I. Einleitung
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte sich jüngst mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Anforderungen daran zu stellen sind, wann ein Steuerpflichtiger „leichtfertig“ im Sinne der bußgeldbewährten leichtfertigen Steuerverkürzung handelt. Die Beantwortung dieser Frage war im Entscheidungsfall maßgeblich für die Festsetzungsverjährung. Konkret ging es um eine unterlassene Anzeige eines mittelbaren Grundstückserwerbs durch den Steuerpflichtigen im Rahmen einer schenkweisen Übertragung von GmbH-Anteilen.
II. Hintergrund
1. Leichtfertige Steuerverkürzung, § 378 Abs. 1 AO
Nach § 378 Abs. 1 AO handelt ordnungswidrig, wer eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO leichtfertig, jedenfalls ohne Vorsatz, begeht. Eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO ist objektiv regelmäßig dann zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht. In der Unterlassensvariante der Steuerhinterziehung werden die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen.
Nach der gefestigten Rechtsprechung handelt leichtfertig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird. Dabei wird stets auf die individuelle Befähigung, etwa Ausbildung oder Beruf des Steuerpflichtigen, abgestellt.
2. Verlängerung der Festsetzungsfrist
Ob dem Steuerpflichtigen eine leichtfertige Steuerverkürzung oder sogar eine Steuerhinterziehung vorgeworfen wird, hat im Besteuerungsverfahren einen erheblichen Einfluss auf die Festsetzungsfrist. Nach Ablauf dieser Frist kann eine Festsetzung, Aufhebung oder Änderung von Steuern grundsätzlich nicht mehr erfolgen. In den meisten Fällen beträgt die Festsetzungsfrist vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist. Für den Fall, dass eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, beginnt die Festsetzungsfrist jedoch erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, § 170 Abs. 2 Satz 1 AO.
Liegt hingegen eine (vorsätzliche) Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vor, kann sich die Festsetzungsfrist mitunter erheblich verlängern. Denn im Fall einer Steuerhinterziehung ordnet § 169 Abs. 2 Satz 2 AO eine Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre und für den Fall einer leichtfertigen Steuerverkürzung eine Verlängerung auf fünf Jahre an.
III. BFH-Urteil vom 16.05.2023 – II R 35/20
Der BFH hatte im Streitfall zu entscheiden, ob dem Steuerpflichtigen durch das Unterlassen einer Erwerbsanzeige eine leichtfertige Steuerverkürzung vorgeworfen werden kann. Im Fall des Bejahens dieser Frage hätte das Finanzamt noch innerhalb der hierdurch verlängerten Festsetzungsfrist die (Grunderwerb-)Steuer wirksam festsetzen können.
1. Sachverhalt
Der Revisionskläger (Diplom-Betriebswirt) erhielt von seinem Vater in 2003, 2007 und 2009 schenkungsweise Geschäftsanteile an einer GmbH, welche seit 2008 Eigentümerin eines Grundstücks war. Bei der notariellen Beurkundung des letzten Übertragungsvertrages in 2009 hatte der Notar die Beteiligten auf eine mögliche Grunderwerbsteuerpflicht hingewiesen, falls die GmbH Grundbe-sitz habe und es durch die Schenkung zu einer Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG kommen würde. Der Notar zeigte im Nachgang an die Übertragung den Erwerb beim zuständigen Finanzamt an. Die Anzeige des Notars enthielt jedoch keinerlei Hinweise auf den Grundbesitz der übertragenen GmbH und war zudem nur an die Körperschaftsteuerstelle des Finanzamts adressiert. Auch hatten weder der Kläger noch dessen Vater, der Schenker, entgegen der gesetzlichen Pflicht aus § 19 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG den Erwerbsvorgang angezeigt.
In 2017 veräußerte der Kläger dann 51% seiner Anteile an der GmbH an einen Dritten. Im Rahmen dieser Veräußerung erlangte die zuständige Stelle beim Finanzamt Kenntnis von den Schenkungen der GmbH-Anteile und deren Grundbesitz, so dass mit Bescheid vom 04.08.2017 erstmalig Grunderwerbsteuer für die Übertragung in 2009 festgesetzt wurde. Die Finanzverwaltung ging von einer Verlängerung der Festsetzungsfrist für die Grunderwerbsteuer von regulär vier auf fünf Jahre wegen leichtfertiger Steuerverkürzung nach § 169 Abs. 2 S. 1 AO i.V.m. § 378 Abs. 1 AO aus. Fristbeginn sei aufgrund der mangelhaften Anzeige des Notars gem. § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO erst der Ablauf des Jahres 2012. Der Kläger vertrat die Auffassung, eine Steuerfestsetzung zum 04.08.2017 könne nicht mehr erfolgen, da die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2016 verstrichen sei.
