, dass die Information über den gefassten Abberufungsbeschluss durch die Information über die bestehenden Meinungsverschiedenheiten bzgl. des Abberufungsbeschlusses bereits entscheidend entwertet werde, so dass insgesamt keine Bösgläubigkeit im Hinblick auf den fortwährenden Handelsregistereintrag vorliege. Auch das allgemeine Wissen, dass ein Mehrheitsgesellschafter eine Abberufung im Zweifel gegen den Willen des Minderheitsgesellschafters durchsetzen könne, genüge nicht um den Vertrauensschutz auf die Eintragung im Handelsregister zu versagen, da die Satzung andere Quoren als 50% zur Abberufung ohne wichtigen Grund vorsehen könne. Das Stimmverhalten der Mehrheitsgesellschafterin zieht im konkreten Fall nicht zwingend die Erkenntnis nach sich, der Beschluss sei mit der erforderlichen Stimmenmehrheit gefasst worden. Vielmehr gelte weiterhin der allgemeine Grundsatz, dass § 15 Abs. 1 HGB für den Vertrauenden keine Nachforschungen erfordert. Die Beklagte sei vorliegend selbst bei Kenntnis des Abberufungsbeschlusses nicht zu weiteren Nachforschungen angehalten und könne weiter auf die Eintragung im Handelsregister vertrauen. IV. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass ein Gesellschafter mit mindestens 10% des Stammkapitals die Einberufung einer Gesellschafterversammlung aufgrund seines Selbsthilferechts selbst einberufen kann, ohne sein Verlangen erneut an die Geschäftsführung richten zu müssen, wenn zuvor eine Gesellschafterversammlung vom Geschäftsführer nicht wirksam einberufen werden konnte. § 15 Abs. 1 HGB sichert dem Käufer auch dann das Vertrauen in die Vertretungsmacht eines Geschäftsführers, der weiterhin im Handelsregister eingetragen ist, wenn er Kenntnis von bestrittenen Abberufungsbeschluss hat. Eine Einschränkung der Publizitätswirkung muss im Interesse der Rechtssicherheit jedenfalls streng begrenzt sein. Lediglich positive und nicht durch weitere Umstände erschütterte Kenntnis im Hinblick auf die Unrichtigkeit der Eintragung wäre schädlich. Das Special wird mit einem weiteren Beitrag fortgesetzt. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Lennart Kolkmann 16. Januar 2025
I. Einführung Die Sicherheit bei Fußballspielen, insbesondere bei sogenannten Hochrisikospielen, erfordert regelmäßig erhöhten Polizeieinsatz. Die Frage, wer die dadurch entstehenden Mehrkosten tragen soll, führte zu einem langjährigen Rechtsstreit zwischen der DFL Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL) und dem Bundesland Bremen. Mit seinem Urteil vom 14.01.2025 schuf das Bundesverfassungsgericht nun Klarheit in dieser Angelegenheit. II. Hintergrund Im Jahr 2014 beschloss das Land Bremen, die Veranstalter von gewinnorientierten Großveranstaltungen mit über 5.000 Teilnehmern, bei denen es erfahrungsgemäß zu Gewalt kommen kann, an den zusätzlichen Polizeikosten zu beteiligen. Dies betraf insbesondere Hochrisikospiele im Profifußball. Erstmals 2015 stellte das Land Bremen der DFL einen Kostenbescheid über rund 425.000 Euro für das Spiel zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV zu. Dagegen wehrte sich die DFL und zog bis vor das Bundesverwaltungsgericht. Dieses erklärte die Kostenbeteiligung letztlich für rechtmäßig - die DFL erhob Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. III. Problem Die zentrale Streitfrage bestand darin, ob die Beteiligung an den Kosten der Polizeieinsätze mit dem Grundgesetz, insbesondere mit der in Artikel 12 des Grundgesetzes (GG) verbrieften Berufsfreiheit, vereinbar ist. Die Gebührenerhebung basiert auf dem im November 2014 in Kraft getretenen § 4 Abs. 4 des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetz (BremGebBeitrG). Dort ist vorgesehen, dass von den Veranstaltern einer gewinnorientierten Veranstaltung mit mehr als voraussichtlich 5.000 Teilnehmern eine Gebühr erhoben wird, wenn wegen erfahrungsgemäß zu erwartenden Gewalthandlungen der Einsatz von zusätzlichen Polizeikräften erforderlich wird. Die zu erhebende Gebühr ist nach dem Mehraufwand zu berechnen, der aufgrund der Bereitstellung zusätzlicher Polizeikräfte entsteht. Die DFL argumentierte dagegen, dass die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit eine staatliche Aufgabe sei, die aus Steuermitteln finanziert werden müsse. Zudem befürchtete sie Wettbewerbsverzerrungen, falls nur in einzelnen Bundesländern solche Gebühren erhoben würden. IV. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Mit Urteil vom 14.01.2025 (Urt. v. 14.01.2025, Az. 1 BvR 548/22) wies der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde der DFL ab und erklärte die Norm für verfassungsgemäß. Im Wesentlichen stellte der Senat fest, dass § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG zwar in die durch Artikel 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Veranstalter eingreife, dieser Eingriff aber seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung in der Verhältnismäßigkeit der Norm finde. Die Verfassung kenne keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem die polizeiliche Sicherheitsvorsorge durchgängig kostenfrei zur Verfügung gestellt werden muss. Die Gefahrenvorsorge sei keine allgemeine staatliche Tätigkeit, die zwingend ausschließlich aus dem Steueraufkommen zu finanzieren ist. Zudem beeinträchtige das Bremer Gebührengesetz die Berufsfreiheit der Veranstalter nicht unangemessen: Das Ziel der Gebührenerhebung, nicht die Allgemeinheit mit dem Mehraufwand zu belasten, sondern die Veranstalter als dessen Veranlasser, stehe nicht außer Verhältnis zur sich aus der Gebührenpflicht ergebenden Beeinträchtigung der Berufsfreiheit. Schließlich entfalte das Bremer Gebührengesetz auch nicht eine verfassungsrechtlich unzulässige „erdrosselnde Wirkung“ zulasten der DFL, so der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzende des Ersten Senats, Prof. Dr. Stephan Harbarth. V. Folgen des Urteils Die Reichweite des Ur teils ist erheblicher, als man zunächst annehmen mag. Da das Bremer Gebührengesetz offen formuliert ist, beschränkt sich die Kostentragungspflicht der Veranstalter nicht ausschließlich auf Fußballvereine, selbst wenn dies den Anreiz zur Verabschiedung des Gesetzes gegeben haben mag. Ob andere Bundesländer sich ein Beispiel am Land Bremen nehmen, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Denkbar ist insoweit auch, dass private Veranstalter sowohl von bereits kleineren Veranstaltungen wie Konzerten als auch größeren überregionalen Veranstaltungen sowie Brauchtumsveranstaltungen zur Kasse gebeten werden. VI. Ausblick Noch haben das Land Nordrhein-Westfalen und die übrigen Bundesländer kein entsprechendes Gesetz erlassen. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung das Tor für entsprechende Gesetzesvorhaben weit aufgestoßen. Es bleibt daher zu beobachten, wie andere Bundesländer auf das Urteil reagieren werden und wie eine Kostenverteilung zwischen der DFL und den Vereinen in Zukunft aussehen könnte. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
27. Dezember 2024
P elka ernennt zwei neue Partner. So treten mit Wirkung zum 1. Januar 2025 Alexander Krämer und Felix Heeg in die Partnerschaft ein. Alexander Krämer beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Beurteilung steuer- und bewertungsrechtlicher Sachverhalte im Zusammenhang mit Erb- und Schenkungsfällen. Daneben berät Herr Krämer zum Immobiliensteuerrecht und betreut vermögende Privatpersonen in steuerlichen Fragen. Die Aufnahme von Herrn Krämer in die Partnerschaft verdeutlicht das Wachstum der Kanzlei im Bereich Private Clients. Felix Heeg leitet als Steuerberater u.a. den internen Bereich der Praxis. Die Aufnahme in die Partnerschaft ist ein weiterer Schritt, die Strukturen an die Wachstumsstrategie der Kanzlei anzupassen. „Ich gratuliere den Kollegen herzlichst zu ihrem Karriereschritt. Mit Herrn Krämer und Herrn Heeg gewinnen wir zwei Partner, die sich seit vielen Jahren für die Sozietät einsetzen und mit ihrer ausgesprochen hohen fachlichen Expertise maßgeblich zur Weiterentwicklung der Praxis und zur bestmöglichen Betreuung unserer Mandantinnen und Mandanten beitragen werden. Wir freuen uns auf die nun noch engere Zusammenarbeit.“ Dr. Jürgen Pelka, Vorsitzender des Partnerschaftsrats. Dr. Barbara Anzellotti wird zum 01. Januar 2025 die Partnerschaft verlassen. Sie eröffnet eine eigene Praxis und wird darin ihren bisherigen Schwerpunkt, das Immobilienrecht, fortführen. Wir danken ihr für die Zusammenarbeit und wünschen ihr viel Erfolg. Pelka verzeichnet 17 Partnerinnen und Partner sowie rund 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Standorten Köln, Berlin und Essen. Zu den Mandantinnen und Mandanten gehören vornehmlich national und international agierende Unternehmen, die dahinterstehenden Familien sowie freiberuflich Tätige.
