Die Geschäftsführung einer GmbH oder der Vorstand einer AG haben nicht nur viel Verantwortung, sondern auch entsprechend viele Pflichten. Bei Verstößen gegen Letztere droht den Vertretern im schlimmsten Fall sogar eine Haftung für die Steuerschulden der Gesellschaft – dies gilt auch für die Lohnsteuer. Mit Urteil vom 14.12.2021 entschied der Bundesfinanzhof (BFH) über die Haftung der Geschäftsführung, die in einer Unternehmenskrise keinen Einbehalt der Lohnsteuer vorgenommen hatte.
I. Hintergrund – Pflichten der gesetzlichen Vertreter und Lohnsteuer
1. Die Pflichten der Geschäftsführung
Nach § 41a Abs. 1 EStG trifft den Arbeitgeber die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der geschuldeten Lohnsteuer zu sorgen. Der Geschäftsführer hat gemäß § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten der GmbH zu erfüllen. Dies umfasst insbesondere die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die er verwaltet.
Gerät die Gesellschaft in eine finanzielle Krise, so ist der Geschäftsführer nach § 15a Abs. 1 InsO verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Frist einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Das Gericht prüft in diesen Fällen zunächst, ob das Verfahren eröffnet werden kann. Gemäß § 21 InsO kann das Gericht für den Zeitraum der Prüfung einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen, wenn dies erforderlich ist, um die Insolvenzmasse zu sichern. Ferner kann das Gericht bestimmen, dass Verfügungen der Gesellschaft nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sein sollen. Ist eine derartige Situation gegeben, ist der Geschäftsführer grundsätzlich dazu verpflichtet, eine entsprechend dokumentierte Anfrage an den vorläufigen Insolvenzverwalter zu stellen, ob beispielsweise die Zahlung der Steuer am Fälligkeitstag eingeleitet werden kann. Eine Ausnahme hiervon gilt nur, wenn konkrete und eindeutige objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine solche Anfrage sinnlos wäre.
2. Haftung der Geschäftsführung
Nach § 69 AO haftet der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person, also beispielsweise die Geschäftsführung einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 AO infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Diese Haftung der Geschäftsführung umfasst beispielsweise auch die etwaig zu zahlenden Säumniszuschläge der GmbH bzw. der AG. Verletzt die GmbH oder AG daher ihre Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer für die Belegschaft, etwa indem Löhne ausbezahlt werden, für die kein (vollständiger) Steuereinbehalt erfolgt, so kann die Haftung für die ausstehenden Beträge auf den Geschäftsführer oder Vorstand übergehen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellt die Nichtabführung der Lohnsteuer regelmäßig zumindest eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Geschäftsführers dar, weil hierdurch die nach den persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und nicht entschuldbarer Weise verletzt wird.
3. Lohnsteuer-Pauschalierung
Wenn nachträglich Fehler bei Einbehalt und Erhebung der Lohnsteuer erkannt werden, bietet sich häufig aus Vereinfachungsgründen die Inanspruchnahme eines Wahlrechts zur Pauschalierung der Lohnsteuer an. Das Einkommensteuerrecht bietet eine Reihe solcher Möglichkeiten, die nachzuentrichtende Lohnsteuer mit einem Pauschsatz anzusetzen.
Solche Möglichkeiten bietet etwa § 40 Abs.1 Nr. 2 EStG in solchen Fällen, in denen bei einer größeren Zahl von Fällen Lohnsteuer nachzuerheben ist, weil der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftmäßig einbehalten hat. Auch wenn der Arbeitgeber arbeitstäglich Mahlzeiten im Betrieb an die Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt abgibt oder Barzuschüsse an ein anderes Unternehmen leistet, das arbeitstäglich Mahlzeiten an die Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt abgibt, besteht die Möglichkeit, die Steuer auf diesen geldwerten Vorteil mit einem Pauschsteuersatz von 25% zu erheben. Daneben kennt das Gesetz noch weitere Pauschalierungswahlrechte, etwa bei der Beschäftigung von geringfügig Beschäftigten nach § 40a EStG oder der Gewährung von Zuwendungen zum Aufbau einer nicht kapitalgedeckten betrieblichen Altersvorsorge an eine Pensionskasse nach § 40b EStG.
II. BFH zur Haftung der Geschäftsführung für Lohnsteuer
1. Sachverhalt
Im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung bei einer GmbH für die Jahre 2015 bis 2017 wurde festgestellt, dass für die private Nutzung eines Firmen-Kfz von der Geschäftsführerin über mehrere Monate keine Lohnsteuer angemeldet, einbehalten oder abgeführt worden war. Ferner beurteilte der Lohnsteueraußenprüfer an die Arbeitnehmer der GmbH ausgezahlte Verpflegungsmehraufwendungen, die bisher in vollem Umfang als steuerfrei behandelt worden waren, als steuerpflichtig. In Umsetzung dieser Feststellungen führte das Finanzamt im Einvernehmen mit der GmbH eine pauschale Nachversteuerung nach § 40 Abs.2 EStG durch und erließ einen dementsprechenden Nachforderungsbescheid. Eine Abführung der Lohnsteuer erfolgte jedoch weiterhin nicht. Kurz darauf stellte die Geschäftsführerin einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH bei dem zuständigen Amtsgericht. Das Amtsgericht ordnete die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters an und bestimmte, dass Verfügungen der GmbH nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sein sollten. Dem folgend wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und die Steuerforderungen des Finanzamts widerspruchslos zur Insolvenztabelle festgestellt. Da die Forderungen von der GmbH nicht beigetrieben werden konnten, nahm das Finanzamt deren Geschäftsführerin gemäß §§ 69, 34 AO in Haftung. Die Geschäftsführerin wehrte sich gegen die Haftungsinanspruchnahme und klagte vor dem Finanzgericht. Dieses wies die Klage ab. Die Sache wurde anschließend dem BFH zur Revision vorgelegt.
