Soweit arbeitgebende Unternehmen von einer Insolvenz betroffen sind, muss im Rahmen von Insolvenzverfahren häufig auf das Mittel der betriebsbedingten Kündigung zurückgegriffen werden. Die Insolvenz allein berechtigt jedoch weder den arbeitgebenden Insolvenzschuldner noch den Insolvenzverwalter zur Kündigung.
Mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens tritt der Insolvenzverwalter in die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers ein, so dass auch dieser die Kündigungsschutzvorschriften zu beachten hat. Einen die Arbeitsverhältnisse beendenden Automatismus gibt es nicht. Dabei kann der Insolvenzverwalter sich allerdings einiger besonderer Instrumente der Insolvenzordnung bedienen, auf die der Arbeitgeber außerhalb des Insolvenzverfahrens keinen Zugriff hat. So kann der Insolvenzverwalter unter anderem ein Arbeitsverhältnis nach § 113 InsO ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer oder einen vertraglichen Kündigungsausschluss stets mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende ordentlich kündigen, wenn keine kürzere Kündigungsfrist maßgeblich ist. Allerdings steht das Recht zur Kündigung nach § 113 InsO ebenso dem Arbeitnehmer zu. Ferner kann der Arbeitnehmer bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses Schadensersatz geltend machen, den er als Insolvenzgläubiger zur Insolvenztabelle anmelden kann. Neben § 113 InsO erleichtern weitere Sonderregelungen wie die §§ 125, 126 InsO dem Insolvenzverwalter die Kündigung bestehender Arbeitsverhältnisse.
Das Bundesarbeitsgericht beschäftigte sich in einer aktuellen Entscheidung mit der Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO und entschied, dass in dem Fall, in dem der Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich aufgrund geplanter Stilllegung des Betriebs und damit verbundener Kündigungen schließt, die ernsthafte Absicht der Stilllegung zur Wirksamkeit der entsprechenden Kündigungen ausreiche. Dies müsse auch unabhängig von einem späteren Verkauf des Betriebs gelten. Damit die Vermutung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO ihre Wirkung entfalte, müsse sich die Betriebsänderung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs in der Planung befinden.
§ 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO betrifft den Fall einer geplanten Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG. Soweit die Voraussetzungen des § 111 BetrVG vorliegen, muss der Insolvenzverwalter ebenso wie der vorinsolvenzliche Arbeitgeber den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die anstehende Änderung unterrichten und mit diesem dazu beraten. Dies betrifft auch eine auf der Insolvenz des Arbeitgebers beruhende Betriebsänderung. Schließen der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat im Rahmen der Beratung zu der geplanten Betriebsänderung einen Interessenausgleich mit Namensliste, wird vermutet, dass die Kündigung der in der Namensliste benannten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.
I. Zum Sachverhalt
Der Kläger und der beklagte Insolvenzverwalter stritten über die Wirksamkeit zweier ordentlicher betriebsbedingter Kündigungen. Der Kläger war seit Dezember 2011 bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt. Bei der Insolvenzschuldnerin handelte es sich um einen Hersteller von Spezialprofilen aus Stahl und Stahlerzeugnissen mit in etwa 400 Arbeitnehmern. Am 01. März 2020 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Aufgrund einer geplanten Betriebsstilllegung schloss der Insolvenzverwalter mit dem bei der Schuldnerin gebildeten Betriebsrat zu Ende März 2020 einen Interessenausgleich mit Namensliste, auf der zunächst nur ein Teil der Arbeitnehmer aufgeführt wurde. Dies war den zu dem Zeitpunkt noch andauernden Verhandlungsgesprächen hinsichtlich einer möglichen Veräußerung des Geschäftsbetriebs geschuldet. Diese scheiterten schlussendlich, so dass mangels anderweitiger Sanierungsoptionen über die Ausproduktion und Stilllegung des Betriebs gesprochen wurde.
Nach Scheitern der Verhandlungsgespräche wurde im Juni 2020 ein zweiter Interessenausgleich mit drei Namenslisten geschlossen, die sämtliche Arbeitnehmer benannten und drei verschiedene Kündigungszeitpunkte regelten. Auf einer Liste, die die Arbeitnehmer aufführte, die zunächst noch zur Ausproduktion bis Anfang des Jahres 2021 benötigt wurden, fand sich der Name des Klägers.
Nach Abschluss des Interessenausgleichs, der vor dem Hintergrund der geplanten Stilllegung zustande kam, kündigte der Insolvenzverwalter am 29.06.2020 das Arbeitsverhältnis des Klägers betriebsbedingt zum geplanten Auslauf der Ausproduktion am 31.05.2021. Infolge einer klägerseits behaupteten Schwerbehinderung – der entsprechende Antrag wurde im weiteren Verlauf abgelehnt – wurde dem Kläger rein vorsorglich nach Zustimmung der zuständigen Behörde ein weiteres Mal zum selben Kündigungstermin gekündigt.
Im Februar 2021 wurden nach erneut aufgenommenen Verhandlungsgesprächen einzelne Betriebsteile an einen ehemaligen Kunden der Insolvenzschuldnerin verkauft. Sämtliche Kündigungen waren zu dem Zeitpunkt bereits ausgesprochen.
Der Kläger machte auf dem Klageweg die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geltend und trug vor, die Stilllegung des insolvenzschuldnerischen Geschäftsbetriebs sei zu keinem Zeitpunkt geplant gewesen.