von Tobias Kromm 17. Dezember 2024
Am 05.12.2024 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG): Eine tarifvertragliche Regelung, die unabhängig von der individuellen Arbeitszeit für Überstundenzuschläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzt, behandelt teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer wegen der Teilzeit schlechter als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte. Kann diese Ungleichbehandlung nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden, liegt ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot Teilzeitbeschäftigter gem. § 4 Abs. 1 Teilzeit-und Befristungsgesetz (TzBfG) vor. Regelmäßig liege zugleich auch eine mittelbare Benachteiligung aufgrund des (weiblichen) Geschlechts vor, wenn erheblich mehr Frauen als Männer von einer entsprechenden Zuschlagsregelung betroffen sind. I. Sachverhalt Die Klägerin war als Pflegekraft in Teilzeit im Umfang von 40 % eines Vollzeitbeschäftigten tätig. Nach dem geltenden Tarifvertrag waren Überstunden mit einem Zuschlag von 30 % zuschlagspflichtig, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet wurden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden konnten. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags war eine entsprechende Zeitgutschrift im Arbeitszeitkonto vorgesehen. Das Arbeitszeitkonto der Klägerin wies Ende März 2018 ein Arbeitszeitguthaben von 129 Stunden und 24 Minuten aus. Der Arbeitgeber hatte ihr für diese Zeiten weder Überstundenzuschläge gezahlt, noch im Arbeitszeitkonto eine Zeitgutschrift vorgenommen. Die Klägerin verlangte, dass ihrem Arbeitszeitkonto als Überstundenzuschlag weitere 38 Stunden und 39 Minuten (30% von 129 Stunden und 24 Minuten) gutgeschrieben werden. Darüber hinaus begehrte sie die Zahlung einer Entschädigung in Höhe eines Vierteljahresverdienstes nach § 15 Abs. 2 AGG. Sie werde aufgrund der tarifvertraglichen Regelung als Teilzeitkraft gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Zudem werde sie wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligt, denn der Arbeitgeber beschäftige überwiegend Frauen in Teilzeit. II. Verfahrensgang Nachdem das Arbeitsgericht Fulda die Klage noch abwies und am Landesarbeitsgericht Hessen nur die Zeitgutschrift zuerkannt wurde, hatte das BAG das Revisionsverfahren zunächst ausgesetzt und den Gerichthof der Europäischen Union (EuGH) um die Beantwortung von Rechtsfragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts ersucht, welcher das Vorabentscheidungsersuchen am 29.07.2024 beantwortete. In Umsetzung der Entscheidung des EuGH hatte die Revision der Klägerin vor dem BAG teilweise Erfolg. III. Lösung des BAG Das BAG sprach der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift zu. Darüber hinaus erkannte es auch eine Entschädigung an, allerdings nicht in Höhe des geforderten Vierteljahresverdienstes, sondern in Höhe von 250,00 Euro. Auf der Grundlage der Vorgaben des EuGH musste das BAG davon ausgehen, dass ein Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten (§ 4 Abs. 1 TzBfG) vorlag, da die tarifliche Regelung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vorsah. Der Senat konnte für diese Ungleichbehandlung keinen sachlichen Grund erkennen. Die tarifliche Überstundenzuschlagsregelung war aufgrund des Verstoßes unwirksam, sodass die Klägerin einen Anspruch auf die weitere Zeitgutschrift hatte. Die Zuerkennung der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 250,00 Euro ergab sich daraus, dass die Klägerin durch die Anwendung der unwirksamen tariflichen Regelung auch eine mittelbare Benachteiligung wegen ihres Geschlechts erfahren hatte, denn mehr als 90 % der Teilzeitbeschäftigten des Arbeitgebers waren Frauen. Der Betrag von 250,00 Euro sei dabei erforderlich, aber auch ausreichend, um einerseits den durch die mittelbare Benachteiligung entstandenen immateriellen Schaden auszugleichen und andererseits gegenüber dem Arbeitgeber die gebotene abschreckende Wirkung zu entfalten. IV. Folge: Schlechterstellung von Vollzeitkräften? Während die Entscheidungen des EuGH und darauf aufbauend auch des BAG für Teilzeitkräfte begrüßenswert sind, stellt sich nun die Frage, ob dadurch Vollzeitkräfte diskriminiert werden. Denn im Hinblick auf Überstundenpauschalen ergeben sich zwei gegensätzliche Positionen: Eine Überstundenpauschale, die erst greift, wenn die monatliche Arbeitszeit eines in Vollzeit arbeitenden Arbeitnehmers erreicht wird, ist nachteilig für Teilzeitarbeitende, denn für diese ist es wesentlich schwieriger auf diese Anzahl an Arbeitsstunden zu kommen. Wird dagegen eine Überstundenpauschale immer schon dann ausgezahlt, wenn die individuelle Arbeitszeit überschritten wird, erscheint es ungerecht, weil Teilzeitbeschäftigte dann bei Überstunden für dieselbe Arbeitszeit einen höheren Stundenlohn erhielten als Vollzeitkräfte. Maßgebliche Bedeutung kommt daher der Frage zu, welcher Zweck mit der Zahlung von Überstundenzuschlägen verfolgt wird: Geht es um die Vergütung der (zu viel) geleisteten Arbeit oder soll ein Ausgleich für Mehrbelastungen im Vergleich zur vertraglichen Regelarbeitszeit geschaffen werden? Für den EuGH war in dessen Entscheidung vom 29.07.2024 wohl ausschlaggebend, dass eine Teilzeitkraft die gleiche Anzahl an Stunden arbeiten müsste wie eine Vollzeitkraft, um überhaupt Überstundenzuschläge zu verdienen. Teilzeitbeschäftigte könnten die Anzahl an Arbeitsstunden, die einen Anspruch auf einen Zuschlag begründen, daher gar nicht oder nur mit einer deutlich geringeren Wahrscheinlichkeit erreichen als eine vollzeitbeschäftigte Arbeitskraft. Somit stelle die Festsetzung einer einheitlichen Untergrenze für Überstundenzuschläge für teilzeitbeschäftigte Pflegekräfte eine ungleich größere Belastung dar. Damit liege eine „schlechtere“ Behandlung vor, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei. Insbesondere das Ziel, eine Anordnung von Überstunden für Arbeitnehmer einzuschränken, ließ der EuGH nicht gelten. Die Regelung schaffe vielmehr einen Anreiz für Arbeitgeber, Überstunden eher bei Teilzeitbeschäftigten anzuordnen. Das Argument, eine Schlechterbehandlung von Vollzeitbeschäftigten gegenüber Teilzeitbeschäftigten solle verhindert werden, überzeugte daher im Ergebnis ebenfalls nicht. V. Fazit Bei der Gewährung von Zuschlägen sind die Entscheidungen des EuGH sowie des BAG für Arbeitgeber und Personalverantwortliche von großer Bedeutung. Zwar sind Zuschläge nicht ohne weiteres zwingend zu gewähren, gibt es hierzu aber verbindliche Regelungen, bspw. in Arbeits- oder Tarifverträgen, sollten die konkreten Vorgaben der Rechtsprechung dringend beachtet werden. Sofern eine unterschiedliche Behandlung von Voll- und Teilzeitkräften vorgesehen ist, empfiehlt es sich, diese auf eine sachliche Unterscheidungsmöglichkeit hin zu untersuchen. Das unterschiedliche Arbeitspensum genügt für sich genommen als Begründung gerade nicht. Es gilt hier also sorgfältig und genau vorzugehen. Darüber hinaus droht Unternehmen aufgrund des potentiell diskriminierenden Charakters solcher Regelungen zusätzlich die Geltendmachung von Entschädigungszahlungen durch betroffene Beschäftigte. Aus unserer Sicht sind dies allemal gute Gründe, die einschlägigen Zuschlagsregelungen im Unternehmen zu prüfen. Wir danken unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Hannah Kramer für die tatkräftige Unterstützung zu diesem Beitrag. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Fabian Riegler und Di Wu 11. Dezember 2024
