Die steuerlichen Anforderungen an inkongruente Gewinnausschüttungen bei GmbHs wurden lange Zeit in der Rechtsprechung und Finanzverwaltung kontrovers diskutiert. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs brachte in den Jahren 2021 (BFH v. 28.09.2021, VIII R 25/19, BFH/NV 2022, 267) und 2022 (BFH v. 28.09.2022, VIII R 20/20, BFH/NV 2023, 196) weitestgehend Licht ins Dunkel. Die Finanzverwaltung äußerte sich bisher nicht zu der geänderten Rechtsprechung. Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit wird nunmehr erfreulicherweise mit dem aktuellen BMF-Schreiben vom 04.09.2024 (DB 2024, 2320), in welchem sich die Finanzverwaltung dem BFH anschließt, weitestgehend beseitigt.
I. Inkongruente Gewinnausschüttungen
Inkongruente Gewinnausschüttungen erfolgen aufgrund einer Entscheidung über die Gewinnverwendung. Die diesbezüglichen Gestaltungsmöglichkeiten sind vielseitig und die hierzu erforderlichen Entscheidungen finden auf mehreren Ebenen statt:
Nach der Ermittlung des Bilanzgewinns entscheiden die Gesellschafter über die Gewinnverwendung, also darüber, ob bzw. inwieweit das Ergebnis des vergangenen Geschäftsjahres im Unternehmen verbleiben (Thesaurierung) oder an die Gesellschafter ausgezahlt werden (Ausschüttung) soll (§ 29 Abs. 2 GmbHG). Hiervon abzugrenzen ist die Entscheidung über die Gewinnverteilung, also darüber, ob der auszuschüttende Gewinn den Gesellschaftern entsprechend ihrer Geschäftsanteile zusteht oder ob er anteilsabweichend verteilt wird (§ 29 Abs. 3 GmbHG). Gewinnverwendung und Gewinnverteilung sind jedoch bisweilen nicht klar voneinander trennbar, sondern greifen häufig ineinander. So kann beispielsweise beschlossen werden, dass der auf einen Gesellschafter entsprechend seines Geschäftsanteils entfallende Gewinnanteil ausgeschüttet wird und zeitgleich der auf den anderen Gesellschafter entfallende Gewinnanteil thesauriert wird.
Bei der Gewinnverwendung kann dementsprechend auf der ersten Ebene der Gewinn in Thesaurierung und Ausschüttung aufgeteilt werden. Diese Aufteilung kann als inkongruente Gewinnverwendung bzw. -ausschüttung ausgestaltet werden. Diese dient regelmäßig der Innen- bzw. Selbstfinanzierung der Gesellschaft oder kann beispielsweise dazu verwendet werden Sondersituationen zwischen Minder- und Mehrheitsgesellschafter dergestalt abzubilden, dass an den Minderheitsgesellschafter überproportional ausgeschüttet wird während der Anteil des Mehrheitsgesellschafters überproportional thesauriert wird.
Die diesbezügliche Ungleichbehandlung der Gesellschafter kann auch als lediglich zeitlich disquotale Gewinnverwendung bzw. -ausschüttung erfolgen. Gemeint ist hiermit, dass die zunächst nicht ausgeschütteten Gewinnanteile in eine personenbezogene Gewinnrücklage eingestellt werden und später an diesen Gesellschafter ausgeschüttet werden (können).
Die inkongruente Gewinnverwendung ist gesellschaftsrechtlich zulässig (§ 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG). Einerseits kann die Möglichkeit der inkongruenten Gewinnausschüttung ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag geregelt werden (§ 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG). Andererseits kann eine sog. Öffnungsklausel im Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden: Danach kann die Gesellschafterversammlung dazu ermächtigt werden, jährlich durch Mehrheitsentscheidung eine abweichende Gewinnverteilung zu beschließen.
Darüber hinaus kann bei der Gewinnverteilung auf der zweiten Ebene ebenfalls von dem Grundsatz der Verteilung nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile abgewichen werden, sog. inkongruente Gewinnverteilung (§ 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG). Danach kann einem einzelnen Gesellschafter ein höherer Gewinnanteil als ihm eigentlich zustehen würde, zugesprochen und ausgeschüttet werden.
II. Bisherige Rechtsunsicherheit bei inkongruenten Gewinnausschüttungen
Die Besteuerung der Gewinne einer GmbH erfolgt auf zwei Ebenen, und zwar auf der Ebene der GmbH (Ebene 1) und auf der Ebene der Gesellschafter (Ebene 2). Auf der ersten Ebene unterliegt der Gewinn bei der GmbH der Besteuerung mit Körperschaft- und Gewerbesteuer. Auf der zweiten Ebene erfolgt bei tatsächlicher Gewinnausschüttung eine Besteuerung als Kapitaleinkünfte (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) auf Ebene der Gesellschafter.
Sofern die Auskehrung an die Gesellschafter im Rahmen einer inkongruenten Gewinnausschüttung erfolgt, wurde die ertragsteuerliche Behandlung dieser im Laufe der Jahre kontinuierlich präzisiert. Vor Veröffentlichung des aktuellen BMF-Schreibens vom 04.09.2024 (DB 2024, 2320), war der Meinungsstand wie folgt:
1. Auffassung der Finanzverwaltung
Die Finanzverwaltung erkannte die inkongruente Gewinnausschüttung nach dem bisher geltenden BMF Schreiben vom 17.12.2013 (BStBl. I 2014, 63) immer dann steuerlich an, wenn die abweichende Gewinnverteilung zivilrechtlich wirksam vereinbart wurde. Dies war nach Auffassung der Finanzverwaltung der Fall, wenn
- der Gesellschaftsvertrag inkongruente Gewinnausschüttungen explizit regelt (§ 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG),
- die inkongruente Gewinnausschüttung mit nachträglicher Satzungsänderung unter Zustimmung aller Gesellschafter erfolgt (§ 53 Abs. 3 GmbHG) oder
- der Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Öffnungsklausel enthält, nach der mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter oder einstimmig eine inkongruente Gewinnausschüttung beschlossen werden kann.