Das Landesarbeitsgericht Hamm befand die Kündigung auf die Berufung des Klägers hin mit Urteil vom 13. Januar 2023 (Az. 16 Sa 485/21) für unwirksam.
II. Zu den Urteilsgründen
Das Bundesarbeitsgericht bewertete den Sachverhalt anders und hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf (BAG, Urt. v. 17.08.2023 - 6 AZR 56/23).
Die Kündigung des Beklagten habe das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wirksam beendet. Die Kündigung sei aufgrund der Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei, wirksam. Der Beklagte habe entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hinreichend dargelegt, dass im Zeitpunkt der Kündigung ein wirksamer Interessenausgleich mit Namensliste sowie eine geplante Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG vorgelegen haben. Die Verhandlungen mit den ursprünglichen Interessenten seien im Juni für gescheitert erklärt worden. Die dadurch entstandene Vermutungswirkung habe der Kläger nicht widerlegt. Der Begriff der Planung erfordere an der Stelle, dass der Insolvenzverwalter ernsthaft entschlossen gewesen sei, die Betriebsänderung durchzuführen. Die Voraussetzungen der geplanten Betriebsänderung müssen bei Abschluss des Interessenausgleichs weiterhin vorliegen. Diese Entschlossenheit, die Betriebsänderung in Form der Stilllegung durchzuführen, habe der Beklagte hier hinreichend dargelegt.
Ferner erfordere das Kriterium des Planungsstadiums, dass der Betriebsrat im Rahmen des Interessenausgleichs noch Einfluss auf den Insolvenzverwalter nehmen konnte. Die Betriebsänderung dürfe sich demnach während des Interessenausgleichsverfahrens noch nicht in der Durchführung befinden. Anderenfalls habe der Betriebsrat, dessen Mitwirkung zwingende Voraussetzung der Vorschrift ist, keine tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf den Insolvenzverwalter mehr. Die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO erfordere jedoch gerade nicht, dass die Durchführung der Stilllegung bei Zugang der Kündigung bereits begonnen habe, sondern lediglich, dass diese geplant sei. Der spätere Verkauf wirke sich nicht darauf aus, dass der Beklagte glaubhaft gemacht habe, die Stilllegung im Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich geplant zu haben.
Entscheidend sei, dass die Voraussetzungen der Betriebsänderung bei Abschluss des Interessenausgleichs vorliegen. Die Verhandlungen mit dem späteren Erwerber seien erst im August 2020 und damit nach Abschluss des Interessenausgleichs und sogar nach Zustellung der Kündigungen geführt worden. Der finale Vertragsschluss sei erst im Februar 2022 erfolgt.
Somit sei die Vermutungswirkung auch nicht nach § 125 Abs. 1 S. 2 InsO entfallen. Dies erfordere eine wesentliche Änderung der Sachlage im Kündigungszeitpunkt. Die Darlegungs- und Beweislast für eine solche Änderung liege beim Kläger als Arbeitnehmer. Eine derartige Änderung habe der Kläger jedoch weder dargelegt noch habe eine solche nach den zugrundeliegenden Tatsachen vorgelegen.
III. Fazit
Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung zusätzliche Klarheit beim Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen auf Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste im Insolvenzverfahren geschaffen.
Sobald der Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich über die geplanten Kündigungen geschlossen hat, reicht für die Wirksamkeit dieser Kündigung eine ernste Absicht zur Stilllegung des Betriebs aus. Ein späterer Verkauf des Unternehmens nach Abschluss des Interessenausgleichs wirkt sich auf diese Vermutungswirkung nicht ohne weiteres aus. Aus Unternehmerperspektive führt diese Entscheidung zu einer größeren Rechts- und Planungssicherheit. Insbesondere wird die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 S. 2 InsO gestärkt und die Herbeiführung rechtssicherer Kündigungen im Rahmen einer insolvenzbedingten Betriebsänderung dadurch erleichtert.
Trotz der für die Praxis nunmehr entstandenen Planungssicherheit empfiehlt sich kein blindes Vertrauen darauf, dass die Gerichte das Erfordernis des Planungsstadiums nun denkbar weit auslegen. Soweit die Pläne der Betriebsänderung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleiches noch nicht hinreichend konkretisiert werden können, besteht die Gefahr, dass die Vermutungswirkung des § 125 InsO nicht eingreift.
Aus unserer Sicht ist es daher zur Herbeiführung einer möglichst großen Rechtssicherheit unerlässlich, rechtzeitig und nachweisbar ein konkretes Konzept der Betriebsänderung zu beschließen. Zwar ist es dem Kläger im vorliegenden Fall nicht gelungen, die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 S. 2 InsO zu erschüttern; ausgeschlossen ist dies allerdings nicht.
Darüber hinaus zeigt die Entscheidung die Vorteile eines mit dem Betriebsrat abgestimmten Interessenausgleichs auf und verdeutlicht, wie wertvoll die erfolgreiche Verhandlung einer Namensliste vor dem Hintergrund eines späteren Kündigungsschutzprozesses für den Arbeitgeber sein kann. Diese Vorgehensweise sollte daher auch außerhalb der Insolvenz nicht vernachlässigt und rechtzeitig geprüft werden.
Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Dann füllen Sie gerne unser
Kontaktformular
aus.