Die deutsche Wegzugsteuer nach § 6 AStG ist einem laufenden Wandel unterzogen. Der Gesetzgeber und die Finanzverwaltung haben diesbezüglich in der jüngeren Vergangenheit Verschärfungen vorgenommen. Insbesondere internationale Unternehmerfamilien und gerade mittelständische Familienunternehmen sind von den Verschärfungen betroffen und dadurch in ihrer Mobilität eingeschränkt. Auch die Rechtsprechung muss sich stetig mit der Wegzugsbesteuerung beschäftigen. Der folgende Beitrag zeigt nicht nur die aktuellen Rechtsentwicklungen auf, sondern gibt Hinweise auf mögliche Vermeidungsstrategien. I. Einleitung Die Wegzugsteuer nach § 6 AStG wurde ursprünglich als Missbrauchsvermeidungsvorschrift eingeführt, um das deutsche Besteuerungsrecht an Anteilen an Kapitalgesellschaften zu sichern. Im Laufe der Jahre hat sie sich durch zahlreiche Gesetzesänderungen und die Internationalisierung des Steuerrechts zu einem wichtigen Thema in der Steuerberatung entwickelt. Mit der Neufassung des § 6 AStG, die am 01.01.2022 in Kraft trat, wurden erhebliche Verschärfungen eingeführt (unseren Beitrag aus 2021 zu den Gesetzesänderungen finden Sie hier). Ende 2023 trat eine neue Gesetzesänderung in Kraft, welche die Dauer der EU/EWR-Stundung für Wegzüge bis zum 31.12.2021 einschränkte. Zudem wurde Ende 2023 ein Anwendungserlass der Finanzverwaltung zum neuen AStG veröffentlicht. Im Januar 2024 folgte sodann das mit Spannung erwartete BFH-Urteil in der Rechtssache Wächtler, welches einige der jüngsten Gesetzesänderungen in Frage stellt. II. Funktionsweise der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG Nach § 6 AStG unterliegen stille Reserven in Anteilen an Kapitalgesellschaften, z.B. an einer GmbH, die im Privatvermögen gehalten werden, einer Art „Schlussbesteuerung“, wenn das Besteuerungs-recht Deutschlands an diesen Anteilen eingeschränkt wird oder endet. Das ist typischerweise beim Wegzug des Anteilsinhabers aus Deutschland der Fall. Eine Voraussetzung für die Wegzugsteuer ist, dass der Steuerpflichtige in den letzten zwölf Jahren mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland war. Der § 6 AStG gilt für alle Anteile gemäß § 17 Abs. 1 EStG, einschließlich Beteiligungen an optierenden Personengesellschaften. Erfasst werden sowohl Anteile an inländischen als auch an ausländischen Kapitalgesellschaften, sofern der Steuerpflichtige in den letzten fünf Jahren vor dem steuerrelevanten Ereignis mindestens zu 1 % an diesen beteiligt war. Bei ausländischen Gesellschaften ist entscheidend, ob diese aus deutscher Sicht als Kapital- oder Personengesellschaft eingestuft werden. Ein abkommensrechtlicher Konflikt kann entstehen, wenn Deutschland die Gesellschaft als Kapitalgesellschaft betrachtet, während der Sitzstaat sie als steuerlich transparente Personengesellschaft einstuft. Solche Situationen können nicht selten insbesondere bei US-Gesellschaften entstehen. Das steuerauslösende Ereignis ist in der Regel die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Wohnsitzaufgabe oder unentgeltliche Übertragung der Anteile auf Personen, die in Deutschland nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen. Die Folge ist die Besteuerung eines fiktiven Veräußerungsgewinns, der sich aus dem gemeinen Wert der Anteile zum Zeitpunkt des Ereignisses abzüglich der Anschaffungskosten und eventueller Veräußerungskosten ergibt. III. Gesetzgeberische Verschärfung für EU-/EWR Altfälle War es in der Vergangenheit noch möglich bei einem Wegzug aus Deutschland in einen Mitgliedstaat der EU oder des EWR eine Stundung der Steuer in Gänze zu erhalten, wurden mit dem Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2022/2523 vom 21.12.2023 die Anforderungen an die dauerhafte Stundung der Wegzugsteuer nach § 6 AStG verschärft, insbesondere für EU-/EWR-Altfälle. Die Änderungen betreffen alle Wegzüge vor dem 01.01.2022 und zielen darauf ab, die Stundungsregeln für diese Fälle an die neuen Regelungen des ATAD-Umsetzungsgesetzes anzupassen. Laut der neuen Regelung in § 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AStG kann die Stundung der Wegzugsteuer für Altfälle (d.h. für Wegzüge vor dem 01.01.2022) widerrufen werden, wenn aus der betroffenen Gesellschaft, deren Anteile mit der Wegzugsteuer belastet wurden, Gewinnausschüttungen oder Einlagenrückgewähr erfolgen, deren gemeiner Wert mehr als ein Viertel des gemeinen Werts der Anteile zum Zeitpunkt des Wegzugs beträgt. Dieser Widerruf gilt gar rückwirkend für alle entsprechenden Zahlungen nach dem 16.08.2023. Es bleibt jedoch unklar, ob für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts der Beschluss zur Gewinnverwendung oder die tatsächliche Auszahlung entscheidend ist. Es sprechen aber gute Argumente dafür, dass der Zeitpunkt des Gesellschafterbeschlusses der maßgebliche ist. Überschreitet der Wert der Ausschüttungen diesen Grenzwert, wird die Stundung teilweise widerrufen, sodass die Steuer sofort teilweise fällig wird. Bei mehreren Ausschüttungen erfolgt ein sukzessiver Widerruf der Stundung. Die Berechnung des Widerrufs erfolgt in zwei Schritten: Zuerst wird die Summe aller relevanten Gewinnausschüttungen und Einlagenrückgewähr nach dem 16.08.2023 ermittelt. Danach wird von dieser Summe ein Viertel der ungekürzten Bemessungsgrundlage der festgesetzten Wegzugsteuer abgezogen. Soweit sich daraus ein positiver Saldo ergibt, ist die Wegzugsteuer im Verhältnis dieses positiven Saldos zum gemeinen Wert der betreffenden Gesellschaftsanteile im Wegzugszeitpunkt sofort fällig. Beispiel: Der Stpfl. ist im Jahr 2018 in das EU-Ausland weggezogen und hat die nach damaligem Recht geltende EU/EWR-Stundung gem. § 6 Abs. 5 AStG a.F. gewährt bekommen. Der gemeine Wert der betroffenen Gesellschaftsanteile im Wegzugszeitpunkt beträgt 100. Seit dem 17.08.2023 wurden in Bezug auf diese Gesellschaftsanteile Gewinnausschüttungen i.H.v. 40 vorgenommen. Der zu ermittelnde positive Saldo aus den Gewinnausschüttungen abzüglich eines Viertels des gemeinen Werts der Gesellschaftsanteile beträgt 15 (40 ./. ¼ × 100). Folglich ist die Wegzugsteuer nach der neuen verschärften Gesetzeslage i.H.v. 15 % (15/100) sofort zur Zahlung fällig. Es besteht eine Pflicht für den Steuerpflichtigen, dem zuständigen Finanzamt die erstmalige Überschreitung dieses Grenzwerts