2. Entscheidung des BFH
Der Bundesfinanzhof hielt die Revision für unbegründet und bestätigte damit die Auffassung der Vorinstanz. Er gelangte zu dem Ergebnis, dass der Geschäftsführer der GmbH gemäß § 69 AO auch dann für die Lohnsteuer hafte, wenn diese nach § 40 EStG pauschaliert werde.
a) Lohnsteuer keine Unternehmenssteuer
Die nicht vollständige Abführung der Lohnsteuer stelle eine grob fahrlässige Pflichtverletzung der Geschäftsführung dar. Der vom Finanzamt erlassene Haftungsbescheid gegen die Geschäftsführerin war damit rechtmäßig. Die pauschale Lohnsteuer entstehe durch die Tatbestandsverwirklichung des Arbeitnehmers und wird vom Arbeitgeber lediglich übernommen. Es handele sich entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. Urteil v. 3.5.1990 – VII R 108/88) bei der pauschalierten Lohnsteuer daher nicht um eine Unternehmenssteuer eigener Art. Für den Fälligkeitszeitpunkt der pauschalierten Lohnsteuer komme es daher nicht auf den Zeitpunkt der Pauschalierung, sondern auf die Begehung der Pflichtverletzung durch die Geschäftsführerin in Form der Nichtabführung der Lohnsteuer an.
b) Kein genereller Haftungsausschluss bei Beauftragung eines Steuerberaters
Der durch die Geschäftsführerin geltend gemachte Einwand der Beauftragung eines Steuerberaters für die Lohnbuchhaltung könne diese Pflichtverletzung nicht entschuldigen. Zwar kann das Verschulden ausgeschlossen sein, wenn sich die Geschäftsführung auf die Sachkunde eines zuverlässigen Steuerberaters verlässt und keinen Anlass hat, die steuerliche Korrektheit der Arbeit des steuerlichen Beraters zu hinterfragen, sie darf jedoch nicht blind darauf vertrauen, dass dieser die Aufgabenerledigung ordnungsgemäß durchführt. Sie müsse vielmehr die Ordnungsgemäßheit entsprechend überwachen. Ferner habe die Geschäftsführerin nicht vorgetragen, ob der Steuerberater von dem maßgeblichem Sachverhalt Kenntnis hatte und demzufolge überhaupt in der Lage gewesen sei, diesen Sachverhalt steuerrechtlich zu würdigen.
c) Zahlungsschwierigkeiten entbinden nicht von Pflichten
Des Weiteren würden auch die Zahlungsschwierigkeiten der GmbH weder zu einer Änderung der Pflichtenstellung der Geschäftsführerin, noch zu einem Ausschluss ihres Verschuldens führen. Durch den bloßen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei die Geschäftsführerin rechtlich noch nicht gehindert gewesen, die Lohnsteuer abzuführen. Für den Fall, dass die zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung der geschuldeten Löhne – einschließlich des hierauf entfallenden Steueranteils – nicht ausreichten, dürfte die Geschäftsführerin nur gekürzte Löhne auszahlen und müsse die auf diese Löhne entsprechende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen. Auch bezüglich der Haftung für die Lohnsteuer, die nach der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters fällig geworden ist, treffe die Geschäftsführerin ein Verschulden, weil sie den vorläufigen Insolvenzverwalter nicht um Zustimmung zur Zahlung der Lohnsteuer ersucht habe. Die Anfrage war nicht als von vornherein sinnlos anzusehen. Die bloße Annahme der Geschäftsführerin, dass der vorläufige Insolvenzverwalter die Anfrage ablehnen werde, genüge hierzu nicht. Insoweit ist nach der Rechtsprechung des BFH ein hypothetischer Kausalverlauf in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen, es müssen vielmehr konkrete und eindeutige objektive Anhaltspunkte für die Begründung der Sinnlosigkeit eines solchen Ersuchens vorliegen.
III. Fazit
Das Einhalten von steuerlichen Pflichten muss die oberste Priorität genießen. Sollte sich in der Krise eines Unternehmens herausstellen, dass nicht mehr genug finanzielle Reserven vorhanden sind, um die Lohnsteuer auf die regulären Löhne zu entrichten, darf im Zweifelsfall das Gehalt nur insoweit ausgezahlt werden, dass die finanziellen Reserven ausreichen, hierauf die Lohnsteuer zu erheben. Auch ein laufendes Insolvenzverfahren der GmbH oder AG entbindet grundsätzlich nicht von der Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten.
Bei Insolvenzfällen nach dem 01.01.2021 ist der neu eingeführte § 15b Abs. 8 InsO zu beachten. Demnach trifft die Geschäftsführung kein Verschulden, wenn die Fälligkeit der Lohnsteuer nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und vor der Insolvenzeröffnung liegt, sofern die Vertretung ihren Verpflichtungen aus § 15a InsO nachgekommen ist, sie also einen rechtzeitigen Eröffnungsantrag gestellt hat.
Zu beachten ist darüber hinaus, dass ein Verschulden nicht allein durch den Hinweis auf die Beauftragung eines Steuerberaters ausgeschlossen werden kann. In Fällen der Beauftragung eines Dritten mit der Wahrnehmung steuerlicher Interessen des Unternehmens ist der gesetzliche Vertreter verpflichtet, den Dritten einerseits auf den für eine abschließende Beurteilung notwendigen Kenntnisstand zu bringen und andererseits die Überwachung der ordnungsgemäßen Interessenswahrnehmung durch eine fortlaufende Unterrichtung über den Geschäftsgang vorzunehmen.