Einspruchsverfahren und Klageverfahren vor dem Finanzgericht Thüringen blieben ohne Erfolg. Insbesondere, so das Finanzgericht, hätte der Kläger aufgrund seiner Ausbildung als Betriebswirt (BWL-Studium) Kenntnisse, die zum Tätigkeitsbereich eines Kaufmannes gehören. Aufgrund dessen und seiner längeren Tätigkeit als GmbH-Geschäftsführer hätte er die Grunderwerbsteuerpflicht erkennen müssen. Die Anzeige an das Finanzamt zu unterlassen, sei daher leichtfertig gewesen. Entsprechend verlängere sich aufgrund des Vorliegens einer leichtfertigen Steuerverkürzung die Festsetzungsfrist um ein Jahr auf den 31.12.2017.
2. Entscheidung des BFH
a) Mangelhafte Anzeige durch Notar und Auswirkung auf Fristbeginn
Zunächst stellte der erkennende Senat unter Berücksichtigung der gefestigten Rechtsprechung klar, dass die mangelhafte Anzeige durch den Notar, vorliegend die fehlerhafte Adressierung an die Körperschaftsteuerstelle des zuständigen Finanzamts und nicht an die Grunderwerbsteuerstelle, auf ein Nichteinreichen der Anzeige hinauslaufe. Dies habe die Folge, dass die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des Jahres 2012 und nicht mit Ablauf des Jahres, in dem die (mangelhafte) Anzeige abgegeben worden ist, begann.
b) Subjektive Voraussetzungen der leichtfertigen Steuerverkürzung und Auswirkung auf Fristdauer
Nach Klärung des Fristbeginns war nun die Dauer des Fristlaufs entscheidend. Die Steuerfestsetzung konnte nur zulässig erfolgen, wenn die verlängerte Festsetzungsfrist für Fälle der leichtfertigen Steuerverkürzung greift. Dazu stellte der erkennende Senat im Einklang mit ständiger BFH-Rechtsprechung zunächst fest, dass für die „Leichtfertigkeit“ persönliche Fähigkeiten des Täters ausschlaggebend sind. Leichtfertigkeit läge nur dann vor, wenn ein Steuerpflichtiger nach den Gegebenheiten des Einzelfalls und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sich im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen. Bei rechtlichen Zweifeln obliege es dem Steuerpflichtigen, sich über seine steuerlichen Pflichten einschließlich der an die Steuerpflicht anknüpfenden Verfahrenspflichten bei qualifizierten Auskunftspersonen zu erkundigen.
Bei der Prüfung der subjektiven Vorwerfbarkeit seien auch Ausbildung, Tätigkeit und Studium des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Der BFH befand jedoch, dass das Finanzgericht lediglich objektive Merkmale des Leichtfertigkeitsbegriffs, insbesondere die berufliche Qualifikation des Steuerpflichtigen als Kaufmann, herangezogen habe. Zwar können grundsätzlich höhere Anforderungen an Kaufleute gestellt werden, diese dürfen jedoch im Einzelfall nicht abstrakt für sich stehen. Es dürfe nicht von der Gruppe auf den Einzelfall geschlossen werden. Entsprechend fehlten dem BFH zusätzliche auf den Steuerpflichtigen und seinen Einzelfall bezogene Feststellungen, um von gruppentypischen Eigenschaften (des Kaufmanns) auf subjektive persönliche Fähigkeiten schließen zu können.
Im Ergebnis sah der BFH sich nicht in der Lage eine eigene Beurteilung vorzunehmen und verwies die Sache daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Finanzgericht.
IV. Fazit
Der Entscheidungsfall verdeutlicht, dass im Zusammenhang mit den gesetzlichen Anzeigepflichten bei (grunderwerb-)steuerbaren Rechtsvorgängen Komplikationen auftreten können, die sich noch nach Jahren auswirken können. Auch in solchen Fällen, in denen ein Notar an der Beurkundung des Rechtsvorgangs beteiligt ist, kann eine Verletzung von Anzeigepflichten nicht ausgeschlossen werden. Bei einer (auch nur versehentlichen) Missachtung dieser Pflichten kann dies Folgen für den Beginn der Festsetzungsfrist haben. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass im Zusammenhang mit einer Übertragung Fehler bei der Erfüllung der Anzeigepflicht unterlaufen sind und ergeht in der Folge erst nach Jahren ein Steuerbescheid, sollte in jedem Fall die Festsetzungsfrist überprüft werden. Werden seitens der Finanzverwaltung Gründe für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist angeführt, müssen diese erkennen lassen, dass alle Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht berücksichtigt worden sind.
Wir danken unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Lukas Toepler für die tatkräftige Unterstützung zu diesem Beitrag.
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