sowie jede darauf folgende Überschreitung jeweils innerhalb eines Monats mitzuteilen. Für alle künftigen Gewinnausschüttungen und die Einlagenrückgewähr betroffener Steuerpflichtige ist daher stets eine Proberechnung durchzuführen, ob der Grenzwert von 25 % des gemeinen Werts der betreffenden Gesellschaftsanteile im Wegzugszeitpunkt überschritten wird. IV. Konkretisierungen der Finanzverwaltung Der neue Anwendungserlass der Finanzverwaltung zum AStG vom 22.12.2023 ersetzt den alten Außensteuererlass des BMF vom 14.05.2004 und bringt umfassende neue Ausführungen zur Wegzugsteuer mit sich. Insbesondere sind die Ausführungen zur sog. Rückkehrerreglung gem. § 6 Abs. 3 AStG hervorzuheben. Nach dieser Regelung entfällt die ausgelöste Wegzugsteuer bei Rückkehr innerhalb von sieben Jahren, sofern auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind (u.a. keine Veräußerung oder gleichgestellte Vorgänge). Die Anwendung der Rückkehrerregelung setzt eine „vorübergehende Abwesenheit“ des Steuerpflichtigen voraus. Es gab zuvor einen Meinungsstreit zwischen der Finanzverwaltung und der Literatur darüber, wann eine Rückkehrabsicht des Steuerpflichtigen dargelegt werden muss und wie die Rückkehrabsicht glaubhaft gemacht werden kann. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat jedoch klargestellt, dass es ausreichend ist, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist tatsächlich nach Deutschland zurückkehrt. Nur wenn die vorübergehende Abwesenheit über sieben Jahre (bzw. fünf Jahre nach alter Regelung) hinaus um bis zu weitere fünf Jahre verlängert wird, muss die Rückkehrabsicht nachgewiesen werden. So heißt es im AEAStG 2023 unter Rn. 128: „Wenn keine Anhaltspunkte bestehen, die eine gegenteilige Wertung nahelegen, reicht die Erklärung des Stpfl. für die Annahme der Rückkehrabsicht aus.“ V. Das BFH-Urteil vom 06.09.2023 in der Rs. Wächtler Im sogenannten „Wächtler-Verfahren“ (Az. I R 35/20) hat der BFH entschieden, dass die Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) bei einem Wegzug in die Schweiz dauerhaft und zinslos gestundet werden kann, wobei diese Stundung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden kann. Diese Entscheidung bezieht sich zwar auf das frühere Recht, ist jedoch auf die ab dem 1.1.2022 geltenden Regelungen übertragbar und gilt besonders für Wegzüge in EU- und EWR-Staaten, bei denen keine Sicherheitsleistung erforderlich ist. Für Wegzüge vor dem 01.01.2022 in einen EU- oder EWR-Staat wurde die Wegzugsteuer unter bestimmten Bedingungen dauerhaft und zinslos gestundet (sog. Ewigkeitsstundung). Für die Schweiz galt dies gesetzlich nicht, und es war lediglich eine Ratenzahlung möglich. Im Fall des Klägers Wächtler, der 2011 in die Schweiz verzog, legte das Finanzgericht Baden-Württemberg dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Auslegung des Freizügigkeitsabkommens (FZA) vor, welches ähnliche Rechte wie die EU-Grundfreiheiten bietet. Der EuGH stellte fest, dass auch bei Wegzügen in die Schweiz eine dauerhafte, zinslose Stundung der Wegzugsteuer zu gewähren sei, jedoch unter der Bedingung einer Sicherheitsleistung aufgrund fehlender Vollstreckungshilfe. In seiner Entscheidung wies der BFH die Klage gegen die Steuerfestsetzung ab, betonte jedoch, dass für Wächtlers Wegzug eine dauerhafte und zinslose Stundung bis zur tatsächlichen Veräußerung der Anteile angemessen ist. Dies steht im Widerspruch zu einer früheren Stellungnahme der Finanzverwaltung. BFH-Entscheidungen haben in der Regel nur unmittelbare rechtliche Bedeutung für den Einzelfall, doch ihre rechtlichen Erwägungen im Wächtler-Urteil könnten auf ähnliche Fälle angewendet werden. Folgende Auswirkungen ergeben sich aus dem Urteil: Für Wegzüge vor dem 01.01.2022 in die Schweiz muss die Wegzugssteuer bis zur Veräußerung der Anteile zinslos gestundet werden. Die Stundung könnte jedoch von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden, was in praktischer Hinsicht problematisch sein kann. Bereits gezahlte Steuern sind rückwirkend zu erstatten. Für Wegzüge vor dem 01.01.2022 in einen EU-/EWR-Staat wird nach dem Gesetz eigentlich aus-nahmsweise dann keine dauerhafte Stundung gewährt, wenn z.B. der Wegzügler im Ausland nicht einer der deutschen Einkommensteuer vergleichbaren Steuer unterliegt. Insoweit kann bzw. muss die EuGH- wie BFH-Entscheidung nur so verstanden werden, dass auch in diesen Fällen eine dauerhafte, zinslose Stundung europarechtlich geboten ist. Ab dem 01.01.2022 sieht die reformierte Regelung lediglich eine Ratenzahlung über sieben Jahre vor, die in der Regel eine Sicherheitsleistung erfordert. Eine Ungleichbehandlung von ins (EU-)Ausland ziehenden Steuerpflichtigen im Vergleich zu Umzügen innerhalb Deutschlands bleibt bestehen. Im Sinne einer unionsrechtskonformen Regelung müsste der Gesetzgeber die dauerhafte, zinslose Stundung für Wegzüge in EU-/EWR-Staaten wiedereinführen und diese auch auf die Schweiz erstrecken. Bis zu einer (nicht absehbaren) Gesetzesänderung müssen Steuerpflichtige möglicherweise ihre Ansprüche auf dem Rechtsweg durchsetzen. VI. Gestaltungsmöglichkeit Um die oben beschriebenen Problematiken der Wegzugsbesteuerung zu vermeiden, bieten sich verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten an. Eine davon ist die Einlage einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung in das Betriebsvermögen einer Personengesellschaft. Bei dieser Gestaltungsvariante ist darauf zu achten, dass es sich um eine originär gewerblich tätige Personengesellschaft handelt, bei der die Anteile an der Kapitalgesellschaft dem Geschäftszweck der Personengesellschaft funktional zuzurechnen sein müssen. Die Personengesellschaft vermittelt dem nunmehr nach dem Wegzug ausländischen Mitunternehmer eine inländische Betriebsstätte, sodass eine Entstrickungsbesteue-rung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG vermieden wird. Eine gewerblich geprägte Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) reicht für die Begründung einer inländischen Betriebsstätte nicht aus. Es käme in einem solchen Fall bei Wegzug zu einer Entstrickungsbesteuerung. Bei der Ausgestaltung der gewerblich tätigen, inländischen Personengesellschaft ist zudem auf die ausreichende Ausstattung mit „Substanz“ zu achten. In der Regel sollte für die Substanz einer Betriebsstätte die Anmietung von Büroräumlichkeiten mitsamt technischer Infrastruktur im Inland durch die Personengesellschaft und die Anstellung von Mitarbeitern, welche für die Personengesellschaft in diesen tätig werden, ausreichend sein. VII. Zusammenfassung Die deutsche Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG ist infolge mehrerer Gesetzesänderungen in den vergangenen Jahren erheblich verschärft worden. In vielen Fällen kommt es zu einer Übermaßbesteuerung, die unseres Erachtens nicht mit dem Unionsrecht zu vereinbaren ist. Die Entscheidung des BFH vom 06.09.2023 in der Rechtssache Wächtler geht daher in die richtige Richtung, da sie den offenkundig rein fiskalisch motivierten Ausweitungen der deutschen Wegzugsteuer in jüngster Zeit Grenzen setzt. Betroffene Wegzügler sollten darüber nachdenken, ob und in welchen Fällen der Rechtsweg bestritten werden soll. Mandantinnen und Mandanten, die beabsichtigen in nächster Zeit aus Deutschland wegzuziehen, sollten vorab überlegen, inwieweit sie von der Wegzugsbesteuerung betroffen sind und welche geeignete Vermeidungsstrategien bestehen. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Anika Brunk und Dr. Leon Reichert 20. November 2024