Hinzukommt, dass bisher Unklarheit herrschte inwieweit die Finanzverwaltung inkongruente Gewinnverwendungen steuerlich anerkennt. Zu diesem Thema schwieg das BMF-Schreiben aus 2013.
Die Finanzverwaltung wies in dem bisherigen BMF-Schreiben aus 2013 hinsichtlich inkongruenter Gewinnausschüttungen zudem explizit auf die Regelungen zum Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO hin. Kein Missbrauch sollte immer dann vorliegen, wenn für die inkongruente Gewinnausschüttung „beachtliche wirtschaftlich vernünftige außersteuerliche Gründe nachgewiesen werden“.
2. Stand der BFH-Rechtsprechung
Der BFH hatte über die vom Finanzamt bisher steuerlich anerkannten Fälle inkongruenter Gewinnausschüttungen in seiner Rechtsprechung vom 28.09.2021 (BFH, VIII R 25/19, BFH/NV 2022, 267; s. hierzu auch Rechtstipp Nr. 233 04/2022) und vom 28.09.2022 (BFH VIII R 20/20, BFH/NV 2023, 196) noch die folgenden Fälle steuerlich anerkannt:
Die gesellschaftsrechtlich zulässige inkongruente Gewinnverwendung ist grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen (BFH v. 28.09.2021, VIII R 25/19, BFH/NV 2022, 267). Zudem sind inkongruente Vorabausschüttungen, welche durch punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse erfolgen, steuerlich anzuerkennen, sofern der zivilrechtlich wirksame Ausschüttungsbeschluss nur punktuell, nicht aber für die Zukunft satzungsdurchbrechend ist. Dahingegen sind satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung steuerlich nicht anzuerkennen, sofern nicht alle Voraussetzungen für eine Satzungsänderung erfüllt werden (BFH v. 28.09.2022, VIII R 20/20, BFH/NV 2023, 196).
Einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO durch inkongruente Gewinnausschüttungen hält der BFH grundsätzlich nicht für ausgeschlossen. Aufgrund der Tatsache, dass verdeckte Gewinnausschüttungen regelmäßig wirtschaftlich betrachtet inkongruente Gewinnausschüttungen darstellen, sieht der BFH hier jedoch nur einen geringen Anwendungsbereich (BFH v. 28.09.2022, VIII R 20/20, BFH/NV 2023, 196).
III. Das neue BMF-Schreiben vom 04.09.2024
Die Finanzverwaltung hatte sich bisher zu den vorgenannten Änderungen in der Rechtsprechung nicht geäußert. Im Ergebnis bestand daher seit der neuen BFH-Rechtsprechung aus den Jahren 2021 und 2022 hinsichtlich inkongruenter Gewinnausschüttungen Rechtsunsicherheit. Diese wird nunmehr durch das neue BMF-Schreiben vom 04.09.2024 (DB 2024, 2320) weitestgehend behoben:
Mit dem neuen BMF-Schreiben folgt die Finanzverwaltung der neueren BFH-Rechtsprechung und weitet den Anwendungsbereich für steuerliche anerkannte inkongruente Gewinnausschüttungen aus. Nach neuer Auffassung der Finanzverwaltung liegt eine zivilrechtlich wirksame und somit steuerlich anzuerkennende inkongruente Gewinnausschüttung vor, wenn
- der Gesellschaftsvertrag inkongruente Gewinnausschüttungen explizit regelt (§ 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) oder eine solche Regelung mittels nachträglicher Satzungsänderung unter Zustimmung aller nachteilig betroffenen Gesellschafter erfolgt,
- der Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Öffnungsklausel enthält, nach der mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter und ggf. mit einer im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Mehrheit eine inkongruente Gewinnverteilung beschlossen werden kann,
- ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss gefasst wird, den kein Gesellschafter mehr anfechten kann, oder
- zivilrechtlich wirksam eine inkongruente Gewinnverwendung, bei welcher der nicht ausgeschüttete Gewinn in eine gesellschafterbezogene Rücklage eingestellt wird, beschlossen wird.
Die Ausführungen zum Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO sind in dem neuen BMF-Schreiben nicht mehr enthalten. Es lässt sich somit vermuten, dass die Finanzverwaltung den Anwendungsbereich für § 42 AO bei inkongruenten Gewinnausschüttungen nunmehr als so gering ansieht, dass sie hierauf nicht mehr separat eingeht.
Im Ergebnis führt das BMF-Schreiben für den Rechtsanwender zu dem erfreulichen Ergebnis, dass nunmehr aufgrund des weitestgehend Gleichklangs der Auffassungen von Finanzverwaltung und BFH bei der Vornahme inkongruenter Gewinnausschüttungen mehr Rechtssicherheit besteht. Einziger Wermutstropfen ist, dass das neue BMF-Schreiben primär auf inkongruente Vorabausschüttungen eingeht. Dies scheint aber daher zu rühren, dass dem BFH-Urteil vom 28.09.2022 (BFH, VIII R 20/20, BFH/NV 2023, 196) ein Sachverhalt mit einer inkongruenten Vorabausschütttung zugrunde liegt. Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, dass das neue BMF-Schreiben auf inkongruente Gewinnausschüttungen, die nicht vorab geschehen, keine Anwendung finden soll.
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