Seit Anfang November 2024 vergibt das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) an alle wirtschaftlich Tätigen eine sog. Wirtschafts-Identifikationsnummer (W-IdNr.), welche gleichzeitig auch die bundeseinheitliche Wirtschaftsnummer nach dem Unternehmensbasisdatenregistergesetz darstellt. Dies erfolgt automatisiert und ohne Antragstellung, so dass grundsätzlich kein Handlungsbedarf besteht. Jedoch ist es wichtig die W-IdNr. aufzubewahren und ggf. an die steuerliche Vertretung weiterzuleiten. Sofern bereits eine USt-IdNr. vorhanden ist, entspricht die W-IdNr. im Grunde dieser, wird jedoch noch um ein fünfstelliges Unterscheidungsmerkmal für unterschiedliche wirtschaftliche Tätigkeiten erweitert. Eine zusätzliche Mitteilung über die W-IdNr. durch das BZSt bleibt dann aus. I. Wer erhält wann eine Wirtschaftsidentifikationsnummer Welche Steuerpflichtigen eine W-IdNr. erhalten, regeln die §§ 139a und 139c AO. Demnach erhalten alle juristischen Personen sowie Personenvereinigungen automatisch eine W-IdNr. durch das BZSt. Darüber hinaus bekommen auch natürliche Personen, die wirtschaftlich tätig sind, eine Nummer zugeteilt. Dabei ist eine natürliche Person als wirtschaftlich Tätige anzusehen, wenn sie bspw. Unternehmerin i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG ist oder gemäß § 28a SGB IV meldepflichtig ist. Wichtig ist, dass die Nummer automatisiert vergeben wird. Das bedeutet, dass wirtschaftlich Tätige keinen Antrag stellen müssen, sondern die Nummer durch das BZSt ohne Aufforderung zugeteilt wird. Wirtschaftlich Tätige bekommen daher seit November 2024 automatisiert ihre Nummer zugeteilt. Dabei geht das BZSt stufenweise vor. Zunächst bekommen lediglich Kleinunternehmer nach § 19 UStG und zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung verpflichtete ihre Nummer zugeteilt. Alle weiteren wirtschaftlich Tätigen erhalten ihre Nummer voraussichtlich erst ab Mitte 2025 zugeteilt. Nachteile durch einen späteren Erhalt der Nummer entstehen keine. Sofern Steuerpflichtige bereits zum 30..11.2024 über eine USt-IdNr. verfügen, erfolgt keine zusätzliche Mitteilung der W-IdNr. durch das BZSt, da beide im Aufbau identisch sind. Somit werden die meisten Steuerpflichtigen keine zusätzliche Mitteilung durch das BZSt über ihre W-IdNr. erhalten. Sofern jedoch keine USt-IdNr. vorhanden ist oder die wirtschaftliche Tätigkeit nach November neu aufgenommen wird, erfolgt die automatisierte Bekanntgabe der W-IdNr. über ELSTER. Ab dem 3.12.2024 kann zudem über ELSTER auch die W-IdNr. erneut abgerufen werden. II. Aufbau der Wirtschaftsidentifikationsnummer Die Nummer besteht aus dem Länderkürzel „DE“ und einer folgenden 9-stelligen Ziffernfolge (bspw. DE987654321). Diese wird aktuell bei den meisten Steuerpflichten mit der USt-IdNr. übereinstimmen. Für jede wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen wird die Nummer dann aber um eine 5-stellige Ziffernfolge (sog. Unterscheidungsmerkmal) fortlaufend erweitert, beginnend bei 00001 (bspw. DE987654321-00001). Anhand des ersten Teils der Nummer kann so der Steuerpflichte eindeutig identifiziert werden und anhand der Folgenummer die entsprechende wirtschaftliche Tätigkeit. Dabei ist zu beachten, dass zunächst für jeden Steuerpflichtigen lediglich eine wirtschaftliche Tätigkeit („-00001“) vergeben wird. Sofern Steuerpflichtige mehrere wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, erfolgt die Zuteilung (bspw. „-00002“ für eine zweite wirtschaftliche Tätigkeiten oder „-00003“ für eine dritte) erst ab 2026. Beispiel: Eine GmbH verfügt über einen Hauptsitz in Köln und vier Betriebstätten verteilt in Deutschland. Die GmbH ist zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung verpflichtet und hat bereits die USt-IdNr. „DE123456789“. Die GmbH bekommt daher bereits im November 2024 die W-IdNr. zugeteilt: „DE123456789-00001“. Voraussichtlich ab 2026 bekommen die einzelnen Betriebstätten dann zusätzlich einzelne Unterscheidungsmerkmale zugeteilt, also „DE123456789-00002“ bis „DE123456789-00005“. III. Bedeutung der Wirtschaftsidentifikationsnummer Sinn und Zweck der neuen Identifikationsnummer ist die Schaffung einer einheitlichen und eindeutigen IdNr. für alle wirtschaftlich Tätigen in Deutschland. Im Gegensatz zu der Steuernummer bleibt die W-IdNr., solange die wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, bestehen (sog. „Once-Only-Prinzip“). Sie ist das Pendant zur Steuer-Identifikationsnummer bei natürlichen Personen. Laut Angaben des BZSt erleichtert die W-IdNr. die Identifizierung eines Unternehmens und soll so zukünftig die steuerlichen Prozesse, insbesondere die Kommunikation innerhalb der Behörden vereinfachen und ggf. auch automatisieren. Dabei müssen künftig Steuerpflichtige bei der Kommunikation mit den Finanzbehörden auch ihre W-IdNr. angeben (bspw. bei Anträgen, Erklärungen und Mitteilungen). Die Verpflichtung greift aber erst mit Abschluss der Einführung in 2026. Bis dahin kann auch die Kommunikation wie gewohnt unter der Angabe der Steuernummer erfolgen, eine Angabe der W-IdNr. ist bis dahin optional. Neben dem Steuerpflichtigen selbst müssen künftig auch Dritte, die Daten eines wirtschaftlich Tätigen an die Finanzbehörden übermitteln, die W-IdNr. angeben. Dies betrifft bspw. Kapitalerträge auszahlende Stellen. Zu beachten ist auch, dass die W-IdNr. keine Identifikationsnummer ersetzt, insbesondere nicht die USt-IdNr. und die Steuernummer. Diese bleiben neben der W-IdNr. bestehen. Die USt-IdNr. muss ggf. auch weiter gesondert beantragt werden. Sofern bereits eine W-IdNr. besteht und erst zu einem späteren Zeitpunkt eine USt-IdNr. beantragt wird, werden beide Nummern bis auf die Unterscheidungsmerkmale (bspw. „-00001“) identisch sein. IV. Handlungsempfehlungen Die W-IdNr. wird in der Zukunft die Identifikationsnummer bei der Kommunikation mit den Finanzbehörden sein. Daher ist es als Steuerpflichtiger wichtig, diese aufzubewahren und an die steuerliche Vertretung weiterzugeben, insbesondere, wenn diese durch das BZSt gesondert mittgeteilt wurde. Bei den meisten Steuerpflichtigen wird aktuell aber die W-IdNr. mit der USt-IdNr. übereinstimmen. Sofern bereits eine W-IdNr. vorhanden ist, kann diese bereits für die Kommunikation mit den Finanzbehörden freiwillig verwendet werden, bevor diese voraussichtlich ab 2026 verpflichtend anzugeben ist. Sollten Sie jedoch auf ihre bereits vergebene W-IdNr. nicht mehr zugreifen können, so ist ab Dezember 2024 ein erneuter Abruf der W-IdNr. über ELSTER bzw. über das BZSt möglich. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Tobias Kromm und Lukas Kröger 6. November 2024
Am 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Mit diesem Gesetz wird die EU-Richtlinie über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (European Accessibility Act, EAA) umgesetzt. Ziel ist es, Barrieren vor allem im digitalen Bereich abzubauen, um eine gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen und auch älteren Menschen zu gewährleisten. Nachdem derartige Standards für öffentliche Einrichtungen bereits seit mehreren Jahren vorgeschrieben sind, werden nun auch viele private Unternehmen zur Barrierefreiheit verpflichtet. I. Erfasste Produkte und Dienstleistungen Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden, müssen für Verbraucherinnen und Verbraucher barrierefrei bereitgestellt werden. Produkte sind etwa Hardwaresysteme für Computer für Endverbraucher und Endverbraucherinnen, bestimmte Selbstbedienungsterminals wie Geld- oder Fahrausweisautomaten, Verbraucherendgeräte, die für Telekommunikationsdienste genutzt werden (z.B. Mobiltelefone), Verbraucherendgerät mit interaktivem Leistungsumfang (z.B. interaktive Fernseher) und E-Book-Lesegeräte. Unter Dienstleistungen fallen Bankdienstleistungen für Verbraucherinnen und Verbraucher, Telekommunikationsdienste (z.B. Messenger), Elemente der Personenbeförderungsdienste (z.B. elektronische Ticketdienste) sowie E-Books und deren Software. Insbesondere sind auch Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr (z.B. E-Commerce) erfasst, sodass Webshops und Apps in jedem Fall betroffen sind. II. Verpflichtete Unternehmen Verpflichtet werden vor allem Unternehmen in den Bereichen E-Commerce, Finanzdienstleistungen, Verkehr und Telekommunikation sowie Hersteller und Anbieter von Computerhardware und -software, betroffen sind aber alle Unternehmen, die eines der oben genannten Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Den Anforderungen des BFSG müssen alle privaten Marktakteure gleichermaßen gerecht werden. Abhängig davon, in welcher Rolle das Unternehmen am Markt auftritt (Hersteller, Händler, Importeure oder Dienstleistungsanbieter), sind zusätzlich verschiedene Prüf-, Nachweis- und Mitteilungspflichten einzuhalten. Grob kann man hier unterscheiden zwischen solchen Unternehmen, die Produkte in den Verkehr bringen (Hersteller, Händler und Importeure) und solchen, die Dienstleistungen erbringen. Da die Vorgaben variieren, sollten Unternehmen sich eingehend darüber informieren, welche Anforderungen sie im Einzelnen einzuhalten haben und welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Von den Regelungen ausgenommen sind lediglich Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz von unter zwei Millionen Euro. III. Begriff der Barrierefreiheit Barrierefreiheit meint, dass Produkte und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Zielgruppen sind vor allem Menschen mit Sehbehinderung, gehörlose Menschen und Menschen mit Hörbeeinträchtigungen, Personen mit kognitiven Einschränkungen, etwa mit Lernschwierigkeiten oder Aufmerksamkeitsstörungen sowie Menschen mit motorischen Einschränkungen. Aber auch für ältere Menschen und Personen, die wenig Erfahrung im Umgang mit digitalen Medien haben, soll die Handhabung erleichtert werden. IV. Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen Um Barrierefreiheit sicherzustellen, müssen Produkte und Dienstleistungen die Nutzung für Menschen mit sensorischen, motorischen und kognitiven Einschränkungen sicherstellen. Genauere Vorgaben finden sich in der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. 1. Produkte Produkte müssen zunächst auch in physischer Hinsicht erreichbar und nutzbar sein, beispielsweise, indem sie in einer Höhe angebracht werden, die auch für Rollstuhlfahrer zugänglich ist (z.B. bei Geld- oder Fahrscheinautomaten). Weiterhin ist erforderlich, dass die Bedienelemente klar erkennbar und einfach zu handhaben sind. Tasten und Bedienelemente müssen groß genug, gut erkennbar und klar strukturiert sein, um Menschen mit motorischen Einschränkungen oder Sehbehinderungen eine einfache Bedienung zu ermöglichen. Hilfreich kann auch der Einsatz von Braille-Schrift oder audiovisuellen Beschreibungen von Bedienvorgängen sein, um die Nutzung für Menschen mit Sehbehinderung zu erleichtern. Wichtig ist auch, dass Displays und Bildschirme ausreichend Helligkeit und Kontrast aufweisen, um eine gute Erkennbarkeit zu gewährleisten. Anweisungen zur Nutzung von Produkten sowie wichtige Hinweise müssen leicht verständlich und in einfacher Sprache verfasst sein. Um die Verständlichkeit zu verbessern, kann auch zusätzlich auf grafische Symbole wie Piktogramme oder Icons zurückgegriffen werden. Technische Geräte wie Smartphones oder Tablets müssen mit Hilfsmitteln wie Screenreadern oder Vergrößerungssoftware kompatibel sein. 2. Dienstleistungen Damit Dienstleistungen als barrierefrei gelten, müssen die Informationen über die Funktionsweise der Dienstleistung (z.B. Online-Shops) in mehr als einem sensorischen Kanal zur Verfügung stehen, leicht auffindbar und gut lesbar sein. Auch hier gilt: Texte müssen in angemessener Größe und mit hinreichendem Kontrast, ggf. unter Hinzuziehung von nicht-textlichen Darstellungen bereitgestellt werden. Im Hinblick auf Webseiten gilt, dass die angebotenen Dienstleistungen auf konsistente und angemessene Weise bereitgestellt werden müssen, indem sie wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden. Dies gilt auch für die zugehörigen Online-Anwendungen und die Darstellung auf Mobilgeräten einschließlich Apps. Im Einzelnen bedeutet dies Folgendes: Wahrnehmbarkeit : Für Bilder müssen Textalternativen bereitgestellt werden, die von Screenreadern erfasst werden können. Webseiten müssen ausreichend Kontrast zwischen Schriftfarbe und Hintergrundfarbe aufweisen und Videos müssen Untertitel oder Audiodeskriptionen enthalten. Bedienbarkeit : Alle Funktionen und Inhalte müssen ohne Maus allein mit der Tastatur zugänglich sein. Die Struktur und Navigation der Webseite muss einheitlich und logisch sein, um eine leichte Orientierung zu ermöglichen. Zeitgesteuerte Inhalte wie automatisch startende Videos oder Animationen sollten vermieden werden oder zumindest leicht zu pausieren oder stoppen sein. Verständlichkeit : Texte müssen in einfacher und verständlicher Sprache geschrieben sein. Formulare müssen klare und hilfreiche Fehlermeldungen und Eingabeanweisungen bieten, um Missverständnisse zu reduzieren. Robustheit : Die Webseite muss mit verschiedenen Browsern, Geräten, Betriebssystemen und Hilfstechnologien wie Screenreadern oder Vergrößerungssoftware kompatibel sein. Es muss regelmäßig überprüft werden, dass die Webseite kontinuierlich den Ansprüchen entspricht Zusätzlich zu den oben genannten Anforderungen gibt es noch spezifische Vorgaben für bestimmte Produkte und Dienstleistungen, etwa für Selbstbedienungsterminals, Telekommunikations- oder Personenbeförderungsdienste. Insgesamt ist vor allem relevant, dass die erforderlichen Informationen über mehrere Sinneskanäle zur Verfügung gestellt werden. V. Folgen bei Verstößen Die Einhaltung der Vorschriften des BFSG ist zwingend erforderlich, ansonsten dürfen die Produkte und Dienstleistungen nicht in den Verkehr gebracht werden. Bei Verstößen drohen Vertriebsverbote, Abmahnungen und sogar empfindliche Bußgelder. VI. Fazit Die jüngsten Entwicklungen rund um das BFSG stellen erhebliche Anforderungen an Unternehmen: Unzureichende Vorbereitung kann zu schwerwiegenden rechtlichen Konsequenzen und Bußgeldern führen. Unternehmen, die jetzt nicht handeln, riskieren, den neuen Anforderungen nicht gerecht zu werden. Bereiten Sie sich daher frühzeitig vor und vermeiden Sie böse Überraschungen – unser Expertenteam steht Ihnen zur Seite, um Sie rechtssicher durch die Anforderungen des BFSG zu führen. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
von Dr. Barbara Anzellotti 4. November 2024
Am 17.10.2024 trafen sich Unternehmerinnen zum Netzwerken bei der WNL mit einem interessanten Fachimpuls durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Anzellotti von Pelka und Sozien über „Nachhaltigkeit beim Mieten und Vermieten“: Das gemeinsame europäische Ziel, innerhalb der EU bis 2050 klimaneutral zu sein, bringt Nachhaltigkeitsanforderungen zur Errichtung, Sanierung und Nutzung von Immobilien mit sich. Regulierungen auf europäischer Ebene wie die EU Taxonomie, die Corporate Sustainability Reporting Directive CSRD und die EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden EPBD 2024/1275 stellen den äußeren Rahmen. Ergänzend gab es noch einen Ausflug in die aktuelle Gesetzesreform zur geplanten Textform bei langfristigen Mietverträgen und zu den damit verbundenen Risiken. Zugleich haben die Gastgeber Kunstauktionshaus VAN HAM einen spannenden Einblick in die Welt der Auktionen mit Kunstwerken aus allen Epochen gegeben. Ein großes Dankeschön geht insbesondere auch an WNL und an ETL Advisa mit Marika Florack für die Organisation und charmante Führung durchs Programm!
von Fabian Lünsmann 23. Oktober 2024
Der Bundesrat hat am Freitag, den 18.10.2024 dem Bürokratieentlastungsgesetz IV zugestimmt. Bereits am 26.09.2024 hatte der Bundestag dem Entwurf der Bundesregierung zugestimmt. Damit tritt das Bürokratieentlastungsgesetz IV zum 01.01.2025 in Kraft. Es enthält unter anderem die Abschaffung des gesetzlichen Schriftformerfordernisses nach §§ 550, 578 Abs. 1, 2 BGB für gewerbliche Mietverhältnisse. Für die Immobilienwirtschaft bedeutet dies eine gravierende Änderung der bisherigen Praxis. Nach der Neufassung des § 578 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. ist der Abschluss von Gewerberaummietverträgen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr und die nachträgliche Änderung solcher Mietverträge künftig in Textform (§ 126b BGB) und damit in Form von PDFs, E-Mails und sogar Messenger-Nachrichten möglich. Bislang gilt hier ein strenges, teilweise als überzogen empfundenes Schriftformerfordernis, das durch eine umfangreiche und komplexe Rechtsprechung geprägt ist. I. Bestandsaufnahme Beim Abschluss langfristiger Mietverträge ist bisher zu beachten, dass der Vertrag der Schriftform (§§ 550, 578, 126 BGB) bedarf, wenn er für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr gelten soll. Dies bedeutet bisher in der Regel, dass die Parteien eine einheitliche Vertragsurkunde erstellen müssen, die durch eigenhändige Unterschrift beider Parteien auf ein und derselben Urkunde oder auf zwei gleichlautenden Urkunden geschlossen wird. Dieses Formerfordernis gilt nicht nur für den ursprünglichen Mietvertrag, sondern auch für alle späteren Änderungen und Ergänzungen. Von dieser Regelung kann bislang nur durch die qualifizierte elektronische Signatur der Parteien nach § 126a BGB abgewichen werden, wovon jedoch in der Praxis kaum Gebrauch gemacht wird. Verstöße gegen die Schriftform, auch bei einfachen Vertragsänderungen, haben bislang weitreichende Folgen. Änderungen wesentlicher Vertragsbestandteile, wie z. B. des Vertragsgegenstandes, der Vertragsparteien, des Mietzinses und der Vertragsdauer, sind unter Beachtung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien der Bezugnahme auf den ursprünglichen Mietvertrag vorzunehmen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer schriftformbedürftiger Regelungsbereiche, die Potenzial für Verstöße gegen die gesetzliche Schriftform in der von der Rechtsprechung entwickelten Form bieten. Verstößt der Vertrag gegen die gesetzliche Schriftform – in der Regel durch eine nicht schriftformgerechte nachträgliche Änderung oder durch einen vertragsimmanenten Widerspruch – so gilt er als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Damit entfällt der Ausschluss der ordentlichen Kündigung ebenso wie die zum Teil sehr langen Laufzeiten von Gewerbemietverträgen. In diesem Fall kann das Mietverhältnis unabhängig von der ursprünglich vereinbarten Laufzeit von beiden Parteien unter Einhaltung der jeweiligen gesetzlichen Fristen gemäß § 580a BGB vorzeitig gekündigt werden, frühestens jedoch ein Jahr nach Mietbeginn. Diese Strenge beruht auf dem Schutz des neuen Vermieters, der nach § 566 BGB durch den Eigentumswechsel in das Mietverhältnis eintritt. Der Erwerber tritt anstelle des bisherigen Eigentümers und Vermieters in das bestehende Mietverhältnis mit allen Vereinbarungen der bisherigen Vertragsparteien ein. Grund für die Schriftform ist also der Gedanke, dass der neue Vermieter in die Lage versetzt werden soll, alle wesentlichen Rechte und Pflichten unmittelbar aus dem Mietvertrag zu erkennen. Sind wesentliche Vereinbarungen des Mietvertrages nicht schriftlich niedergelegt, soll er das Mietverhältnis vorzeitig kündigen können, um sich vor ungewollten langfristigen Bindungen zu schützen. Es ist jedoch anerkannt, dass die Kündigungsmöglichkeit nicht nur dem Erwerber, sondern auch den ursprünglichen Vertragsparteien zusteht, was den Anwendungsbereich der sogenannten Schriftformkündigung erheblich erweitert. Vor dem Hintergrund, dass die Mietvertragsparteien gerade im Hinblick auf die lange Laufzeit eines Mietvertrages zum Teil erhebliche Investitionen in das Mietobjekt und die damit verbundene Nutzung tätigen (z. B. umfangreicher Ausbau im Einzelhandel zu einem „Flagship-Store“) und gerade der Bestand eines langfristigen Mietvertrages entscheidend für die Finanzierung des Erwerbs sein kann, stellt die vorzeitige Kündigungsmöglichkeit ein erhebliches Risiko dar. II. Neufassung Diese Nachweisfunktion der gesetzlichen Schriftform soll nun durch die einfache Textform gewährleistet werden. Hiernach muss lediglich eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden. Ein dauerhafter Datenträger ist dabei jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben. Es ist damit also nicht mehr notwendig, dass die Parteien dieselbe Vertragsurkunde eigenhändig unterschreiben. Vielmehr kann der Mietvertrag in Textform auch aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzt werden. Damit wird die Nutzung von rein elektronischen Vertragsmedien wie PDF und E-Mail möglich. Die Lösungsmöglichkeit bei Verstoß gegen die dann geltende Textform bleibt jedoch grundsätzlich erhalten, da ein nicht der Textform entsprechender Gewerberaummietvertrag wie bisher als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt und mit gesetzlicher Frist gekündigt werden kann. III. Kritik Hintergrund der beschlossenen Änderung ist, dass das Schriftformerfordernis für Mietverträge seit geraumer Zeit in der Kritik steht. Kritisiert werden zum einen die hohen formalistischen Anforderungen an den Abschluss und die Änderung von Verträgen sowie die damit verbundenen Kosten für Berater. Zum anderen hat die vorzeitige Kündigungsmöglichkeit bei Schriftformverstößen, die nicht auf den Erwerbsfall beschränkt ist, in der Beratungspraxis teilweise dazu geführt, dass Schriftformmängel von einer Partei geradezu "gesucht" und zu Verhandlungszwecken eingesetzt werden. Dies kann zu erheblichen Störungen des Mietverhältnisses führen. IV. Rezeption Die Lockerung der Formvorschriften bei der Geschäftsraummiete soll mehrere Vorteile bringen. So sollen die formalen Hürden für den Abschluss und die Änderung langfristiger Mietverträge gesenkt und das Verfahren insgesamt vereinfacht und beschleunigt werden. Die eigenhändige Unterschrift beider Parteien auf derselben Vertragsurkunde ist nicht mehr erforderlich. Elektronische Vertragsabschlüsse über E-Mail oder Messenger-Dienste werden problemlos möglich. Bisher bestehende Kündigungsrisiken aufgrund von Schriftformmängeln im Mietvertrag entfallen nach Ablauf der einjährigen Übergangsfrist, was die Verhandlungsmacht in so manchem Mietvertrag neu verteilen dürfte. Das neue Textformerfordernis hat aber auch nicht unerhebliche Nachteile. Wie dargestellt, besteht auch unter der neuen Form eine über den Erwerbsfall hinaus anwendbare Lösungsmöglichkeit bei Verletzung der gesetzlichen Form. Die Kündigung wegen Formverstoßes wird daher das Mittel der Wahl bleiben, um während der Laufzeit des Mietvertrages die eigene Verhandlungsposition durchzusetzen und sich von einem lästig gewordenen Mietverhältnis zu lösen. Die bisherige Schriftform gibt den Käufern von Gewerbeimmobilien Sicherheit über alle bestehenden Vereinbarungen zum Kaufobjekt. Werden künftig Änderungen per E-Mail oder Messenger wirksam, besteht für den Erwerber das Risiko, an unbekannte Vertragsinhalte gebunden zu sein. Die mit der bloßen Textform verbundene Gefahr der Unklarheit über den Vertragsinhalt, insbesondere nach Vertragsänderungen durch die Parteien, besteht umso mehr, als nach längerer E-Mail-Korrespondenz mühsam ausgehandelte Details verloren gehen können, wenn sie nicht mehr in einer Urkunde zusammengefasst werden oder zumindest hinreichend deutlich auf diese Bezug genommen wird. Zudem schwächt die Formerleichterung die neben der Nachweisfunktion gegenüber dem Erwerber bestehende Beweisfunktion der Schriftform. Denn einer lediglich in Textform abgefassten Vertragsurkunde dürfte nicht derselbe Beweiswert zukommen wie einer einheitlichen, der strengen Schriftform genügenden und von beiden Vertragsparteien unterzeichneten Vertragsurkunde. Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Vertragsurkunde gilt gerade nicht für einen Mietvertrag, der aus einer Vielzahl von Dokumenten bestehen kann. Nachteilig dürfte sich das Textformerfordernis auch auf den Umfang einer im Erwerbsfall durchzuführenden Due Diligence auswirken. Es dürfte nunmehr stets die gesamte Kommunikation der Vertragsparteien zum Mietvertrag zu prüfen sein, um das Risiko zu minimieren, dass durch übereinstimmende Willenserklärungen in aufeinander bezogenen E-Mails ein unbekannter Nachtrag zustande gekommen ist. Es bleibt daher abzuwarten, ob die wenigen Vorteile der Einführung der Textform in der Praxis tatsächlich überwiegen oder ob sich eine vertraglich vereinbarte qualifizierte Schriftform in Anknüpfung an die bisherige Praxis durchsetzen wird. Das aus den vorgenannten Unsicherheiten resultierende Bestreben der Parteien, diese insbesondere bei Großprojekten durch vertragliche Vereinbarung der Schriftform zu vermeiden, dürfte die mit der Gesetzesänderung verfolgten Reformbestrebungen jedoch insgesamt konterkarieren. V. Handlungsempfehlungen Die Parteien eines gewerblichen Bestandsmietvertrages sollten unter Berücksichtigung der vorgenannten Vor- und Nachteile zunächst für sich abwägen, ob sie an der strengen Schriftform festhalten oder die neue Textform wählen wollen. Für den Fall, dass sich die Parteien für die Beibehaltung der Schriftform entscheiden, ist der Mietvertrag sodann durch einen schriftformgerechten Nachtrag entsprechend zu modifizieren, indem die Anwendbarkeit des § 578 Abs. 1 n.F. individualvertraglich ausgeschlossen und die Beibehaltung der gesetzlichen Schriftform vereinbart wird. Wählen die Parteien die Textform, so sind zwingend Vertragsmanagementprozesse einzurichten und vertraglich zu verankern, die sicherstellen, dass der Vertragsinhalt auch nach Änderungen durch textformkonforme Nachträge jederzeit eindeutig bestimmbar ist. In diesem Zusammenhang sollten die Parteien zwingend vertraglich regeln, dass der Abschluss von Nachträgen nur in einem einheitlichen, der Textform genügenden und von beiden Parteien elektronisch signierten Dokument erfolgt. Der Austausch von Nachtragsentwürfen sollte dabei stets unter dem Vorbehalt des Abschlusses einer solchen Urkunde erfolgen, um den Vertrag nicht bereits durch erste Entwürfe zu ändern. Hinsichtlich bereits bestehender Schriftformverstöße gilt für bestehende Mietverträge eine Übergangsfrist von zwölf Monaten bis zum Ablauf des 31.12.2025. Bis dahin können Mietverträge wegen Schriftformverstößen nach §§ 550 i.V.m. 578 Abs. 1, 2 BGB a.F. noch mit gesetzlicher Frist gekündigt werden (§ 580a BGB). Wann ein zur Kündigung berechtigender Schriftformverstoß vorliegt, ist aber angesichts der hierzu ergangenen umfangreichen Rechtsprechung nicht immer einfach zu bestimmen und kann im Einzelfall erheblichen Beratungsbedarf auslösen. Gerade bei bestehenden Mietverhältnissen sollte daher die Übergangszeit bis zum Jahreswechsel 2025/2026 dringend zur „Neugestaltung“ des eigenen Mietverhältnisses genutzt und hierzu anwaltlicher Rat eingeholt werden. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus.
Weitere Beiträge
Share by: